Sonntag, 21. September 2008

Cucao





Über die Insel Chiloé kursieren im Rest des Landes allerlei Mythen - zum Beispiel jener, dass die Bewohner des Eilands eine reiche Mythologie pflegten. Vom Geisterschiff Caleuche ist dann die Rede, vom Trauco, einem potenten Gnom, und von der Sirene Pincoya. Jeder Chilene kennt diese Figuren, und viele stellen sich wohl vor, dass die Insulaner allabendlich am flackernden Herdfeuer derartige Schnurren zum Besten geben.

Das ist natürlich mitnichten so, und überhaupt ist eine Fahrt durch Chiloé erst einmal etwas ernüchternd: grüne Hügel, Wälder, Schafe sieht man auch weiter nördlich, die Landschaft ist schön, aber vielleicht nicht so umwerfend, so übernatürlich schön, wie viele Berichte unterstellen. Städtchen wie Castro und Chonchi sind klein und nett, aber auch keine Augenweide und fast schon zu aufgeräumt. Vor der Küste dümpeln Lachsfarmen, deren Output in den Fabriken an der Panamericana verarbeitet wird. Wie anderswo im Süden Chiles hat die Fischzucht auch Chiloé Geld, Arbeitsplätze und Umweltprobleme beschert.

Die berühmten Holzkirchen - seit 2000 Weltkulturerbe - lassen wir hier einmal außen vor, wir werden sie noch besuchen. Ein Sehnsuchtsort für uns war Cucao, eine Handvoll Häuser an der Westküste der Insel und einer der wenigen asphaltierten Zugänge zum Pazifik weit und breit. Denn auch wenn wir täglich auf Meerwasser blicken, die brüllend lauten Wellen des Stillen Ozeans bleiben uns für gewöhnlich verborgen.

Cucao hält, was es verspricht: Meereseinsamkeit, Dünen wie in Dänemark, unberührte Natur im angrenzenden Nationalpark. Dazwischen Schafe, Kühe und sehr, sehr wenige Menschen. Der Bewohner eines der letzten Häuser an der Schotterpiste Richtung Süden, jener ältere Mann mit Stoppelbart, der uns half, mit alten Fischernetzen und Brettern das im Sand stecken gebliebene Auto zu befreien, hat in seiner Stube ein winziges Fossilienmuseum aufgebaut. Die Versteinerungen von Seeschnecken oder Krebszangen findet er bei Spaziergängen am Strand, wenn mal wieder ein Sturm das Ufergeröll umgepflügt hat.

Einmal haben ihm Touristen mit paläontologischen Kenntnissen ein paar seiner Funde klassifiziert. Das Schulheft, in dem die Fremden Zeichnungen und Altersangaben hinterlassen haben, zeigt er mit Stolz, ebenso wie die abgezogenen Felle von Bergkatzen und Ottern an der Wand. Diebisch freut er sich, wenn ihn die Leute nach dem schwarzen, zotteligen Fell fragen. Viele wollten wissen, was für ein sonderbares Tier das sei, berichtet er. Es handelt sich um das Fell eines Lämmchens.

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