Freitag, 25. Dezember 2009

Feuchte Nacht, heulende Nacht

Oberflächlich betrachtet bietet Weihnachten auf der Südhalbkugel das Kon­trast­pro­gramm zum winterkalten Norden, wo man ja auch das entsprechende Zu­be­hör (Lichter, Rentiere usw.) erfunden hat. Bei sommerlichen Temperaturen schwit­zen­de Männer in roten Anzügen und falschen Bärten sind ein beliebtes Mo­tiv der Bildagenturen. Nur unser südchilenisches Mikroklima spielt mal wieder nicht mit: Wenn abends der Regen ans Fenster trommelt und die Briketts im Ofen fla­ckern, merkt man kaum einen Unterschied zum deutschen Weih­nachts­tau­wet­ter.

Der Baum ist aus Plastik und muss beim Aufstellen nicht angespitzt, sondern aufgebogen werden. Das Käsefondue funktioniert auch mit hiesigen Zutaten und im Aluminiumtopf, als Rechaud dient der Campingkocher. Das Viertel wirkt aus­ge­stor­ben. Viele sind über den Feiertag weggefahren, die Nachbarin bat uns kon­spi­ra­tiv, ein Auge auf ihr Haus zu werfen. Im Haus gegenüber ist eine Hündin läu­fig. Die streundenden Rüden, allen voran der Dalmatiner, versuchen seit Tagen ver­zwei­felt, sich unterm Zaun durchzugraben. Nachts halten sie Wache und heulen.

Donnerstag, 24. Dezember 2009

Fall Frei: Die Wahrheit kommt ans Licht


Was für ein Timing: Als der Untersuchungsrichter Alejandro Madrid Anfang Dezember Haftbefehle gegen sechs Personen wegen Mordes an Eduardo Frei Montalva ausstellen ließ, war das genau sechs Tage vor der Prä­si­dent­schaftswahl - zu der Eduardo Frei Ruiz-Tagle, Sohn des früheren Prä­si­den­ten und selbst Ex-Präsident, als Kandidat antrat. Dass die seit Jahren laufenden Er­mitt­lungen ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt in der Nennung mutmaßlicher Schul­di­ger gipfelten, wurde von Vertretern der rechten Opposition sofort als Wahl­be­ein­flus­sung gerügt. Wegen dieses zumindest nicht völlig abwegigen Ver­dachts ist höchst fraglich, ob der Fall Frei dem Kandidaten in der anstehenden Stich­wahl eher hilft oder schadet.

Dabei ist die nunmehr offizielle Feststellung, dass Frei Montalva 1982 Opfer eines Giftmords wurde, eine mittlere Sensation. Der Christ­de­mo­krat war eine wichtige Oppositionsfigur unter Pinochet, als er sich in einer Pri­vat­kli­nik einer harmlosen Leistenbruchoperation unterzog. Mehrere Wo­chen später war er tot - aufgrund unvorhersehbarer Komplikationen durch eine Bauchfellentzündung mit anschließender Sepsis. Erst zu Anfang des neuen Jahrtausends schalteten Freis engste Angehörige aufgrund neuer Verdachtsmomente die Justiz ein. Frei Montalvas Überreste wurden 2004 exhumiert und von zwei Spezialistinnen der Universidad de Chile untersucht - die prompt Spuren von Senfgas und dem hochgiftigen Schwermetall Thallium fanden.

Das wiederum deutet auf eine Beteiligung des Militärgeheimdienstes DINA hin - in Person des Chemikers Eugenio Berríos, der Substanzen wie das Nervengift Sarin herstellte. Aussagen kann er freilich nicht mehr, er wurde 1993 in Uruguay ermordet, möglicherweise um ebendies schon damals zu verhindern. Die kom­ple­xen personellen Zusammenhänge der Frei-Ermordung hat die Journalistin Mó­ni­ca González akribisch ver­folgt und in einem hervorragenden Dossier

Jetzt neigt sich die Waage wieder in die andere Richtung: Richter Madrid wur­de wegen mutmaßlicher Befangenheit von einem höherinstanzlichen Ge­richt vorläufig vom Verfahren suspendiert, und der Oberste Gerichtshof könn­te am kommenden Montag mehreren Beschwerden stattgeben und die verhängten Haft­befehle gegen beteiligte Ärzte und Komplizen auf­he­ben. Eine Verurteilung liegt noch in weiter Ferne. Immerhin wird Se­bas­tián Piñera, wenn er am 17. Januar die Stich­wahl gegen Frei jr. gewinnen sollte, die Untersuchungen entschlossen vo­ran­trei­ben. Hat er gesagt.

Foto (dpa): E. Frei (Sohn) steigt aus dem Grab von E. Frei (Vater)

Samstag, 19. Dezember 2009

Junge Frauen wählen anders

Kleine Wahl-Nachlese: Als am vergangenen Sonntag die Stimmen ausgezählt wur­den, hatten wir uns einer uns persönlich bekannten Gruppe von Wahl­be­ob­ach­tern in Santiago angeschlossen. Es handelte sich um ein kleines, qua­si familiäres Kommando der PPD, Teil der Concertación und somit Un­ter­stüt­ze­rin des Kan­di­da­ten Eduardo Frei. Umso größer war die Bestürzung unserer Freunde, als an der ersten mesa (dem Wahl-Tisch, von dessen Art es rund zwanzig in jener Schule im Stadtteil Cerrillos gab, in die es uns verschlagen hatte) der abtrünnige Sozialist Marco Enríquez-Ominami (MEO) nicht nur Frei, sondern sogar den Oppositionskandidaten Sebastián Piñera überflügelte. Der galt zu Recht als Favorit im ersten Wahlgang mit vier Kandidaten. MEO hingegen sollte laut allen Umfragen deutlich hinter Frei landen, und so war es dann ja auch. Nur nicht an diesem einen Tisch.

Die Gründe dafür kann man in einigen Besonderheiten des chilenischen Wahl­pro­ze­de­res suchen. Hier treffen sich in einem Wahllokal nicht nur Menschen aus demselben Viertel und somit demselben sozioökonomischen Umfeld (wie in Deutschland und anderswo auch), gewählt wird getrennt nach Geschlechtern und gestaffelt nach Alter. Es gibt Männer-Tische und Frauen-Tische, und weil man ein ganzes Wählerleben lang an seine mesa gebunden ist, sterben die mit den niedrigen Nummern langsam aus, während immer wieder neue, höher nummerierte Tische aufgemacht werden. Beim besagten Tisch handelte es sich um den "jüngsten" in einem Frauen-Wahllokal. Fazit: Junge Frauen der unteren Mittelschicht entschieden sich mehrheitlich für den jungen Marco. Warum, das muss jeder für sich selbst beantworten.

PS: Chilenische Wahlzettel müssen nach einem ganz bestimmten Prinzip entlang vorgegebener Linien zusammengefaltet und am Ende mit einer selbstklebenden Marke zu einem Briefchen verschlossen werden. Auf Nachfrage gaben die be­frag­ten Chilenen zu Protokoll, sie hatten es für eine weltweit übliche Praxis ge­hal­ten, Wahlzettel entlang vorgebebener Linien zu falten und mit selbstklebenden Mar­ken zuzukleben. Die Gründe für das Falten und Kleben sind offenbar in Ver­ges­sen­heit geraten.

Dienstag, 15. Dezember 2009

Die Stimme der 80er



An diesem Sonntag trifft Chile nicht nur eine Vorentscheidung über seinen künftigen Präsidenten - es gibt auch ein Jubiläum zu feiern: Vor exakt 25 Jahren veröffentlichte das Mini-Kassetten-Label "Fusión" das allererste Album der Prisioneros, "La voz de los 80". Nicht mehr und nicht weniger als 1.000 Kopien kamen auf den Markt - aber der Erfolg der Gitarre-Bass-Drums-Formation vom Stadtrand Santiagos war so phä­no­me­nal, dass ein halbes Jahr später EMI zugriff und nach­leg­te.


Zusammen mit den sozialkritischen Texten von Sänger Jorge González traf der punkige New-Wave-Sound der Band den Nerv der bis dahin blei­schwe­ren chilenischen Achtzigerjahre. Und Klassiker wie "La­ti­no­amé­ri­ca es un pueblo al sur de Estados Unidos", "¿Quién mató a Marilyn?" oder "Sexo" klingen noch erstaunlich frisch. Rührend mutet dagegen heute der selbst zusammengeschnipselte Videoclip an. Lus­ti­ger­wei­se fanden es die Chilenen damals völlig normal, dass González für die Kamera zum Schein in ein verkabeltes Mikrofon sang.

Dienstag, 8. Dezember 2009

Private Landschaft

Wer Chiles Landschaften für sich erschließen will, hat zwei ernstzunehmende Gegner: das Privateigentum und die Wildnis.

Die Sache mit dem Eigentum ist einfach: Es gibt in Chile zwar ein Gesetz, das den öffentlichen und kostenlosen Zugang zu allen (Meer-, See- und Fluss-) Stränden garantiert, aber leider kein vergleichbares für Wald und Flur. Wie kostbar die deutschen Wald- und Wegerechte sind, die den Wanderer in seinem Bewegungsdrang weitgehend unbehelligt lassen, wird einem hier bald klar, wenn die Idylle abseits der Straße mal wieder eingezäunt und unzugänglich ist: Privatbesitz, Betreten verboten. Das gilt für kultivierte wie für Brachflächen. Die Furcht vor illegalen Aneignungen spielt dabei in einem Land mit einer extremen Kluft zwischen Arm und Reich eine große Rolle.

Sicher, man kann den Eigentümer fragen, ob er den Durchgang gestattet. Man kann auch einfach durch den Stacheldraht schlüpfen. Mit Konsequenzen, evtl. in Form eines bissigen Hundes, muss man freilich rechnen. Umso lobenswerter sind deshalb öffentliche Initiativen wie der noch unter Präsident Ricardo Lagos ins Leben gerufene Sendero de Chile. Das Projekt, Chile auf seiner gesamten Länge durch einen allgemein zugänglichen Wanderweg zu erschließen, wurde zwar im Hinblick auf die Zweihundertjahrfeier der Republik im kommenden Jahr erdacht, wird aber wohl selbst hundert Jahre für seine Verwirklichung benötigen. Die Arbeitsgruppe der nationalen Tourismusbehörde, die mit dem "Sendero" betraut ist, muss mit wenig Mitteln den Ausbau in ausgewählten Regionen vorantreiben und dabei ständig mit Landbesitzern um die Erteilung von Durchgangsrechten kämpfen.

Und dann die Wildnis: Was jenseits des land- und forstwirtschaftlich genutzten Gebiets liegt, ist, zumindest im regenreichen Süden Chiles, von atemberaubender Undurchdringlichkeit. Dass es in den riesigen Nationalparks oft nur wenige Kilometer Wanderwege gibt, liegt an der mühevollen und langwierigen Arbeit, in der die Waldarbeiter mit Motorsägen Pfade ins Dickicht schneiden, Stege zimmern und hölzerne Treppenstufen in die matschigen Urwaldhänge hauen. Auch hier gilt: Vom Weg abweichen gibt's nicht, weil: geht nicht.


Freitag, 4. Dezember 2009

Víctors letzter Auftritt


Jetzt bekommt der chilenische Sänger Víctor Jara doch noch ein wür­di­ges Begräbnis: Seit Donnerstag und noch bis Samstag sind die sterb­li­chen Überreste des 1973 vom Militär ermordeten Sängers in der nach ihm benannten Stiftung in Santiago aufgebahrt. Hunderte haben bislang schon Totenwache gehalten, allen voran Jaras Witwe Joan und die beiden Töchter. Am Samstag soll Jara mit allen Ehren auf dem Hauptfriedhof beigesetzt werden. Dort lag er bereits seit seiner heimlichen Bestattung am 18. September 1973. Vor mehreren Monaten hatte ein Un­ter­su­chungs­rich­ter die Exhumierung angeordnet.

Hier eine Fotogalerie von Jaras Totenwache (Foto oben: dpa).

Mittwoch, 2. Dezember 2009

Prost Weihnacht

So richtig gut kennt mich mein Supermarkt eben auch wieder nicht.