Der Kauf auf Pump ist den Chilenen während der vergangenen Jahrzehnte in Fleisch und Blut übergegangen. Jeder Supermarkt akzeptiert eine der gängigen Konsum-Kreditkarten, und beim Bezahlen an der Kasse heißt es nicht nur ¿acumula puntos? - was dem auch in Deutschland verbreiteten Kundenkarten-Prinzip entspricht -, sondern auch: ¿paga en cuotas? Jeden Liter Milch, jede Schachtel Streichhölzer kann man, wenn man denn will und eine entsprechende Karte besitzt, in Raten bezahlen. Das können drei oder auch mehr sein, man kann eine größere Anzahlung machen oder nicht, man kann sogar manchmal mehrere Monate von der Ratenzahlung ausnehmen, ohne dass Zinsen fällig werden – was aber nicht von der Kulanz des Unternehmens, sondern von den sich ständig ändernden Konditionen und Lockangeboten abhängt.
Überhaupt ist das Bezahlen an der Supermarktkasse ein mittelschweres Abenteuer, besser gesagt: das Anstehen. Dass nur zwei Kunden vor einem in der Schlange warten, sagt über die verbleibende Zeit wenig aus. Nicht nur kann plötzlich eine Kreditkarte gesperrt sein, es kommt auch ständig vor, dass der Scanner bei irgendeinem Produkt versagt. Dann drückt die Kassiererin einen Knopf und oben blinkt eine Lampe. Das ruft die Supervisorin auf den Plan, deren höhere Postition in der Supermarkthierarchie sich schon im Äußeren ausdrückt. Bei Jumbo tragen die Kassenfrauen moosgrüne Strickjacken, die Supervisorinnen – oder wie auch immer sie heißen – ein blütenweißes Jackett. Oft sind aber auch sie ratlos. Dann wird in abgegriffenen Büchlein geblättert, in die Strichcodes eingeklebt sind. Oder eine zweite Supervisorin oder jemand noch Wichtigeres wird gerufen. Wenn wir mit Visa bezahlen, scheitern die Angestellten zuverlässig an unseren exotischen Ausländer-Ausweisen. Dann drücken sie einen Knopf – und so weiter. Weil das alles so ist, haben die großen Supermärkte außerordentlich viele Kassen. Selbst in einem Provinznest wie Puerto Montt sind es im Schnitt um die dreißig, in Santiago gibt es Märkte mit über hundert.
Auch sonst sind die Dimensionen beeindruckend. Die Verkaufsflächen von Jumbo oder Hiper Líder übertreffen mühelos ein Fußballfeld, und nach oben ist ebensoviel Luft und Raum wie zwischen den großzügig aufgestellten Regalen. Daran und am riesigen Angebot liegt es wohl, dass die Chilenen so gerne einkaufen gehen. Im Jumbo, dem Hypermarkt der oberen Zehntausend, flanieren sie nach Feierabend durch die Gänge, die Kinder spielen Fangen, Bekannte grüßen sich und vergleichen insgeheim den Inhalt ihrer Einkaufswagen. Im Hintergrund plätschert Musik. Die Leute fühlen sich sichtlich wohl. Man kann das abstoßend finden. Man kann sich aber auch fragen, was etwa an der deutschen Supermarktkultur, die den Akt des Kaufens als Arbeit begreift, welche bestenfalls effizient und reibungslos vonstatten geht, meist jedoch mit Stress und Hetze verbunden ist - was an dieser Kultur besser sein soll. Ja, was denn? Eigentlich nichts.
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