Das idyllische Bild ganz oben habe ich Ende Dezember bei Curanipe aufgenommen. Curanipe liegt in der Maule-Región und wenige Kilometer vom Epizentrum des großen Bebens entfernt. Die Stärke der Erdstöße an dieser Stelle (8,8) mag man sich gar nicht vorstellen, aber schlimmer als die Erschütterungen waren in Curanipe und den benachbarten Küstenorten die Flutwellen, die eine Viertelstunde später den Uferstreifen verwüsteten. Viele Menschen haben offenbar direkt nach dem Beben das einzig Richtige getan und sind landeinwärts bzw. bergauf geflüchtet. Alle schafften das leider nicht - oder hielten es in Ermangelung einer Warnung nicht für nötig.
Ob die zuständige Einheit der Marine (der Servicio Hidrográfico y Oceanográfico de la Armada de Chile, Kürzel: SHOA) tatsächlich einen folgenschweren Irrtum beging und direkt nach dem Beben die Gefahr eines Tsunamis ausschloss, oder ob die Regierung eine entsprechende Warnung nicht weiterverbreitet hat, ist derzeit heiß umstritten. Freilich stellt sich die Frage, ob eine offizielle Auforderung, aus der Gefahrenzone zu flüchten, die Menschen überhaupt bzw. rechtzeitig erreicht hätte. Bislang werden 50 Tote aus der Gegend um Curanipe gemeldet - in Wirklichkeit dürften es noch viel mehr sein.
Wir wohnten im Dezember in einer von einem deutsch-argentinischen Paar betriebenen Ferienanlage, wunderschön etwa 15 Meter oberhalb des menschenleeren Strandes gelegen. Diese 15 Meter könnten den beiden und etwaigen Gästen das Leben gerettet haben, aber wir wissen es nicht. Die chilenische Google-Seite hat einen Personenfinder eingerichtet, wo jeder Informationen über vermisste Menschen hinterlegen kann. Leider finden sich dort bis jetzt nur Suchanzeigen.
Derweil treibt noch eine andere Debatte die Chilenen um: Wie kann es sein, dass so viele Menschen die Naturkatastrophe ausnutzen, um an sich zu reißen, was nicht niet- und nagelfest ist? Wenn man den Fernsehbildern und Reporterberichten Glauben schenken darf, geht es ja nicht nur um Plünderung und Brandstiftung in einzelnen großen Supermärkten, auch längst nicht nur um die Aneignung von Lebensmitteln. Ausgeweidet werden auch zerstörte Häuser und Autos, selbst in den kleineren Orten. In Concepción und anderswo glauben Einwohner sich mit bewaffneten Bürgerwehren vor marodierenden Banden schützen zu müssen. Die Angst vor den Anderen überwiegt mancherorts die Angst vor der Natur.
Aber kann man den Fernsehbildern trauen? Wer mit den Mechanismen der Berichterstattung ein wenig vertraut ist, ertappt sich ständig dabei, erst diese Bilder und dann wieder die eigene Skepsis in Frage zu stellen. Sicher, da wird immer das eine Haus in Trümmern gezeigt, neben dem, unsichtbar für den Zuschauer, hundert andere stehen, die weit weniger in Mitleidenschaft gezogen wurden. Da hält der Fotograf die Kamera ein paar Zentimeter über den Boden, und schon sieht der kleine Riss im Asphalt aus wie eine abgrundtiefe Erdspalte. Vielleicht handelt es sich auch bei den plündernden Horden nur um ein dreckiges Dutzend, und zwei Straßen weiter filmt niemand, wie sich die Menschen beim Überleben helfen? Wer weiß. Die Luftaufnahmen aus den vom Tsunami betroffenen Küstenorten wie Curanipe sprechen allerdings eine eigene Sprache - die lassen sich auch durch dramatische Hintergrundmusik kaum noch schlimmer machen.
Hinter vorgehaltener Hand (bisweilen auch ganz explizit) wird derweil analysiert, was das Desaster für die scheidende und für die nachfolgende Regierung bedeutet. Man könnte es, ein wenig kalt und zynisch, so ausdrücken: In den ersten Tagen hat sich Sebastián Piñera möglicherweise geärgert, dass das Megabeben - wenn es denn schon sein musste - nicht in die ersten Monate seiner Amtszeit fiel. So konnte die Concertación in den letzten Tagen ihrer Existenz noch einmal beweisen, was sie für das Land zu tun imstande war.
Inzwischen hat sich das Blatt allerdings gewendet: Die Kritik an der amtierenden Regierung, zu spät und nicht konsequent genug zu handeln, wird immer stärker. Ob sie berechtigt ist, steht dahin, schließlich sind in solchen Notsituationen alle gleichzeitig der Meinung, gerade ihnen müsse zuallererst geholfen werden. Aber wenn Michelle Bachelet in dieser und der kommenden Woche nicht noch Handlungsfähigkeit demonstriert, wird das Erdbeben ihrem Ansehen und dem der gesamten 20 Regierungsjahre der Concertación sehr schaden - während Piñera sich als Mann des Wiederaufbaus in Szene setzen und gleichzeitig viele seiner vollmundigen Wahlversprechen zurückschrauben kann. Die Begeisterung, mit der viele in Concepción die einrückenden Soldaten begrüßten, die dort für Ruhe und Ordnung sorgen sollen, ist vielleicht ein Zeichen dafür, dass Piñeras angekündigte Politik der harten Hand auf sehr fruchtbaren Boden fallen wird.
Ob die zuständige Einheit der Marine (der Servicio Hidrográfico y Oceanográfico de la Armada de Chile, Kürzel: SHOA) tatsächlich einen folgenschweren Irrtum beging und direkt nach dem Beben die Gefahr eines Tsunamis ausschloss, oder ob die Regierung eine entsprechende Warnung nicht weiterverbreitet hat, ist derzeit heiß umstritten. Freilich stellt sich die Frage, ob eine offizielle Auforderung, aus der Gefahrenzone zu flüchten, die Menschen überhaupt bzw. rechtzeitig erreicht hätte. Bislang werden 50 Tote aus der Gegend um Curanipe gemeldet - in Wirklichkeit dürften es noch viel mehr sein.
Wir wohnten im Dezember in einer von einem deutsch-argentinischen Paar betriebenen Ferienanlage, wunderschön etwa 15 Meter oberhalb des menschenleeren Strandes gelegen. Diese 15 Meter könnten den beiden und etwaigen Gästen das Leben gerettet haben, aber wir wissen es nicht. Die chilenische Google-Seite hat einen Personenfinder eingerichtet, wo jeder Informationen über vermisste Menschen hinterlegen kann. Leider finden sich dort bis jetzt nur Suchanzeigen.
Derweil treibt noch eine andere Debatte die Chilenen um: Wie kann es sein, dass so viele Menschen die Naturkatastrophe ausnutzen, um an sich zu reißen, was nicht niet- und nagelfest ist? Wenn man den Fernsehbildern und Reporterberichten Glauben schenken darf, geht es ja nicht nur um Plünderung und Brandstiftung in einzelnen großen Supermärkten, auch längst nicht nur um die Aneignung von Lebensmitteln. Ausgeweidet werden auch zerstörte Häuser und Autos, selbst in den kleineren Orten. In Concepción und anderswo glauben Einwohner sich mit bewaffneten Bürgerwehren vor marodierenden Banden schützen zu müssen. Die Angst vor den Anderen überwiegt mancherorts die Angst vor der Natur.
Aber kann man den Fernsehbildern trauen? Wer mit den Mechanismen der Berichterstattung ein wenig vertraut ist, ertappt sich ständig dabei, erst diese Bilder und dann wieder die eigene Skepsis in Frage zu stellen. Sicher, da wird immer das eine Haus in Trümmern gezeigt, neben dem, unsichtbar für den Zuschauer, hundert andere stehen, die weit weniger in Mitleidenschaft gezogen wurden. Da hält der Fotograf die Kamera ein paar Zentimeter über den Boden, und schon sieht der kleine Riss im Asphalt aus wie eine abgrundtiefe Erdspalte. Vielleicht handelt es sich auch bei den plündernden Horden nur um ein dreckiges Dutzend, und zwei Straßen weiter filmt niemand, wie sich die Menschen beim Überleben helfen? Wer weiß. Die Luftaufnahmen aus den vom Tsunami betroffenen Küstenorten wie Curanipe sprechen allerdings eine eigene Sprache - die lassen sich auch durch dramatische Hintergrundmusik kaum noch schlimmer machen.
Hinter vorgehaltener Hand (bisweilen auch ganz explizit) wird derweil analysiert, was das Desaster für die scheidende und für die nachfolgende Regierung bedeutet. Man könnte es, ein wenig kalt und zynisch, so ausdrücken: In den ersten Tagen hat sich Sebastián Piñera möglicherweise geärgert, dass das Megabeben - wenn es denn schon sein musste - nicht in die ersten Monate seiner Amtszeit fiel. So konnte die Concertación in den letzten Tagen ihrer Existenz noch einmal beweisen, was sie für das Land zu tun imstande war.
Inzwischen hat sich das Blatt allerdings gewendet: Die Kritik an der amtierenden Regierung, zu spät und nicht konsequent genug zu handeln, wird immer stärker. Ob sie berechtigt ist, steht dahin, schließlich sind in solchen Notsituationen alle gleichzeitig der Meinung, gerade ihnen müsse zuallererst geholfen werden. Aber wenn Michelle Bachelet in dieser und der kommenden Woche nicht noch Handlungsfähigkeit demonstriert, wird das Erdbeben ihrem Ansehen und dem der gesamten 20 Regierungsjahre der Concertación sehr schaden - während Piñera sich als Mann des Wiederaufbaus in Szene setzen und gleichzeitig viele seiner vollmundigen Wahlversprechen zurückschrauben kann. Die Begeisterung, mit der viele in Concepción die einrückenden Soldaten begrüßten, die dort für Ruhe und Ordnung sorgen sollen, ist vielleicht ein Zeichen dafür, dass Piñeras angekündigte Politik der harten Hand auf sehr fruchtbaren Boden fallen wird.