Freitag, 29. August 2008

Im Eis

Sagte ich "DDR"?

Donnerstag, 28. August 2008

Dank Girokonto zu Madonna

Wie man liest, kamen Madonnas Fans beim "Sticky&Sweet"-Konzert im Berliner Olympiastadion nicht so recht in die Gänge, mehr noch, ein Viertel der 75.000 Plätze soll unbesetzt geblieben sein. Mit einem derart kühlen Empfang für die 50-jährige Entertainerin ist in Santiago nicht zu rechnen. Ganz im Gegenteil, alle wollen am 10. Dezember ins Estadio Nacional, alle sind aufgekratzt und durch den Wind, denn es ist das erste und vermutlich auch letzte Mal, dass la reina del pop ein Konzert in Chile gibt.

Natürlich können nicht alle ins Stadion. Und über die Frage, wie die Veranstalter das Publikum aussieben, ist ein erbitterter Streit ausgebrochen. Sicher, allein die Ticketpreise zwischen 35 und 250 Euro garantieren, dass nur ein Bruchteil der Interessenten reelle Chancen hat, in Sichtweite der der Pop-Göttin zu gelangen. Andererseits geben eingefleischte Fans, wenn's denn sein muss, auch ein Monatsgehalt für die Eintrittskarte aus. Am demokratischsten wäre in einem solchen Fall wohl das First-come-first-served-Prinzip, aber das heutige Musikbusiness tickt anders: Seit gestern kann man sich Karten im Internet-Vorverkauf sichern, wenn, ja wenn man a) einen Vertrag mit dem Mobilfunkanbieter Entel PCS und b) ein Girokonto bei der Banco de Chile vorweisen kann. Ein echtes Bonbon für die Kunden der beiden Hauptsponsoren des Events.

Alle, die weder beide Kriterien erfüllen noch mit jemandem verwandt oder verschwägert sind, der sie erfüllt (und bereit ist, selbst auf das Konzert zu verzichten), schauen also in die Röhre. Zumal ein solcher Internetvorverkauf erfahrungsgemäß nicht lange dauert. In Mexiko waren die Karten für die beiden Auftritte Madonnas Ende November nach weniger als einer Stunde weg. Auch in Chile dürfte schon heute kein Ticket mehr auf diesem Weg zu bekommen sein - als am Donnerstag um 0 Uhr die entsprechende Seite freigeschaltet wurde, registrierte sie anfänglich über 10.000 Aufrufe pro Minute. Die einstweilige Verfügung eines Verbraucherschützer-Anwalts war im Vorfeld abgewiesen worden. Was jetzt noch kommt, ist Schwarzmarkt, Heulen und Zähneknirschen.

A propos berühmte Frauen: Im gerade veröffentlichten Forbes-Ranking der mächtigsten Frauen der Welt erscheint Chiles Präsidentin Michelle Bachelet auf Platz 25 - weit hinter Angela Merkel (Platz 1) und ihrer Nachbarin Cristina Fernández de Kirchner (Platz 13), aber immerhin vor Talkmasterin Oprah Winfrey (Platz 36) und Queen Elizabeth (Platz 58).

Dienstag, 26. August 2008

Richter, General und Folterknecht

Unbedingt ansehen: Nur noch bis zum 2. September ist der, wie ich finde, hervorragende US-Dokumentarfilm "The Judge and the General" im Netz abrufbar. Die für den Public Broadcasting Service (PBS) produzierte Doku beschreibt, wie der chilenische Richter Juan Guzmán ab 1998 und bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2005 gegen Augusto Pinochet und andere Täter der Diktatur ermittelte. Guzmán hatte 1998 eine Sammelklage von Angehörigen Ermordeter und Verschleppter übernommen, nicht weil er sich besonders für diese Fälle interessiert hätte, sondern weil es das interne Turnusverfahren des Gerichtshofs so ergab.

Die eigentliche Geschichte, die der Film erzählt, steckt denn auch weniger in der Tatsache, dass Guzmán erreicht hat, die Selbstamnestie der Militärs aufzuhebeln (was spannend genug ist), sondern in seiner Wandlung von einem stillen Befürworter des Pinochet-Regimes hin zu einem seiner gefährlichsten Verfolger. Der Richter, der weite Teile der Doku aus dem Off in sauberem Englisch selbst kommentiert, ist ein Schöngeist, ein Mann mit Siegelring und Manschetten, ein Antiquitätensammler. Einer, der ursprünglich Diplomat werden wollte. Die Begegnung mit den Opfern der Diktatur und die Indizien der fürchterlichen Verbrechen, die er im Laufe der Ermittlungen findet, öffnen ihm die Augen für eine Geschichte der Unmenschlichkeit, die er vorher völlig ausgeblendet hatte. "Ich hätte nie gedacht, dass unsere ehrenhafte Armee in solche Vorgänge verwickelt gewesen wäre", sagt Guzmán, "ich hatte das immer für kommunistische Propaganda gehalten."

Die Autoren des Films haben sich auf zwei Fälle konzentriert, in denen Juan Guzmán ermittelt hat: eine als Unfall kaschierte Hinrichtung im Rahmen der sogenannten Caravana de la Muerte sowie Folterung, Tötung und Verschwindenlassen zweier junger MIR-Aktivisten. Besonders perfide im letzteren Fall das Vorgehen des militärischen Geheimdienstes, der DINA: Die Agenten zwangen die Mutter der Ermordeten, den Aufenthaltsort des Paars preiszugeben, indem sie damit drohten, ihr die Enkelin - die Tochter der Ermordeten - wegzunehmen. "Ich hatte die Abgründe der menschlichen Natur durch die Literatur kennen gelernt", sagt Guzmán, "aber so viel Bösem hatte ich selbst nie ins Auge gesehen." Bei seiner Ermittlungsarbeit, etwa wenn er sich im forensischen Institut erklären lässt, weshalb die Bruchstellen am Schädel eines exhumierten Opfers auf eine Schussverletzung hinweisen, wirkt Guzmán hoch konzentriert, professionell interessiert, eher unbewegt. Seine Gegner haben ihm Profilierungssucht vorgeworfen, dieser Film belegt das nicht.

Kaum auszuhalten ist eine Szene, die den "Guatón Romo", den zu lebenslänglicher Haft verurteilten und im vergangenen Jahr gestorbenen Folterer Osvaldo Romo im Gefängnis zeigt: ein schmuddeliger, untersetzter Mann, der das Knastessen gierig in sich hineinschaufelt und kein Problem damit hat, die von ihm praktizierten Methoden zu erklären. Wie gesagt: unbedingt ansehen.

Montag, 25. August 2008

Allende in Klötze

Puerto Montt, unsere kleine, verregnete Stadt im Süden des Landes, besitzt etwas, was in Chile noch lange nicht Normalität ist: eine Salvador-Allende-Straße. Die steil ansteigende und ziemlich unansehnliche Ausfallstraße, die kürzlich bis zur Uferpromenade verlängert wurde (im Rahmen des Infrastrukturprogramms zur 200-Jahr-Feier der chilenischen Unabhängigkeit) dürfte sogar eine der größten und längsten im Lande sein. In Santiago gibt es lediglich eine Avenida Salvador Allende weit draußen an der Peripherie, dafür aber immer noch eine Avenida 11 de Septiembre zur dankbaren Erinnerung an den Putsch von 1973.

Was in Chile rar ist, gibt es andernorts zuhauf. Diese hübsche Website hat es sich zur Aufgabe gemacht, alle Salvador-Allende-Straßen und -Gassen, -Ruen und -Avenuen der Welt fotografisch zu dokumentieren. Auch Schulen, Krankenhäuser und Bibliotheken sind dabei, sowie ein Öltanker namens Pablo Neruda und ein Planet namens Víctor Jara. Mit Abstand führend bei der Allende-Ehrung per Straßenschild ist Frankreich. Weit abgeschlagen dahinter Deutschland, das, dem Osten sei Dank, immerhin an die zwei Dutzend Nennungen beisteuern kann. Wir erfahren von einer Allende-Schule in 38486 Klötze, aber auch von einem Allende-Haus in 45739 Oer-Erkenschwick. Das FDGB-Erholungsheim Salvador Allende im Templin ist freilich längst geschlossen und dem Verfall preisgegeben.

Samstag, 23. August 2008

Post hier, Post da


Es ist soweit: Ab sofort erscheinen Posts von mir auch auf den Seiten der taz-Blogs, und zwar unter http://blogs.taz.de/latinorama. Ebenfalls posten dort Florencia Abbate aus Buenos Aires, Gerhard Dilger aus Porto Alegre und Benjamin Kiersch aus Cochabamba bzw. Kreuzberg. Für Leser dieses Blogs ändert sich sonst nichts - was im tazblog erscheint, steht nämlich auch hier.

Freitag, 22. August 2008

Der Herr der Hiebe

Der gemeinste, verschlagenste, rücksichtsloseste Macho, den Chile je erlebt hat - er tobt sich Tag für Tag auf den Bildschirmen aus. José Luis Echenique heißt er, man kennt ihn aber auch als El Señor de la Querencia. José Luis ist Großgrundbesitzer, ihm gehört das Gut "La Querencia" im Norden von Santiago und im Jahr des Herrn 1920. Wen das Los getroffen hat, auf José Luis' Latifundium zu arbeiten, der muss mit dem Schlimmsten rechnen: Der patrón geht nicht nur gewohnheitsmäßig fremd und beutet seine Arbeiter nach Strich und Faden aus, er prügelt, vergewaltigt und mordet auch. Um anschließend in der gutseigenen Kapelle niederzuknien und um Vergebung zu bitten.



Das von Wikipedianern zusammengetragene Sündenregister des Gutsherrn ist beachtlich, und nicht von ungefähr hat die vom staatlichen Kanal TVN aufwändig produzierte Fernsehserie bereits zu erhitzten politischen Debatten geführt. Zu viel Gewalt, monieren die einen, zu viel nacktes Fleisch, die anderen (aus der katholischen Ecke). Schließlich die Vorwürfe aus der nationalkonservativen Ecke, der novela mangele es an historischer Exaktheit. Gutsherren als Mörder und Ehebrecher - da könne es sich nur um eine gezielte Verleumdungskampagne des von der Linken dominierten Senders handeln.

Dabei ist es gerade das Verdienst der Serie, den Großgrundbesitzer als Schwein darzustellen. In den vergangenen Jahrzehnten, zumindest in den Jahren der Diktatur, wäre das völlig unmöglich gewesen. Und dass es derartigen Machtmissbrauch gegeben hat, daran kann es keinen Zweifel geben. Weil den Machern der Serie der Sinn ganz offenbar danach stand, eine allgemeine Figur der chilenischen Geschichte und deren Nachwirkung im gegenwärtigen Machismo zu denunzieren, wirkt vor allem die Kritik von Laura Albornoz, der chilenischen Frauenministerin, befremdlich. Sie monierte die vielen Gewaltszenen (bei denen der Mann eindeutig der Aggressor ist) mit dem Argument, Frauen könnten auf die Idee kommen, das unterwürfige Verhalten der Protagonistinnen zu übernehmen - und Männer die dargestellten Gewaltorgien imitieren.

Über die künstlerische Seite der Serie, die Qualitäten des Drehbuchs oder der Schauspieler sprechen wir an dieser Stelle besser nicht, auch wenn manche chilenische novelas deutlich anspruchsvoller und komplexer sind als die venezolanische oder brasilianische Massenware, die hier selbstverständlich auch läuft. Wer nicht weiß, was "Overacting" bedeutet, kennt sich nach fünf Minuten aus: so viel aufgerissene Augen, so viele Ohnmachten und Wutausbrüche. Dazu dramatische Musik, alle paar Minuten ein Cliffhanger oder irgendjemand, der irgendjemand anderen bei irgendetwas Verbotenem überrascht. Aber davon wollten wir ja nicht sprechen.

Jetzt ist Hauptdarsteller Julio Milostich seine Rolle offenbar zu Kopf gestiegen. Der noch vor kurzem weitgehend unbekannte Schauspieler zertrümmerte die Einrichtung eines Restaurants und verletzte den Wirt schwer, am folgenden Tag ließ er sich freiwillig in eine psychiatrische Klinik einweisen. Das könnte problematisch werden, weil die Serie ja noch nicht zu Ende gedreht ist - aber mit so etwas werden erfahrene guionistas auch fertig.

Auch in Puerto Montt machte die Serie gestern wieder Schlagzeilen: Der Platzwart des regionalen Fußballstadions wurde von einer fünfköpfigen bewaffneten Bande überfallen, geschlagen und ausgeraubt. "Meine Frau und ich haben nicht mitbekommen, wie sie sich an der Tür zu schaffen machten", so das Opfer im Llanquihue, " wir waren so gefesselt vom Señor de la Querencia."

Ein wenig Poesie

Langsam reichte es: Die Wochen rund um die längste Nacht des Jahres am 21. Juni waren grau, kalt und verregnet. Der Aktionsradius in der freien Zeit verengt sich unter solchen Umständen meist auf die eigenen vier Wände, das Auto oder - horribile dictu - die Shopping-Mall.

Bei schlechtem Wetter (also sehr, sehr oft) ist Puerto Montt kein guter Ort für Depressive. Im Regen verschwimmen die Konturen der Stadt zu einer unansehnlichen Masse. Das Auge weiß gar nicht wohin schauen angesichts solchen Elends, aber der Blick geht im Regen ohnehin meist nach unten. Das Meer ist kein Meer, sondern ein großer, bleierner Tümpel, die Berge gibt es nur noch in der Erinnerung. Die Luft ist kalt, feucht und voller Rauch. An solchen Tagen wünscht man sich weit weg von hier.

Aber plötzlich dreht der Wind auf Süd und die Stadt ist eine andere. Kalt ist dieser Südwind, kalt und trocken, er schiebt die Wolken an die oberen Ränder der Berge, die darunter wieder erscheinen, mit weiß verschneiten Gipfeln über der Bucht, deren dunkelblaues Wasser lustvoll an die Ufermauern brandet. Plötzlich ist das Meer wieder Meer, sind Möwen da, die Achterbahn spielen mit dem Wind. Über den Hafen segeln Pelikane - wo waren die eigentlich vorher?

Die Farben kehren in der Sonne, die längst wieder Kraft gesammelt hat, mit Wucht zurück, auch auf all den schäbigen Holzfassaden , von denen der Lack abblättert. Das Rot ist wieder ein Rot, das Türkis ein Türkis, das dunkle Gelb, das bei Regen wie Erbrochenes aussieht, leuchtet so warm, dass man es dem Hund gleichtun möchte, der sich vor der Haustür ausstreckt und sich nicht mehr vor Kälte einrollen muss wie eine Schnecke.

Die Straßen sind mit einem Mal voller Menschen. Horden von Schülern lungern lachend in der Sonne herum. Es riecht nach Sommer, trotz aller Kälte, die der Südwind mit sich bringt. Nach langen Tagen, nach Ausflügen, nach Bootsfahrten und Grillen im Garten. Noch ist es lange nicht soweit. Aber Tage wie dieser machen Wochen schlechen Wetters wett.

Dienstag, 19. August 2008

Tod einer Sozialistin

Gestern Nachmittag wurde Carmen Lazo auf dem Hauptfriedhof von Santiago zu Grabe getragen. Hunderte begleiteten den Sarg durch die Straßen der Innenstadt, am Friedhof gesellten sich mehrere Minister und andere hochrangige Politiker der Sozialistischen Partei hinzu. Die Sozialistin Carmen Lazo - la negra Lazo, so ihr Spitzname, der auf ihre dunkle Hautarbe anspielte - war am Montagabend im Alter von 87 Jahren auf dem Flughafen von Santiago einem Herzinfarkt erlegen, nachdem sie in La Serena an einer Veranstaltung im Vorfeld der landesweiten Kommunalwahlen teilgenommen hatte.

Viel zu hören war in den letzten Jahrzehnten nicht von Carmen Lazo, aber sie war ein fester Bestandteil des politischen Inventars Chiles - das, was man gerne auch "Urgestein" nennt. 1920 am Rande der Kupfermine von Chuquicamata geboren, trat sie mit 13 Jahren der Sozialistischen Jugend bei - also 1933. Seitdem hat sie ununterbrochen für die Partei gelebt und gekämpft, acht Jahre lang als Kongressabgeordnete, bis zum Putsch im Jahr 1973. Sie verbrachte 14 Jahre im venezolanischen Exil, kehrte zurück und versuchte noch zweimal, wieder ins Parlament einzuziehen, allerdings ohne Erfolg. Wie man sich eine Mittachtzigerin vorzustellen hat, die großmütterlich-würdevoll über ihre unverbrüchliche Treue zu den sozialistischen Idealen spricht, zeigt dieser Ausschnitt aus einem erst vor kurzem geführten Interview.



An der Totenwache hatten auch Präsidentin Michelle Bachelet und die gesamte sozialistische Prominenz teilgenommen, und hier, am offenen Sarg der negra Lazo, stießen noch einmal zwei Welten zusammen: die der sozialistischen Traditionen, der erhobenen Fäuste und Gesänge, und die der regierenden Pragmatiker, die ihren Frieden mit einem System gemacht haben, das allen politischen Zielen der Arbeiterbewegung Hohn spricht - der amtierenden Realsozialisten, wenn man so will. In diesem kleinen Video sieht man alle gemeinsam die "sozialistische Marsellaise" singen, die offizielle Hymne der Partei:

Contra el presente vergonzante
el socialismo surge ya.
Salvación, realidad liberante,
que ha fundido en crisol la verdad,
que ha fundido en crisol la verdad.

Sellaremos con sangre en la historia,
nuestra huella pujante y triunfal.
El Partido dará a los que luchan
digno ejemplo de acción contra el mal.

Socialistas a luchar,
resueltos a vencer,
fervor, acción hasta triunfar
nuestra revolución.

Arriba el socialismo obrero,
que es nuestra liberación.

Militantes puros y sinceros,
prometamos jamás desertar,
prometamos jamás desertar
Reafirmemos la fe socialista,
que es deber sin descanso luchar
contra el pulpo del imperialismo,
que a los pueblos desea atrapar.

Socialistas a luchar, resueltos a vencer,
fervor, acción hasta triunfar
nuestra revolución.

Ich will das jetzt nicht alles übersetzen, besonders schön ist aber die Stelle mit dem pulpo del imperialismo: Die Pflicht der Sozialisten, heißt es da, sei der unermüdliche Kampf gegen den "Kraken des Imperialismus", der die Völker einzufangen trachtet. Manche der Sänger müssen da wohl aufpassen, dass sich ihnen die Zunge nicht verknotet wie ein Krakententakel. Andererseits: Wenn auf heutigen SPD-Parteitagen "Brüder zur Sonne" angestimmt wird, ist das auch nicht weniger befremdlich.

Montag, 18. August 2008

DDR

Immer mal wieder stolpert man unverhofft über die totgeglaubte DDR - sei es beim Studieren von Laptop-Spezifikationen, sei es am Frühstückstisch in Chile:

Auf der Haferflockenpackung bedeutet "DDR" übrigens Dosis Diaria Recomendada, also die "empfohlene Tagesdosis" von Kalorien, Fetten und Ballaststoffen.

Sonntag, 17. August 2008

Bariloche

Wir waren nebenan, in Argentinien. Dem katholischen Feiertagskalender hatten wir ein verlängertes Wochenende zu verdanken, das wir in San Carlos de Bariloche verbrachten, bzw. auf dem Hin- und Rückweg, der nicht allzu weit ausfällt, aber oben auf dem Andenpass tief verschneit und entsprechend unwegsam ist: Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich einem Auto Schneeketten angelegt.

Bariloche ist genau, wie es sich die Chilenen vorstellen, die noch nicht dort waren, und wie die, die dort waren, zu berichten wissen: reich und schön. Schön vielleicht nicht der Ort selbst, mit seiner pseudo-schweizerischen Architektur, aber fraglos die Umgebung: die im Winter tief verschneite Ostseite der Kordillere, Tannenwälder, monumentale Felsen, blaue Seen mit weißen Gischttupfern auf den Wellenkämmen. Das Wintersportgebiet Cerro Catedral mit seinen rund 40 Sesselliften und Kabinenbahnen, unzähligen Pisten und Panoramablick auf den Nahuel-Hapi-See ist auch für Nicht-Skifahrer schlicht überwältigend.

Armut sieht man in Bariloche nicht, dafür viele, sehr viele wohlhabende Touristen aus Buenos Aires, aus Chile, aus Brasilien. Auf der Geschäftsstraße Bartolomé Mitre reiht sich Boutique an Boutique und Pub und Club, und dazwischen locken die Chocolaterías, wo die Produktion von Bariloches Schokoladenindustrie angeboten wird. Es ist der zweitwichtigste lokale Wirtschaftszweig nach dem Tourismus, für den die Stadt vor hundert Jahren in diese Postkartenlandschaft gesetzt wurde.

Auch als Wahlchilene fühlt man sich wohl in Bariloche: Die Menschen sind selbstbewusster hier, aber dennoch freundlich, die Luft ist kalt und wunderbar trocken, und weil Argentinien billiges Erdgas fördert, heizt niemand mit feuchtem Brennholz. Gut sind nicht nur Ski und Rodel, sondern auch Pizza und Pasta. Unbeantwortet bleibt vor allem eine Frage: Warum fahren so viele Argentinier Autos mit dem Baujahr 70+x? Staubige, verbeulte R4s, Fiats, Peugeots und Enten rumpeln über die Straßen. Nicht ganz so rätselhaft ist ein Volksvergnügen der Barilocher, dem wir uns spontan anschlossen: An windigen Tagen (und das sind die meisten) stellt man sich mit seinem Pkw an den See, in der Nähe des Schiffsanlegers. Dann wartet man, bis sich die Wellen an der Uferkante brechen und Waschanlage spielen. Das fetzt.

Mittwoch, 13. August 2008

Extrem feucht

Der Winter nimmt kein Ende. Nieselregen, Sprühregen, Platzregen, Eisregen, nichts bleibt uns erspart. Es regnet Bindfäden, Hunde, Katzen, Frösche und Kröten, es schüttet aus Eimern, Kübeln, Fässern. Dass zwischendurch immer wieder die liebe Sonne scheint und hundert Regenbögen blühen lässt, ist ein schwacher Trost, wenn es um unsere Wäsche geht: die zu trocknen, bleibt ein aufwändiges Unterfangen.

Einen Wäschetrockner wollten wir uns nicht anschaffen, da schlug unser grünes Herz zu laut in der Brust. Und der Strom wird einem ja auch nicht geschenkt in Chile. Also geht der Weg zu frischer Wäsche so: Sobald es draußen aufklart, wird die Waschmaschine angeworfen. Oft reicht es, noch einmal das Spülprogramm einzustellen - dann nämlich, wenn die Wäsche bereits mehrmals durchgewaschen ist, aber immer kurz vor dem letzten Schleudern wieder die ersten Tropfen ans Fenster klatschten. Im Garten hinterm Haus wird der Inhalt der Maschine in den Wind gehängt, der hoffentlich auch noch weht. Dann heißt es, den Himmel nicht aus dem Auge zu verlieren.

Für die ökologischsten Spülgänge sorgt die Natur selbst.

Kündigt sich die nächste Niederschlagsphase an, wird die halbtrockene Wäsche hektisch eingesammelt und ins Haus gebracht. Hier darf sie in unserem zweiten ebenerdigen Raum hängen, der im Gegensatz zum Wohnzimmer nicht über einen Ofen verfügt und aufgrund der Vorliebe warmer Luft, in obere Stockwerke aufzusteigen, praktisch unheizbar ist. Im familieninternen Jargon heißt er nur "das Eiszimmer". Hier verlangsamt sich der Trocknungsprozess dramatisch, wird aber immerhin nicht ins Gegenteil verkehrt.

Kein Wäschetrockner der Welt schafft eine derart behagliche Stimmung in der Wohnung.

Am Ende der Kette steht der triumphale Einzug der Wäsche ins Wohnzimmer, wo sie auf einem mobilen Ständer oder über Stuhllehnen in der Nähe der zentralen Wärmequelle platziert wird. Besuch kann man unter diesen Umstände nicht mehr empfangen. Ungeduldig, wie ich bisweilen bin, habe ich freilich eine Technik entwickelt, die das Prozedere noch beschleunigt: "vertikales Trockenbügeln" wäre ein angemessener Begriff dafür. Es besteht darin, alle Wäschestücke nacheinander mit einer ausgefeilten Methode an bzw. um das heiße Ofenrohr zu halten, bis die Restfeuchtigkeit entwichen ist. Kragen, links, rechts, unten, Ärmel, Ärmel. Linkes Hosenbein, rechtes Hosenbein. Diese Tätigkeit hat etwas Beruhigendes, beinahe Meditatives. Brennt der Ofen mit Höchstleistung und enthält die Wäsche noch viel Wasser, ist manchmal ein leichtes Zischen zu hören. Vorsicht mit Wolle: der Geruch der angesengten Fasern ist schwer zu ertragen.

So geht das, Woche für Woche. Wir klagen nicht. Wichtig ist es, die Feuchtigkeit im Haus durch kontrollierten Durchzug wieder zu senken. Das geht natürlich nur, wenn die Luft draußen nicht auch schon wieder voller Wasser steht. Als zweckdienlich hat sich erwiesen, den Tau, der sich an den dünnen Einfachfenstern niederschlägt, regelmäßig abzuwischen, so dass erneut Kondensation an den kalten Scheiben stattfinden kann. Wo Bücher oder andere empfindliche Objekte im Haus geschützt werden müssen, hat sich die Bola Seca bewährt (s. Abb.). Weil es manchmal Lieferengpässe gibt, sind die Nachfüllpacks im Supermarkt oft schon Stunden nach Bestückung der Regale abverkauft.

Mit Zusatznutzen, weil: Beugt da Vermehrung von Milben.

Dienstag, 12. August 2008

Urbanalisierung

Puerto Montt ist nicht eben reich an historischen Gebäuden, ich hatte es an anderer Stelle erwähnt. Und auch das wenige, was an alter Bausubstanz noch vorhanden ist, droht in den kommenden Jahren zu verschwinden.

Manchmal stolpert man zwischen Betonquadern und Wellblechzäunen ganz unverhofft über irgendein Wohnhaus mit jahrzehntealter Patina. Nicht dass es das Zeug für einen Reiseführereintrag hätte, aber es erzählt eine Geschichte - selbst wenn man nicht erfährt, welche. Steht es an exponierter Stelle, sind seine Überlebenschancen schlecht: Seit mehreren Jahren erlebt die Stadt einen regelrechten Bauboom, Immobilienfirmen aus Santiago ziehen innerhalb weniger Monate 15- bis 20-geschossige Wohn- und Geschäftstürme hoch, die Grundstückspreise sollen nirgendwo außerhalb der Hauptstadt so hoch sein wie im Zentrum von Puerto Montt.

Sicher, es gibt den Plan Regulador, einen kürzlich novellierten Masterplan für die schnell wachsende Stadt, aber grundsätzlich hat die Politik wenig in der Hand, um zu verhindern, dass achtzigjährige Veteranen mit Satteldach und Holzfassade Gebäuden weichen, deren Dimensionen die umgebenden Viertel sprengen und deren wahre Schönheit nur erkennt, wer eines der exklusiven Apartments sein eigen nennt und von hoch oben den unverstellten Blick über die Bucht genießt. Vielleicht fehlt auch der Wille.

Urbanalización nennt man in Spanien die fortschreitende Standardisierung der Innenstädte, schrieb vor kurzem ein Kolumnist der Tercera. Längst habe die Urbanalisierung auch Chile erreicht: "Die Spuren der deutschen, britischen, französischen Einwanderer, die koloniale Vergangenheit verschwinden hinter riesigen Leuchtreklamen oder werden gleich demoliert. Ob man heute durch die Innenstädte von Iquique, Talca, Valdivia, Castro oder Antofagasta läuft, es macht kaum einen Unterschied. Überall die gleichen Schilder und Schaufenster wie in Santiago, überall dieselbe Ästhetik, die irgendein Designer in Ohio geschaffen hat."


Auf diesem Bild ist eines der ältesten Gebäude von Puerto Montt zu erkennen, keine Schönheit, aber mit dem Erbauungsjahr 1891 für hiesige Verhältnisse ein Methusalem. Bis vor kurzem beherbergte es eine Sprachenschule, ein studentisches Café und eine traditionsreiche Billardkneipe. Alle drei sind ausgezogen, demnächst wird abgerissen. Das Hochhaus, das an dieser Ecke entsteht (so wird es aussehen), beherbergt dann den regionalen Sitz der chilenischen Baukammer.

Sonntag, 10. August 2008

Tage

Heute war Tag des Kindes. In Chile, Argentinien und Uruguay feiert man den von der UNO für alle Staaten empfohlenen Weltkindertag immer am zweiten Sonntag im August (in Deutschland begeht man ihn aus historischen Gründen gleich zweimal, am 1. Juni und am 20. September). Freilich reiht sich das Datum hierzulande in eine unüberschaubare Fülle von Gedenk- und Jubeltagen ein, die all den gesellschaftlichen Gruppen und Berufsständen gewidmet sind, denen wir irgendwie und irgendwann einmal Danke sagen sollten. Da gibt es den Tag des Polizisten (Día del Carabinero de Chile, 27. April), den Tag der Krankenschwester (Día de la Enfermera, 12. Mai), den Tag des Feuerwehrmanns (Día del Bombero, 30. Juni) und den Tag der Hebamme (Día de la Matrona, 31. August). Dem mit viel Tschingderassabumm begangenen Tag der Streitkräfte (Día de las Fuerzas Armadas, 19. September) folgt der weitaus dezentere Tag des Rundfunkarbeiters (Día del Trabajador Radial, 21. September). Am 16. Oktober feiern die Schüler den Tag des Lehrers (Día del Profesor) und am 1. Dezember die chronisch Kranken den des Apothekers (Día del Químico Farmacéutico). Das ist selbstverständlich nur eine Auswahl, und von den Monaten (Mai: Monat des Meeres, September: Monat des Vaterlands) wollen wir gar nicht erst anfangen.

An S.' und B.'s Schule beging man den Tag mit einem mehr oder weniger freudlos inszenierten "Trubel" in der Turnhalle.

Anliegen der UNO war es, mit dem Tag des Kindes insbesondere an die Kinderrechte zu gemahnen. In Chile - und nicht nur hier - geht es freilich in erster Linie um das Recht, sich zu amüsieren. Die Kaufhausketten hatten in den vergangenen Wochen große Sonderverkaufsflächen für Spielzeug freigeräumt, überall gab es Einladungen zu Spaßveranstaltungen. Wir wollten da nicht nachstehen und sind in Kung Fu Panda gegangen. Wegen des Kindertags war die Vormittagsvorstellung verbilligt, und mit den abgerissenen Schnipseln der Eintrittskarten wurden vor Beginn des Films ein paar Tamagotchis verlost, auf Wunsch der Multiplex-Geschäftsführung, wie der Mann an der Lostrommel etwas lustlos verkündete. Der Film war natürlich höchst unterhaltsam. Gar nicht lustig fand ich mal wieder, dass sich die Kinoleute nicht die geringste Mühe machen, ihre Trailer nach Hauptfilm und Tageszeit auszuwählen. Wenn B. heute nacht von Menschen mit blutigen Augen träumt, oder von Leichen, die unter einer Eisdecke treiben, wundert mich das nicht - demnächst läuft hier "X-Files - I want to believe" an.

Und noch was zum Kindertag: Reichlich verspätet, aber umso ausführlicher ist der "ausgezeichnete Artikel der Woche" in der spanischsprachigen Wikipedia ... über Eisbär "Knut".

Samstag, 9. August 2008

Bilder

Aus gegebenem Anlass weise ich noch einmal darauf hin, dass sich hinter diesem Link viele schöne Bilder verbergen, die es nicht ins Blog geschafft haben - und beinahe täglich kommen neue hinzu. Auf Wunsch stelle ich gerne einen erweiterten Link zur Verfügung, der auch Szenen aus dem Familienleben sichtbar macht.

Freitag, 8. August 2008

Bildungsvorteil

Mehrsprachig und durchtraniniert - den Absolventen dieses Kindergartens in Puerto Montt steht die Zukunft offen.

Donnerstag, 7. August 2008

TransPacífico

Einem Schweizer Freund, der selbst lange Jahre in Chile gelebt hat, verdanke ich den Hinweis auf die "Leserreise Schönheiten Chiles", die im ICE-Bordmagazin angepriesen wird.

Die 15-tägige Reise im exklusiven Sonderzug TransPacífico führt durch eines der spannendsten Länder Südamerikas: Chile vereint landschaftliche Kontraste wie Wüsten, Vulkane, Seen und Fjorde. Acht dieser Regionen werden auf der Leserreise erkundet.

Eine tolle Sache: Man tingelt zwei Wochen durch Mittel- und Südchile, allerdings nicht immer auf Schienen, wie es das Angebot suggeriert. Die wirklich interessanten Abstecher auf der mit "ab 4.920 Euro pro Person" nicht eben billigen Reise werden meist per Bus angefahren. Das muss auch so sein, denn weit verzweigt war Chiles Schienennetz schon aufgrund der Geografie des Landes noch nie, und trotz aller Anstrengungen, die die Regierung von Ricardo Lagos (2000-2006) unternommen hat, um die Eisenbahn als Verkehrsmittel wiederzubeleben, hat diese Art der Fortbewegung nur auf wenigen, recht kurzen Streckenabschnitten in Hauptstadtnähe größere Bedeutung.

Besonders traurig ist das gerade im Fall von Puerto Montt: Hier wurde Mitte der Neunzigerjahre die traditionsreiche Zugverbindung nach Norden gekappt, der kleine Bahnhof in der Stadtmitte wich der riesigen Shopping-Mall. Unter Lagos wurde beschlossen, die Anbindung wiederherzustellen, allerdings entstand der neue "Hauptbahnhof" nicht im Stadtzentrum, sondern weit oben am Stadtrand, auf dem Gelände des Güterbahnhofs. Das hübsch moderne Gebäude aus Stahl, Holz und Glas steht heute verwaist herum, denn schon nach wenigen Monaten stellte die staatliche Eisenbahngesellschaft EFE den Betrieb auf dem südlichsten Abschnitt wegen mangelnder Wirtschaftlichkeit wieder ein. Die De-Facto-Stilllegung ist Teil der Skandalgeschichte von EFE, dessen einstiger Chef heute wegen Untreuevorwürfen vor Gericht steht. Die puertomontinos und ihre nördlich angrenzenden Nachbarn sind tieftraurig über den erneuten Verlust der Eisenbahn, aber den extrem unpünktlichen und störungsanfälligen Zügen, die man in Spanien vor dem Schrottplatz gerettet hatte, trauert auch niemand nach.

Auch der Bahnhof im benachbarten Puerto Varas sieht nur noch selten einen (Güter-)Zug.

Ach ja, der "TransPacífico": Die "Leserreise im exklusiven Sonderzug" (hier das nicht weniger exklusive Prospekt des Anbieters) ist sicherlich ein Erlebnis, das man nicht so schnell vergisst. Freilich weist schon die Binnenmajuskel darauf hin, dass das Ganze eine Idee aus dem Land von BahnCard und HafenCity ist. Kein Chilene hat vermutlich je von jenem legendären Zug gehört, der da für teuer Geld Touristen durchs Land kutschiert. Kein Zweifel, er wird fahren, auch auf "unserer" Strecke, über die sonst nur zwei- oder dreimal in der Woche ein Güterzug mit Lachsfutter rollt. Aber von Tradition, wie sie hier suggeriert wird, kann nicht die Rede sein, und schon der Name passt beim besten Willen nicht zu einer Bahn, die parallel zur Pazifikküste unterwegs ist.

Besonders "interessant" fand unser Schweizer Freund den

3. Tag: Das Programm startet mit der Besichtigung eines Weinguts (mit Weinprobe). Der TransPacífico fährt dann am frühen Abend nach Valparaíso. Abendessen und Übernachtung im Zug.

Die Fahrt von Santiago nach Valparaíso, muss man wissen, dauert auch bei gemächlichem Tempo höchstens zwei Stunden. Aber in einem stehenden Zug schläft es sich ja auch viel besser - meint jedenfalls die Deutsche Bahn.

Dienstag, 5. August 2008

Gracias


Chiles Energieminister Marcelo Tokman hat die neue Kampagne Gracias por tu energía vorgestellt, die das alte Ahorra Ahora ablöst. Der nachdrückliche Aufruf zum Energiesparen vor fünf Monaten sollte angesichts der anhaltenden Trockenheit, ausbleibender Gaslieferungen und anderer Misslichkeiten Schlimmeres verhindern. Hat er auch, so Tokman: Im Zeitraum März-Juni des laufenden Jahres verbrauchten die privaten und öffentlichen Nutzer des zentralchilenischen Verbundnetzes 4,2 Prozent weniger Strom als im Vorjahreszeitraum. Hinzu kommt, dass die winterlichen Regenfälle den Pegel der Stauseen auf ein akzeptables Niveau angehoben haben - die Generatoren der Wasserkraftwerke können sich also weiter auf Hochtouren drehen.

Die Kampagne unter dem Motto "Danke für deine Energie" soll nun das positive Szenario nutzen, um die neu antrainierte Sparsamkeit der Chilenen in Sachen Energieträger zu verfestigen. Dass es tatsächlich Menschen gibt, die sich fürs Gemeinwohl zu zweit unter die Dusche stellen (und nicht, weil es billiger ist oder einfach mehr Spaß macht), muss als unwahrscheinlich gelten, aber so ernst sollte man das Ganze ohnehin nicht nehmen:

"Unser Dank an die, die gemeinsam duschen und auch den letzten Tropfen nutzen.
Unser Dank an die, die Löffelchen machen und sich an ihrem Partner wärmen.
Unser Dank an die, die es lieber im Dunkeln tun und sich mit einem Kuss entzünden.
Unser Dank an alle, die Strom, Gas und Wasser sparen - machen wir weiter so!"

Montag, 4. August 2008

Das erste eigene Buch

Wie billig das Leben in Chile für uns Europäer tatsächlich ist, diese Frage ist nicht restlos geklärt. Es kommt auf das gesellschaftliche Umfeld an, in dem man sich niederlässt, auf die spezifischen Bedürfnisse in Sachen Wohnen, Ernährung, Mobilität, Kommunikation und Kultur. Wer kein Problem damit hat, auf der 1000-Kilometer-Fahrt in die Hauptstadt im Reisebus zu übernachten, lebt preiswert, wer fliegen muss, nicht so sehr. Wer täglich lecker Weißbrot isst, zahlt fürs Kilo keinen Euro, das exquisite Vollkornprodukt ist nicht so billig zu haben. Mitunter nimmt man auch neue Konsummuster an, weil die Verhältnisse eben nicht so sind: Ein Auto kompensiert den lückenhaften öffentlichen Verkehr, ein Haus mit Garten den Mangel an Grünanlagen usw. Das kostet.

Trotzdem ist fast alles billiger als in Deutschland - mit Ausnahme von Büchern. Gedrucktes ist in Chile ein ziemlich teurer Spaß, obwohl das Lesen in der Theorie einen hohen Stellenwert genießt: In Santiago werden Werke der Weltliteratur als Raubkopie auf dem Bürgersteig verkauft, und die Metro unterhält für ihre Fahrgäste eine eigene Leihbibliothek mit mehren Filialen. Seit Jahr und Tag wird gefordert, Bücher von der 19-prozentigen Mehrwertsteuer zu befreien. Dass der Lesestoff so viel kostet, erklären manche damit, dass der chilenische Markt zu klein ist - zumindest was die Werke einheimischer, im Ausland unbekannter Autoren betrifft, könnte das ein Grund sein. Wie die Verlage ihre hochpreisigen Produkte doch noch an den Mann zu bringen versuchen, konnten wir jüngst erleben.

Als wir die Einladung zu einer Buchpräsentation in einem der besseren Hotels der Stadt erhielten, waren wir ein wenig erstaunt: J., so hieß es, habe an einem Buch mitgeschrieben, das wir uns - absolutamente gratuito - unter Vorlage der Einladung abholen könnten. Auf der Karte prangte das Logo des chilenischen Bildungsministeriums. Dass J. mit seinen vier Jahren ein Doppelleben als Autor führte, konnten wir uns nicht vorstellen, aber die Neugier war geweckt. Im "Diego de Almagro" wurden wir von einer jungen, dunkel gekleideten Dame willkommen geheißen und in einen Konferenzraum gebeten, wo an mehreren Tischen Familien saßen und anderen jungen, dunkel gekleideten Damen lauschten.

"Wenn Sie möchten, werde ich Ihnen die Geschichte vorlesen, die Ihr Sohn geschrieben hat", sagte die junge Dame und zeigte auf ein Paperback mit dem Titel Escuchemos al Futuro*. Es handelte sich um Band 58 einer Reihe, die im Rahmen der ministeriellen "Kampagne zur Förderung und Entwicklung der Kinder- und Jugendliteratur in Chile" auf vielen tausend Seiten Geschichten chilenischer Grundschüler publiziert. Aller Grundschüler, um genau zu sein (außer B., wie dieser konsterniert feststellen musste). Natürlich hatte J. die Geschichte mit dem Titel "Der dickköpfige kleine Wolf" nicht selbst verfasst, vielmehr firmierten alle Kinder seiner Vorschulgruppe als Verfasser des Textes, den uns die junge Dame nun mit großem Ernst vorlas. Sie handelte von einem Wolf namens Juanito, der entgegen dem Rat seiner Mutter Gras gefressen hatte, Bauchschmerzen bekam und zum Doktor musste.

"Bitteschön, dein erstes eigenes Buch", lächelte die junge Dame und schob J., der sie verständnislos ansah, den Band über den Tisch. "Wir vom Verlag Océano", fuhr sie an uns gerichtet fort, "würden gerne die Gelegenheit nutzen, Ihnen ein interessantes Angebot zu unterbreiten. Haben Sie noch ein bisschen Zeit?" Da lag also der Hase im Pfeffer: eine Art Public Private Partnership. Der Verlag druckt den Kinderkram gratis fürs Ministerium und darf im Gegenzug Werbung in eigener Sache machen. Aber gut, wir wollten keine Spielverderber sein.

Die junge Dame präsentierte uns das hier. Und das. Und das und das. "Normalerweise kosten diese Bücher zusammen rund 430.000 Pesos", sagte die junge Dame, "aber heute haben Sie die einmalige Gelegenheit, alle für 385.000 Pesos zu erwerben. Und das Beste: Sie bekommen ein Kinderfahrrad als Geschenk dazu." Das war der Köder, B. schluckte ihn sofort. Das in der Mitte des Raums aufgestellte Fahrrad war ihm gleich aufgefallen. Sein eigenes hatte er in Deutschland zurücklassen müssen. Allzu übel sah diese hier nicht aus, aber wir mussten doch noch einmal nach dem Preis fragen. 385.000? Das sind, Moment ... 480 Euro. Vierhundertachtzig Euro. Für acht Bücher in sehr bescheidener Druckqualität. Wir versprachen, das Angebot zu überdenken und suchten das Weite.

Jetzt schulden wir B. ein Fahrrad.


* frei: "Lasst uns der Zukunft lauschen"

Sonntag, 3. August 2008

Petrohué 2

Wir waren nochmal bei den Saltos del Petrohué. Das schlechte Wetter steht den Wasserfällen ausgesprochen gut.

Freitag, 1. August 2008

Halb blind durch die Stadt

Tuerto heißt "einäugig", ein schönes Wort für einen weniger schönen Sachverhalt. Schön allein deshalb, weil sich das Spanische die Mühe macht, eine eigene Vokabel dort bereitzustellen, wo das deutsche Attribut lediglich aus einer quasi technischen Beschreibung besteht. Egal: Tuerto ist in diesem Fall unser Auto, denn vorne rechts leuchtet nur ein müdes Standlicht, und eine frische Glühlampe brennt innerhalb von Minuten durch. Ein Kurzschluss, irgendwo. Abhilfe zu schaffen ist komplizierter, als es scheinen könnte: Die Mechaniker von Puerto Montts größter Werkstatt, in deren Hände wir den Schlüssel unseres Chevrolets mittlerweile vertrauensvoll legen, zucken hilflos mit den Schultern. Keiner von ihnen hat Kfz-Elektriker gelernt, und mal im Vertrauen, sagt der Chef, ich kenne keinen Meister in Puerto Montt, der so was macht.

Es ist natürlich ein mittelschwerer Skandal, dass man in einer 200.000-Einwohner-Stadt seinen Scheinwerfer selbst reparieren soll, aber so betrachtet nimmt es nicht Wunder, dass hier derart viele Fahrzeuge halb blind unterwegs sind. Die sonst wenig tolerante Polizei scheint es auch nicht zu stören, vermutlich ist ihr der Missstand bekannt.

Überhaupt, das Autofahren. Erst einmal wirkt das Geschehen auf den Straßen der chilenischen Provinz außerordentlich geordnet. Es gibt wiedererkennbare Verkehrsschilder sowie Schlaglöcher in überschaubarer Zahl, die Ampelanlagen funktionieren und - anderswo auf dem Kontinent undenkbar - die Fahrer bleiben im Gegensatz zu den Fußgängern tatsächlich bei Rot stehen.

Hat man als Zugezogener aber Vertrauen geschöpft und die anfängliche Vorsicht abgestreift, stößt man allenthalben an seine Grenzen: Fahrspuren, denen man kilometerweit durch die Stadt gefolgt ist, enden ohne Vorwarnung auf einer Verkehrsinsel oder verschmelzen irgendwie mit einer zweiten. Fußgänger laufen unvermittelt über einen der vielen Zebrastreifen, die hier selbst Durchgangsstraßen kreuzen. Ein vermeintlicher Schleichweg entpuppt sich plötzlich als Einbahnstraße, die man in der falschen Richtung befährt (ein Schild gibt es nicht, aber die Einheimischen wissen es ja), und mit einem Mal lernt man den Wert reflektierender Farbe zu schätzen, mit der in Deutschland die Streifen auf die Fahrbahn gemalt werden. Hier sind diese Streifen bei Dunkelheit und Regenwetter: weg.

Erstaunlich also, dass so wenig zerbeulte Karosserien unterwegs sind, ja dass es nicht ständig von allen Seiten knallt und scheppert. Das liegt am Fahrstil, den hier die meisten pflegen, und den man sich tunlichst anzugewöhnen hat: sehr defensiv, sehr betulich, erstaunlich entspannt. Natürlich ist hin und wieder irgendein Idiot unterwegs, aber die Kampfstimmung, die auf Berliner Straßen herrscht, das Aggressive, Rechthaberische, das Hupen hinter einem, wenn die Ampel vor Millisekunden auf Grün gesprungen ist, das Drohen und Drängeln sind hier kaum bekannt. Und das ist, man kann es nicht anders sagen, sehr gut so.

Natürlich geht es im chilenischen Verkehr trotzdem nicht ohne Unfälle ab. Wir wollten deshalb unlängst ein "Sicherheitspack" erwerben, das bei Líder im schicken Filz-Etui angeboten wird. Abstand vom Kauf nahmen wir, als wir bei mehreren Stichproben den Inhalt der Verbandskästen begutachtet hatten, die zusammen mit winzigen Feuerlöschern und Warndreiecken in der Tasche stecken. Die Plastikschachteln, die offensichtlich noch als Hüllen für VHS-Kassetten hergestellt wurden, enthalten: zwei Ohrenstäbchen, zwei Wundpflaster, zwei Kopfschmerztabletten und einen Wattebausch. So geht's dann auch wieder nicht.