Dienstag, 30. September 2008

Wie man Kindergeburtstage übersteht

Mit Kindergeburtstagen ist es so eine Sache. Manche gehen lieber zum Zahnarzt. Manche Eltern, wohlgemerkt, denn den Kleinen sind die Feiern ja willkommene Me­ga­events. Für ihre ErzeugerInnen bedeutet das: Arbeit, Arbeit, Arbeit und sträh­nen­wei­se graue Haare.

Das ist jetzt krass übertrieben, denn es gibt sicherlich genügend Eltern, die ge­nau­so viel Freude an der Party haben wie ihr Nachwuchs. Aber Eltern wie mir kommt die chilenische Art, Geburtstage auszurichten, ganz gelegen.

Im grün-intellektuellen Berliner Milieu muss man ja den Kindergeburtstag im Prinzip jedes Jahr neu erfinden. Die Partygänger sind anspruchsvoll und erwarten eine mi­nu­tiös geplante Schatzsuche oder ein Detektivspiel, mindestens. Erlebnisorte müs­sen her, Waldlichtungen, Museen, Inseln, Schiffe, Bunker. Auch die Ver­kös­ti­gung will mit Sorgfalt zubereitet sein: in Olivenöl gedünstetes mediterranes Bio­ge­mü­se, kindgerecht durchkomponierte Salate, sanfte Schorlen, grüner Eistee, was weiß ich.

Chile ist in dieser Hinsicht ein durch und durch amerikanisches Land, die Feiern sind viel einfacher gestrickt und greller gewebt: hier ein Tisch für die Geschenke, da einer für Chips, Cola und Torte. Die wird interessanterweise erst am Ende geschlachtet. Zwischendurch gehen die Jungs zum Kicken vor die Tür, und die Mädchen kämmen ihre Barbies.


Ganz so einfach war es jetzt - anlässlich von B.s Achtem - auch wieder nicht. Ein paar Ansprüche hat die Elternschaft an seiner Schule schon, aber die hat meistens auch ein großes Grundstück und eine Angestellte. In Ermangelung des einen wie des anderen wählten wir einen ziemlich exotischen Ort - das kleine, privat betriebene Schwimmbad, in dem B. einmal pro Woche Kraulen lernt. Ein nach deutschen Gesichtspunkten bescheidener Betrag reichte für Miete und Betreuung, alle waren glücklich, und das Weitere lief durchaus wie oben beschrieben.

Etwas schlechtes Gewissen blieb aber doch. Eine derart unökologische, ja un­ge­sun­de Feier hatten wir vorher noch nie verantwortet. Eine gesamte Schul­klas­se (hatte ich erwähnt, dass an B.s Schule der Brauch herrscht, die ge­sam­te Klasse einzuladen - und dann auch fast alle kommen?) stürzte sich auf Drei­li­ter­fla­schen bebida (was auf Spanisch einfach "Getränk" bedeutet, in Chile aber für die Trias Coca-Fanta-Sprite und verandte Sorten steht), auf kopf­kis­sen­gro­ße Chipstüten, Gummibären, Popcorn und was noch so alles in die Köpfe ging.

Ich habe anschließend Buße getan. Ich habe die neuen, aber sahneverschmierten Plas­tik­tel­ler wieder aus einer der vielen Mülltüten geklaubt und sie mitsamt den Plas­tik­be­chern und dem Plastikbesteck abgbespült. Der nächste Geburtstag kommt bestimmt.

Montag, 29. September 2008

Moment, bitte

In Kürze geht es weiter!

Freitag, 26. September 2008

Selbstkritik und Sexkritik

Eine ebenso geschätzte wie weit gereiste Kollegin wies mich im Zusammenhang mit diesem Post auf folgenden Umstand hin:

Du schreibst von der in Chile legendären Drachenschnur mit Glassplittern, die da unten weltweit einmalig sei - dann hast du wohl nicht den "Drachenläufer" des afghanischstämmigen Khaled Hosseini gelesen, der seit Jahren auf der Bestsellerliste ist - da geht es nämlich u. a. genau um diese Schnur.

Zu meiner Schande muss ich gestehen, besagtes Buch (wie so viele andere gute Bücher) tatsächlich nicht gelesen zu haben. Und einmal mehr wird deutlich, wie wenig originell die neuweltlichen Traditionen sind. Traurig - aber wahr.

Derselben Kollegin verdanke ich den Hinweis auf einen Text in der New York Times, den ich nur zu gerne weiterreiche: "In Tangle of Young Lips, a Sex Rebellion in Chile" skizziert ein Thema, das zu recherchieren ich mich schon aus Altersgründen nicht so recht getraut hätte - die überbordende sexuelle Experimentierlust der Teenager eines Landes, in dem die katholische Kirche vorgibt, wie man Moral zu buchstabieren hat, in dem Abtreibungen streng verboten und Scheidungen erst seit kurzem möglich sind. Den Katalysator des sexuellen Erwachens haben die Autoren auch ausgemacht: das Internet. So vernetzt wie in Chile sind die jungen Menschen fast nirgendwo, und statistisch gesehen hat fast jeder Dritte einen Fotolog-Account ... aber lesen Sie selbst.

Mittwoch, 24. September 2008

Hakenkreuze, damals

Irgendwo in der weiteren Umgebung von Puerto Montt könnte sich Aribert Heim verstecken. Heim alias "Der Schlächter von Mauthausen" alias "Dr. Tod" war SS-Arzt in oberösterreichischen KZ Mauthausen, führte dort grausame Ex­pe­ri­men­te an Häftlingen durch, konnte nach Kriegsende noch jahrelang als Gy­nä­ko­lo­ge in Baden-Baden praktizieren und tauchte schließlich 1962 unter. Seit­dem ist ihm das Simon-Wiesenthal-Zentrum auf der Spur. Der heute 94-Jährige (so er denn noch lebt) gilt mittlerweile als meistgesuchter NS-Verbrecher. Eine Delegation des Wie­sen­thal-Zentrums war Mitte des Jahres hier unterwegs, um im Rahmen einer "Ope­ra­tion Letzte Chance" Heim ausfindig zu machen - freilich ohne Erfolg. Ein be­deu­ten­des Indiz dafür, dass Dr. Tod sich irgendwo zwischen dem chilenischen Seen­ge­biet und dem argentinischen Bariloche aufhält, ist seine Tochter - sie lebt seit vielen Jahren in Puerto Montt.

Dass viele Nazis sich nach dem Krieg im Süden Chiles und Argentiniens nie­der­lie­ßen, ist kein Geheimnis - und wenn man Notizen wie die folgende liest, auch kein Wunder.


Unser der Lokalhistorie verpflichtetes Blättchen El Llanquihue bildete kürzlich ein Fo­to ab, das am 20.4.1939 bei einem Festakt im Deutschen Verein von Puerto Montt entstand. Dazu zitiert es aus einem Artikel der Zeitschrift Ercilla vom 5. Mai 1939, den dieses Bild illustrierte:

20. April. Hitler wird 50 Jahre alt, und man könnte Puerto Montt für eine beliebige deutsche Stadt halten. Die Hakenkreuzfahnen wehen im Wind, im Deutschen Verein leert man mit fröhlichem Lärmen die Maßkrüge. Schätzungsweise 95 Prozent der Deutschstämmigen in Puerto Montt sind Mitglied der NSDAP oder sympathisieren mit ihrer Politik.

Den Deutschen Verein gibt es noch immer, freilich ohne Hakenkreuze. Über die braune Vergangenheit der deutschen Kolonie wird nicht gesprochen - jedenfalls nicht öffentlich. Zu vermuten, zumindest aber zu befürchten ist, dass die mentale Entnazifizierung, die in der Bundesrepublik seit den Sechzigerjahren stattgefunden hat, hier mit weniger Enthusiasmus aufgenommen wurde als Füh­rergeburtstage und Polenfeldzüge. Ganz genau weiß man es nicht.

Dienstag, 23. September 2008

Religiöse Spinner, remixed

Religiosität hat viele Gesichter, eines der gruseligsten sind die fa­na­ti­schen Pre­dig­ten evangelikaler Christen. Auch in Chile gehören ihre thea­tra­li­schen Tiraden zum akus­ti­schen Inventar der Innenstädte und der ar­men Peripherie, während die Ober­schicht eher diskreten Sekten wie dem Opus Dei zugeneigt ist.

Ein besonders krasses Exemplar geistert seit einiger Zeit durchs In­ter­net: Nezareth Casti Rey, ein kleiner peruanischer Junge, der vor Tau­sen­den die Irr­leh­ren der Evo­lution verdammt (und was man als Evan­ge­likaler noch so alles geißelt).


Zum Glück ist das Internet nicht nur in der Lage, solcherlei zu mul­ti­pli­zie­ren, es bie­tet auch Raum für Parodien, die das Grauen an­ge­nehm ent­schär­fen. Nezareth, der mittlerweile 17 ist, aber mun­­ter weiterpredigt, wur­de schon vielfach re­mixt, unter anderem von einem chilenischen DJ. Kei­ne große Kunst, aber doch lustig:

Sonntag, 21. September 2008

Cucao





Über die Insel Chiloé kursieren im Rest des Landes allerlei Mythen - zum Beispiel jener, dass die Bewohner des Eilands eine reiche Mythologie pflegten. Vom Geisterschiff Caleuche ist dann die Rede, vom Trauco, einem potenten Gnom, und von der Sirene Pincoya. Jeder Chilene kennt diese Figuren, und viele stellen sich wohl vor, dass die Insulaner allabendlich am flackernden Herdfeuer derartige Schnurren zum Besten geben.

Das ist natürlich mitnichten so, und überhaupt ist eine Fahrt durch Chiloé erst einmal etwas ernüchternd: grüne Hügel, Wälder, Schafe sieht man auch weiter nördlich, die Landschaft ist schön, aber vielleicht nicht so umwerfend, so übernatürlich schön, wie viele Berichte unterstellen. Städtchen wie Castro und Chonchi sind klein und nett, aber auch keine Augenweide und fast schon zu aufgeräumt. Vor der Küste dümpeln Lachsfarmen, deren Output in den Fabriken an der Panamericana verarbeitet wird. Wie anderswo im Süden Chiles hat die Fischzucht auch Chiloé Geld, Arbeitsplätze und Umweltprobleme beschert.

Die berühmten Holzkirchen - seit 2000 Weltkulturerbe - lassen wir hier einmal außen vor, wir werden sie noch besuchen. Ein Sehnsuchtsort für uns war Cucao, eine Handvoll Häuser an der Westküste der Insel und einer der wenigen asphaltierten Zugänge zum Pazifik weit und breit. Denn auch wenn wir täglich auf Meerwasser blicken, die brüllend lauten Wellen des Stillen Ozeans bleiben uns für gewöhnlich verborgen.

Cucao hält, was es verspricht: Meereseinsamkeit, Dünen wie in Dänemark, unberührte Natur im angrenzenden Nationalpark. Dazwischen Schafe, Kühe und sehr, sehr wenige Menschen. Der Bewohner eines der letzten Häuser an der Schotterpiste Richtung Süden, jener ältere Mann mit Stoppelbart, der uns half, mit alten Fischernetzen und Brettern das im Sand stecken gebliebene Auto zu befreien, hat in seiner Stube ein winziges Fossilienmuseum aufgebaut. Die Versteinerungen von Seeschnecken oder Krebszangen findet er bei Spaziergängen am Strand, wenn mal wieder ein Sturm das Ufergeröll umgepflügt hat.

Einmal haben ihm Touristen mit paläontologischen Kenntnissen ein paar seiner Funde klassifiziert. Das Schulheft, in dem die Fremden Zeichnungen und Altersangaben hinterlassen haben, zeigt er mit Stolz, ebenso wie die abgezogenen Felle von Bergkatzen und Ottern an der Wand. Diebisch freut er sich, wenn ihn die Leute nach dem schwarzen, zotteligen Fell fragen. Viele wollten wissen, was für ein sonderbares Tier das sei, berichtet er. Es handelt sich um das Fell eines Lämmchens.

Samstag, 20. September 2008

Akademisches

Die diesjährige Diplomprüfung soll ganz besonders hart gewesen sein.

Donnerstag, 18. September 2008

Kollateralschaden in Santiago

Der kurzfristig einberufene Unasur-Gipfel in Santiago war ein Erfolg für die derzeitige Vorsitzende Michelle Bachelet - und ein echtes Ereignis für ein, trotz allem, kleines Land wie Chile. Fast alle PräsidentInnen des Subkontinents auf einen Schlag in Santiago, das war dem Fernsehen Dauerliveschaltungen zum Flughafen und den Zeitungen etliche Sonderseiten wert. Das Ganze ging völlig reibungslos über die Bühne und strafte die Bedenkenträger aus der rechten Opposition Lügen.

Einen kleinen Kollateralschaden gab es jetzt aber doch: Chiles Außenminister Alejandro Foxley, der mit am Tisch saß, hat einen Rüffel von Venezuelas Präsident Hugo Chávez bekommen. Genauer: Chávez' Außenminister Nicolás Maduro hat seinem chilenischen Kollegen einen Brief geschrieben und eine förmliche Entschuldigung für Andeutungen gefordert, die dieser im Nachhinein über Chávez gemacht hatte.


Foxley (l.), Chávez (r.), Bildquellen hier

In einem Interview mit Canal 13 hatte Foxley nach dem Gipfel gesagt, er habe zeitweise nicht an einen Erfolg des Treffens geglaubt (das mit einer einstimmigen Verurteilung der oppositionellen Gewalt in Bolivien endete), weil Chávez dies von einer öffentlichen Verurteilung der USA abhängig machen wollte. Der venezolanische Präsident selbst hatte kurz zuvor aus Solidarität mit Bolivien den US-Botschafter des Landes verwiesen ("Scheiß-Yankees, fahrt zur Hölle").

Foxley, Wirtschaftswissenschaftler mit Dozenturen am MIT und in Oxford, rechter Christdemokrat und eher ein Mann der leisen Töne, hatte außerdem angemerkt, Hugo Chávez sei jemand, der gerne im Vordergrund stehe - eine Aussage, die schwer­lich zu widerlegen sein dürfte. Jetzt hat er es schwarz auf weiß: "An­ge­sichts des schweren Schadens, den Ihre persönlichen Ansichten dem Pro­zess der südamerikanischen Einheit in diesem entscheidenden Moment zufügen können, fordern wir von Ihnen nachdrücklich, ihr Verhalten zu reflektieren und sich für das Geschehene zu entschuldigen. (...) Es ist unbegreiflich, dass sich unser Präsident solch wohlfeilen Bekundungen der Abneigung und persönlichen Verbitterung aus den Reihen einer befreundeten Regierung heraus ausgesetzt sieht."

Der chilenische Außenminister will nun einen Antwortbrief schreiben, eine Entschuldigung ist eher nicht zu erwarten. Hoffentlich darf Chiles Botschafter noch eine Weile in Caracas bleiben.

Nachtrag, etwas später: Der Botschafter bleibt vorerst, dafür wurde in er Nacht zum Freitag der Chilene José Miguel Vivanco des Landes ver­wie­sen, weil er sich wiederholt in die inneren Angelegenheiten Ve­ne­zue­las eingemischt und dessen "Institutionen verächtlich gemacht" ha­ben soll. Vivanco ist der Amerika-Direktor von Human Rights Watch und hat­te kurz zuvor einen Bericht zur Lage der Menschenrechte in Ve­ne­zue­la vor­ge­stellt. Man habe Vivanco umgehend zum nächsten Flug­ha­fen ge­bracht, er befinde sich bereits "außerhalb des ve­ne­zo­la­ni­schen Luft­raums", so Außenminister Maduro. Mehr hier.

Dienstag, 16. September 2008

Mit Säurehemmern aufs Laubhüttenfest

Wenn S. dieser Tage auf die häufig gestellte Frage, welches denn der deutsche Nationaltanz sei, wahrheitsgemäß mit "keiner" antwortet, erntet sie von ihren Schülern Reaktionen zwischen Ungläubigkeit, Mitleid und Entsetzen. In Chile gibt es - natürlich! - einen: die cueca. Zugereisten erschließt sich das balzende Ein­an­der­um­krei­sen, bei dem Mann und Frau energisch mit langen Taschentüchern wedeln, nur schwer. Allein der synkopierte Dreivierteltakt ist eine Zumutung. In der Theorie tanzt man die cueca in Chile in bunten Trachten (die Män­ner mit sporenbewehrten Cowboystiefeln), in der Realität behält man an, was man gerade trägt. Das sieht dann beispielsweise so aus:



Der jährlich wiederkehrende Anlass, cueca zu tanzen, steht uns gerade ins Haus: Am 18. September ist Nationalfeiertag, und so wie der 11. September der once ist, nennt man den 18. schlicht el dieciocho. Gefeiert wird die Ablösung Chiles von der spanischen Krone, aber das ist kaum mehr als der Anlass für ein paar wilde, arbeitsfreie Tage mit viel gegrilltem Fleisch und noch mehr chicha - was im Wein­land Chile für Federweißen steht. Dazu die unvermeidlichen empanadas, Teig­ta­schen mit einer Füllung aus Fleisch, Zwiebeln, Rosinen, Oliven und Ei. Schon jetzt laufen im Radio Spots für Magensäurehemmer.


Köchelt das restliche Jahr über der chilenische Nationalstolz auf erfreulich kleiner Flamme, wird rund um den dieciocho die Sau rausgelassen. Das Bild passt gut, denn zum Feiertag verwandeln sich auch die urbansten Urbaniten in fressendes, saufendes, grölendes Landvolk. Nun, alle vielleicht nicht, aber das ist das Leitmotiv des dieciocho: Chile ist und bleibt ein Volk von huasos, ¡caramba!

Eine knappe Woche lang ist alles rot-weiß-blau, tragen die Kinder breitkrempige Hüte aus Papier oder bunte Röckchen, werden ramadas gebaut, wenig stabile Fei­­er­­tags­­lo­ka­le mit Dächern aus Palmwedeln oder anderen Zweigen, in denen an­schlie­ßend getrunken und getanzt wird. So gesehen ist der dieciocho das chi­le­ni­sche Laub­hüt­ten­fest.


Um das rurale Idyll zu komplettieren, werden auch ländliche Spiele wiederbelebt. Man geht zum Rodeo, und die Kleinen peitschen große Holz­krei­sel oder lassen Papierdrachen steigen. Das heißt: Drachensteigenlassen wird auch von Er­wachsenen als Wettkampfsport betrieben, und Jahr für Jahr zieht die Polizei ein illegales Produkt ein, das es vielleicht nirgendwo anders gibt: den berüchtigten hilo curado, eine mit Leim und gemahlenem Glas präparierte Drachenschnur. Sie soll bei Wettkämpfen die gegnerischen Schnüre zerschneiden, ist aber auch ein guter elektrischer Leiter (Stromkabel!) und führt, wenn ohne Handschuhe ver­wen­det, zu bösen Schnitt- und Brandwunden.

Montag, 15. September 2008

Gartenarbeit

In Bolivien brennt die Luft, in Santiago treffen sich die südamerikanischen Staatschefs zum Krisengipfel, wir aber bestellen unseren Garten. Das muss sein, denn der Frühling naht, ach was, er ist schon da. Drei, vier, fünf Sonnentage in Folge - wer jetzt nichts Grünes pflanzt, wird bald auf welke Erde blicken.

Das, was in unserem Garten Erde zu sein verspricht, stellt sich freilich beim ersten Spatenstich als Mogelmischung mit 90-prozentigem Steinanteil heraus. Und so graben wir, schütten und sieben, mischen und düngen, bis am Ende ein hoffentlich fruchtbares Substrat für Büsche, Blumen und Kräuter entsteht. Das heißt, mehr als zwei Lavendelpflänzchen führt das Rubrum Kräuter noch nicht, aber wir arbeiten daran.

Die im Herbst eingepflanzten Bäumchen haben mittlerweile so gut wie alle Blätter abgeworfen. Da es sich mutmaßlich um eine immergrüne Spezies handelt, ist das kein gutes Zeichen. Aber, so sagt unser spanischer Freund Andrés, der sich aus einem kaputten Gartenzelt und Plastikfolien gerade ein Gewächshaus gebastelt hat, unter den hiesigen klimatischen Bedingungen wächst einfach alles (von Kakteen und Tropenfrüchten einmal abgesehen). Er habe Zaunpfähle gesehen, an denen nach einem Jahr frische Triebe grünten. Es gibt also noch Hoffnung.

Sonntag, 14. September 2008

Schalldruck vs. Steine

Insgesamt 234 Festnahmen, davon 160 in Santiago, 22 durch scharfe Mu­ni­tion, Schrotkugeln und Steinwürfe verletzte Polizisten und neun ver­letz­te Demonstranten, davon einer mit einem schweren Schädeltrauma, vermutlich durch eine Tränengaskartusche - das war nach Angaben des Innenministeriums die Bilanz der diesjährigen Protestnacht des 11. Septembers. Immerhin: Es gab keine Toten zu beklagen wie in ver­gangenen Jahren.

Die Ausschreitungen am "once" finden hauptsächlich in armen Rand­be­zir­ken, aber auch im Zentrum von Santiago statt, sie haben sich als Ge­walt­ri­tu­al längst vom eigentlichen Anlass gelöst. Während der Protest von Attacken auf die Infrastruktur der "eigenen" Viertel geprägt ist (nicht un­ähnlich dem, was in Berlin-Kreuzberg über viele Jahre hinweg am 1. Mai geschah), fährt die Staatsmacht im Gegenzug an Repressionswerkzeug auf, was die Arsenale hergeben.

Zu Schlagstöcken, Gummigeschossen, Tränengas und Wasser hat sich an diesem 11. September eine neue "nicht-tödliche Waffe" gesellt: Ein Long Range Acoustic Device (LRAD), wie es die USA seit Jahren in ihren Kriegen verwenden, in den hiesigen Medien oft fälschlich als "Ultraschall-System" bezeichnet. Hier ein kleiner Film von seiner Anwendung in der Avenida Grecia, unweit des Nationalstadions.

Im Gegensatz zu Ultraschall sind die Töne des LRAD für das menschliche Ohr deutlich vernehmbar - überdeutlich, möchte man sagen, denn sie werden mit einem Schalldruck von rund 150 Dezibel auf ihre Opfer losgelassen. Bis zu einer Entfernung von mehreren hundert Metern soll das sirenenartige, in einem engen Winkel ausgestrahlte Signal un­er­träg­lich laut sein: Wer ihm ausgesetzt ist, sucht fluchtartig das Wei­te. Nach Angaben des Herstellers, der US-Firma American Tech­no­lo­gy, können Kreuzfahrtschiffe damit hervorragend Angriffe von Piraten abwehren.

Man ahnt es schon: Die neue Schallwaffe ist keineswegs so ungefährlich, wie ihre Erfinder und Anwender behaupten. Der vom Nachrichtenportal terra.cl befragte Militärexperte Guillermo Holzmann von der Universidad de Chile weiß zu berichten, dass die extrem lauten Töne bei un­sach­ge­mä­ßer Anwendung Hirnschäden hervorrufen können - von Ge­hör­schä­den ganz zu schweigen. Dass das polizeiliche Personal entsprechend ge­schult und vorbereitet ist, darf bezweifelt werden.

Hier in Puerto Montt kommt übrigens tatsächlich eine Ultraschallwaffe zur An­wen­dung: Vor einem Eingang zur großen Shoppingmall an der Ufer­promenade, wo Jugendliche gerne unproduktiv herumsitzen, hat der Be­trei­ber irgendwann vor ein paar Monaten ein "Mosquito" angebracht - so heißt das Produkt jedenfalls in Europa. Angeblich sind nur Menschen un­ter 25 Jahren in der Lage, die hohe Frequenz wahrzunehmen, sie sollen sie als störend empfinden und den entsprechenden Ort meiden. In Wirk­lich­keit hocken die Kids wie eh und je vor dem Eingang herum, ver­mut­lich haben MP3-Player und Reggaeton-Partys ihr Gehör ab­ge­stumpft. Ich mit meinen knapp 40 Jahren höre das Pfeifen hingegen laut und deutlich, aber auf die Idee, in meiner Freizeit vor einer Mall herumzuhängen, würde ich ohnehin nie kommen.

Keulen an der Kreuzung


Ohne Kommentar.

Samstag, 13. September 2008

Krisengipfel in Santiago


Sonderlich bekannt ist diese Flagge nicht, weder in Europa, noch in Lateinamerika. Es handelt sich um das Banner der Ende Mai in Brasilia feierlich ins Leben gerufenen Union Südamerikanischer Nationen, UNASUR (bzw. UNASUL). Laut Gründungsurkunde soll sie den Kampf gegen „Ungleichheit, soziale Ausgrenzung, Hunger, Armut und Unsicherheit“ führen und innerhalb von zwei Jahrzehnten eine der EU vergleichbare Integration erreichen, inklusive gemeinsamer Wirtschafts- und Außenpolitik, Währung und Passwesen.

Viel zu sehen ist davon bis jetzt nicht, aber das angesichts der bolivianischen Krise eilig anberaumte Treffen der UNASUR-Staatschefs am Montag könnte der Organisation ein wenig Legitimität verleihen - oder auch nicht. Stattfinden wird es in Santiago, denn Chiles Präsidentin Michelle Bachelet übt derzeit den rotierenden Vorsitz aus. Bis zur Gründung war Chile der einzige südamerikanische Staat gewesen, der keinem der beiden regionalen Bündnisse - Andengemeinschaft und Mercosur - angehörte.

Wer genau am Krisengipfel teilnehmen wird, war gestern noch nicht ganz klar. Offiziell zugesagt hatten die Präsidenten Uruguays (Tabaré Vázquez), Argentiniens (Cristina Fernández), Paraguays (Fernando Lugo), Venezuelas (Hugo Chávez) und Ecuadors (Rafael Correa). Brasiliens Präsident Lula, dem eine entscheidende Vermittlerrolle in Bolivien zugetraut wird, wollte seine Teilnahme davon abhängig machen, dass die Regierung von Evo Morales ihn ausdrücklich darum bittet. Morales selbst wird in der aktuellen Situation Bolivien wohl nicht verlassen.

"Es liegt in unserer Verantwortung, alle denkbaren Formen auszuloten, wie wir dazu beitragen können, dass die bolivianischen Brüder ihren Konflikt beilegen und den Weg der Vereinbarung, des Dialogs und des Friedens beschreiten", formulierte gestern reichlich gestelzt der Sprecher der chilenischen Regierung, Francisco Vidal. Exakt 35 Jahre nach dem Putsch der chilenischen Junta sieht man sich in der Moneda offenbar in der Rolle derer, die aus der Geschichte gelernt haben und das weiterzugeben gewillt sind.

Vidal musste aber in erster Linie typisch chilenischen Minderwertigkeitskomplexen entgegentreten - es waren Zweifel aufgekommen, ob das Land kurzfristig überhaupt die Sicherheit für derart viele hochrangige Politiker würde gewährleisten können. "Zweifellos können wir das. Wir sind ein echtes, ein ernstzunehmendes Land", so Vidal. Was zu beweisen wäre.

Freitag, 12. September 2008

Verräterische Details

Vor Generationen eingewanderte Deutsche gibt es in Puerto Montt und Umgebung zuhauf, sie haben dem Land Leberwurst und Käsekuchen, aber auch S. ihren aktuellen Arbeits­platz beschert. Ansonsten sind sie weit­ge­hend assimi­liert. "Richtige" Deut­sche erkennt man dagegen nicht nur an ihrem Ak­zent, wie eine Freun­din heute beim Be­such der städt­ischen LAN-Filia­le bemerkte.

Foto: Sabine Bickmann

Mittwoch, 10. September 2008

Mario

Im St. Galler Tagblatt, der laut Wikipedia "meistgelesenen Tageszeitung der Ostschweiz" ist gestern ein längerer Text von mir erschienen - über den "anderen 11. September", der für Chilenen selbstverständlich "der" 11. September ist und bleibt, nämlich der Tag, an dem Allende starb, die Moneda brannte und Pinochets Junta die Macht übernahm.

Ich erwähne in dem Artikel unseren Freund Mario, der nach 33 Jahren Exil in sein Heimatland zurückgekehrt ist. Interessant zu erörtern wäre die Frage, wie lange eigentlich der Zustand "Exil" anhält, wenn irgendwann die objektive Unmöglichkeit der Rückkehr wegfällt, bzw. diese mit keiner nennenswerten Gefahr mehr verbunden ist. Andererseits bleibt ja der ursprüngliche Anlass - die Flucht - derselbe, und deshalb war es für uns immer eine Selbstverständlichkeit, ihn als Exilanten zu betrachten, ungeachtet der Tatsache, dass er in Deutschland ein Paradebeispiel war für die viel beschworene und selten erreichte "Integration ohne Assimilation".


Dass Mario jetzt Ernst gemacht hat und nach Chile zurückgekehrt ist, verdient allen Respekt. In Deutschland hatte und hat er viele Freunde, in Chile muss er sich erst wieder Netzwerke schaffen. Das hat er schon beim Be- und Entladen seines Containers gemerkt: In San José musste er die Helfer bezahlen, in Berlin hatte er das mit einem Rundruf klarmachen können. Aber, auch das habe ich im Text ja angedeutet, sein Optimismus ist beeindruckend. Dass sein an einen steilen Hang gebautes Haus bislang weder über einen Strom- noch einen Wasseranschluss verfügt, bringt ihn so schnell nicht aus der Ruhe, genauso wenig wie die fehlenden Fenster: Er sei noch kein einziges Mal erkältet gewesen in diesem Winter, berichtet er, und das liegt vielleicht an der frischen Luft in San José del Maipo, einem unschlagbaren Vorteil gegenüber der an Vorzügen ja auch nicht armen Großstadt.

Für einen alten Kommunisten wie ihn ist es nicht nur Ehrensache, sondern ein Bedürfnis, sich auch an seinem neuen Wohnort für die Partei zu engagieren, und den Kommunalwahlkampf nutzt er auch ein wenig dazu, den wunderbaren Cajón del Maipo kennen zu lernen, Gelegenheiten hatte er ja in den vergangenen dreißig Jahren wenig. Der Sekretär der "Zelle" von San José, wie der Ortsverein im internen Jargon immer noch heißt, ist übrigens schon 90. Als der letztens aus Altersgründen abgesetzt werden sollte, hat Mario sich vehement dagegen ausgesprochen - erstens, weil der Mann völlig klar im Kopf ist und den Job auch weiterhin erledigen kann, und zweitens, sagt Mario mit einem Augenzwinkern, "weil ich dann als nächster dran bin". Langweilen wird er sich jedenfalls nicht in seiner neuen, alten Heimat.

Montag, 8. September 2008

Champions im Wahlkampf

Nirgendwo kann man das Phänomen der sich selbst erfüllenden Prophe­zeiung derzeit besser nachvollziehen als bei Youtube-Hypes: Irgendwer lädt ein lustiges Filmchen ins Netz und jemand anderes schreibt eine On­line-Meldung, dass alle ganz verrückt nach diesem Filmchen sind. Wer das liest, will natürlich wissen, was die anderen daran finden, und prompt explodiert die Klickrate. So geschieht es gerade in Chile mit diesem Clip:


Das Queen-Cover ist Teil der Kampagne, die Ricardo Jeldes, derzeit Leiter des Grünflächenamts von Quilpué und Kandidat der rechten Partei Renovación Nacional (RN), bei den Kommunalwahlen am 26. Oktober in den Bür­ger­meis­ter­ses­sel und den am­tieren­den Sozia­listen hinaus­­ka­ta­pultieren soll. Der neue Text ist leicht zu merken, im Refrain heißt es:

Ricardo Jeldes wird / der neue Bürgermeister von Quilpué. / Ricardo Jeldes, / Ricardo Jeldes, / dies ist die Zeit / von Ricardo Jeldes / in Quilpué.

So schlecht der Clip gemacht ist, so eingängig bleibt die Melodie, und nach drei­maligem Anhören (für diesen Post) klebt der bescheuerte Song dem Autor schon im Ohr.

Gesungen hat der 56-jährige Jeldes übrigens nicht selbst - dabei kann er das auch bzw. tut es gern. Auf Youtube stehen einige Knödeleien von ihm herum, wie die­se italienische Schnulze, die er mit Bildern seiner letzten Italienreise unterlegt hat:


Letzteres sollten nur ganz Hartgesottene anklicken.

Sonntag, 7. September 2008

Gipfelsturm



Dieses Video hat zugegebenermaßen technische Mängel, aber die Dreh­beding­ungen waren nicht die besten: Die gesamte Seenregion lag unter einer schweren Wolkendecke, nur auf der Südseite des Vulkans Osorno rissen irgendwelche Fallwinde ein Loch hinein, das mehrere Stunden hielt. Ideal für ein paar Stemmschwünge, könnte man meinen, aber stark beschleunigte, scharf­kan­ti­ge Partikel in der eisigen Luft verleideten den meisten das Ski­fahren. Trotz­dem, ein faszinierendes Panorama. Ob die Snowboarder im Hintergrund Trockenübungen machen oder im Sturm nicht mehr aufstehen konnten, vermag ich nicht ab­schließend zu beurteilen.

Freitag, 5. September 2008

Am Kiosk


Verspricht jetzt auch in Chile Heilung von allen Gebrechen: der ominöse Dr. Rath.

Hunde unterm Palast


Gar nicht so einfach, das Blog am Köcheln zu halten, wenn man zu Re­cher­chezwecken unterwegs ist. In Santiago habe ich mich für einen Artikel mit ein paar Menschen getroffen, um mit ihnen über den 11. September 1973 zu sprechen, un­ter anderem mit dem Ex-Präsidentschaftskandidaten Tomás Hirsch. Da­zu in Kürze mehr.

Gut gefallen hat mir (und J., der mich begleitete) die kleine Ausstellung "Pintacanes" im unterirdischen Centro Cultural Palacio La Moneda. Bei den seriell aus Glasfaser gepressten und künstlerisch gestalteten Hunden handelt es sich im Prinzip um eine Spielart der abscheulichen Buddybären, aber hier stimmt das Konzept: Kein steriles Wappentier stand Modell, sondern ein kleiner, räudiger Straßenköter, ein quiltro, dem man in den Straßen von Santiago tatsächlich auf Schritt und Tritt begegnet und der deshalb als legitimer Vertreter der Metropole gelten darf. Auch die Verfremdungen haben es in sich. Renommierte Künstler haben sie gemeinsam mit Bewohnern des Stadtteils La Pintana geschaffen, sie erzählen von Sex, Drogen und Armut, von Lebensfreude und einem gewitzten Umgang mit nationaler Identität. Wau!