Wir hatten uns Chaitén als menschenleere Geisterstadt vorgestellt, durch die allerhöchstens ein paar Touristen stapfen - wir eben. Tatsächlich ist die vom Vulkan verwüstete kleine Stadt gar nicht so verwaist. Zum Beispiel gibt es da den kleinen supermercado an einer Straßenecke, die der Besitzer von ein paar Tonnen weißgrauer, sandiger Asche befreit hat. Drinnen riecht es muffig und an der Fleischtheke gibt es nur eingeschweißte Wurst, aber die Scannerkasse piept schon wieder recht munter. Dürfen sich denn die Menschen wieder ansiedeln in ihrer Stadt? "Naja, dürfen nicht direkt, aber verboten ist es auch nicht", sagt der Ladenbesitzer.
Über zweihundert sollen es schon sein, die zurückgekehrt sind, weiß der freundliche carabinero, der sich Zeit für ein Schwätzchen mit den Ausländern nimmt - alles andere als der Normalfall in Chile. Der Polizist zeigt auf seine Wache, vor der einmal gepflegter Zierrasen wuchs. Jetzt liegt die Asche rund um das Gebäude rund einen Meter hoch, das stimmt ihn traurig. Aber dass der Vulkanausbruch im vergangenen Mai ein beeindruckendes Naturschauspiel war, das kann er nicht bestreiten: "Die Eruptionswolke war anfangs dreißig Kilometer hoch. Man bekam einen steifen Hals, wenn man sie betrachtete." Er empfiehlt sich und schlendert mit seinem Kollegen die Straße hinunter, auf der der Staub im Wind tanzt.
Etwa die Hälfte Chaiténs hat der río blanco unter sich begraben, als er unter der Last der Asche den kürzesten Weg ins Meer suchte und in sein altes Bett zurückkehrte. Das führt jetzt mitten durch die Stadt, und der "Weiße Fluss" macht seinem Namen mehr Ehre als je zuvor. Viele Häuser stehen nicht mehr, eines sieht man von der Uferstraße aus, es steckt weit draußen im Schlamm wie ein Schiffswrack. Andere sind vollgelaufen mit Asche, man geht erhöht an ihnen vorbei, die Schuhsohlen auf Höhe der Türklinke. Drinnen modern Wohnzimmer und Küchen vor sich hin, manchmal haben die Bewohner nicht einmal mehr die Familienfotos von der Wand genommen. Spielzeug liegt verstreut herum, ein kaputter DVD-Player. Keine Angst, sagen wir den Kindern, niemand ist gestorben. Stimmt auch, aber schön ist das hier trotzdem nicht.
Anderswo geht das Leben weiter, wenn auch unter veränderten Vorzeichen. Pan amasado y café verspricht ein handgemaltes Schild, das selbstgebackene Brot und den Kaffee tischt uns eine Frau in ihrem Wohnzimmer auf, unter einem handkolorierten Foto vom Großvater, der sich einst in Chaitén ansiedelte. Ihr Haus steht ein wenig erhöht am Stadtrand, sie hat nichts verloren, nur einen funktionierenden Lebensmittelpunkt. Denn dass Chaitén wieder einmal eine funktionierende Stadt sein wird, daran glaubt fast niemand mehr. Die Regierung hat gerade bekannt gegeben, nicht in den Wiederaufbau an derselben Stelle investieren zu wollen, zu groß sei das Risiko einer erneuten Zerstörung durch den Vulkan, der noch immer keine Ruhe gibt. Die chaiteninos sind natürlich wütend und schwören, alles für ihre geliebte Stadt zu tun, aber am Ende gewinnt bekanntlich der, der das Geld hat.
Obwohl es bewölkt ist, können wir beobachten, wie die Asche weiter aus dem Krater quillt, keine zehn Kilometer ist das Schauspiel entfernt. Plötzlich, innerhalb von Sekunden, färbt sich die Wolke rotbraun und wir rechnen jeden Augenblick mit der Evakuierungssirene - glücklicherweise vergebens. Trotzdem überlassen wir die weitere Beobachtung den Vulkanologen und suchen das Weite.