Montag, 23. Juni 2008

Calbuco


Der Charme der meisten Städte im Süden Chiles erschließt sich ausländischen Besuchern nur langsam, wenn überhaupt. Wo es einmal interessante Bauwerke gegeben hat, sind sie meist dem großen Erdbeben von 1960, irgendeinem Großbrand oder der Grundstücksspekulation zum Opfer gefallen. Die meisten Orte haben öde Schachbrett-Grundrisse, sind hoffnungslos verbaut und leiden - zumindest aus europäischer Perspektive - unter ihrer Geschichtslosigkeit. Im Gegensatz zu Puerto Montt, das gerade einmal 150 Jahre alt ist, kann die kleine Schwesterstadt Calbuco immerhin auf stolze vier Jahrhunderte Historie zurückblicken. 1602 als spanisches Fort auf einer kleinen Insel am oberen Ende des Golfs von Ancud gegründet, hat es die ganze Zeit über durchgehalten, während auf dem Festland die Mapuche ihr angestammtes Gebiet über viele hundert Kilometer nach Norden erfolgreich verteidigten.

Spuren der Kolonialgeschichte sollte man aber in Calbuco besser nicht suchen. Auch wenn der Turistel, der - wenn man so will - chilenische Baedeker, zuverlässig freundliche Worte findet: Bis auf ein verrostetes Kanonenrohr und ein backsteinernes Türmchen von zweifelhafter Authentizität herrscht hier vor allem Gegenwart. Sympathisch ist Calbuco trotzdem. Im Gegensatz zu "Puerto", wie man unseren Wohnort in der Umgebung nennt, ist das 30.000-Einwohner-Städtchen angenehm entspannt. Die Insel, auf der es liegt, ist längst über einen kleinen Damm mit dem Festland verbunden, das Gefühl der Abgeschiedenheit aber bleibt. Arbeit gibt es hier vor allem in der industriellen Lachsverarbeitung, den Rest bestreiten kleine Fischereibetriebe und Muschelzuchten.

In Calbuco ticken die Uhren deutlich langsamer. Die Stadt ist arm, trägt ihr Schicksal aber mit Würde. Das liegt vielleicht auch an der wunderschönen Lage, an dem weiten Blick übers Wasser und benachbarte Inseln bis zu den Vulkanen am Horizont. Wenig Autos fahren hier, die Leute gehen viel zu Fuß, von der Anlegestelle für die kleineren Boote im Norden, quer über den Hügel mit den windschiefen bunten Häusern, den Kramläden und Spelunken, über die plaza, auf der sich die Jugend im Skaten versucht, bis zum Hafen im Süden, wo die großen Fischerboote festmachen. Man kennt sich. Wen man nicht kennt, dem schaut man hinterher. Uns wurde dauernd hinterhergeschaut. Nicht unfreundlich, eher fragend: Touristen? In Calbuco?

Wir fahren sicher nochmal hin.

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