Mittwoch, 10. September 2008

Mario

Im St. Galler Tagblatt, der laut Wikipedia "meistgelesenen Tageszeitung der Ostschweiz" ist gestern ein längerer Text von mir erschienen - über den "anderen 11. September", der für Chilenen selbstverständlich "der" 11. September ist und bleibt, nämlich der Tag, an dem Allende starb, die Moneda brannte und Pinochets Junta die Macht übernahm.

Ich erwähne in dem Artikel unseren Freund Mario, der nach 33 Jahren Exil in sein Heimatland zurückgekehrt ist. Interessant zu erörtern wäre die Frage, wie lange eigentlich der Zustand "Exil" anhält, wenn irgendwann die objektive Unmöglichkeit der Rückkehr wegfällt, bzw. diese mit keiner nennenswerten Gefahr mehr verbunden ist. Andererseits bleibt ja der ursprüngliche Anlass - die Flucht - derselbe, und deshalb war es für uns immer eine Selbstverständlichkeit, ihn als Exilanten zu betrachten, ungeachtet der Tatsache, dass er in Deutschland ein Paradebeispiel war für die viel beschworene und selten erreichte "Integration ohne Assimilation".


Dass Mario jetzt Ernst gemacht hat und nach Chile zurückgekehrt ist, verdient allen Respekt. In Deutschland hatte und hat er viele Freunde, in Chile muss er sich erst wieder Netzwerke schaffen. Das hat er schon beim Be- und Entladen seines Containers gemerkt: In San José musste er die Helfer bezahlen, in Berlin hatte er das mit einem Rundruf klarmachen können. Aber, auch das habe ich im Text ja angedeutet, sein Optimismus ist beeindruckend. Dass sein an einen steilen Hang gebautes Haus bislang weder über einen Strom- noch einen Wasseranschluss verfügt, bringt ihn so schnell nicht aus der Ruhe, genauso wenig wie die fehlenden Fenster: Er sei noch kein einziges Mal erkältet gewesen in diesem Winter, berichtet er, und das liegt vielleicht an der frischen Luft in San José del Maipo, einem unschlagbaren Vorteil gegenüber der an Vorzügen ja auch nicht armen Großstadt.

Für einen alten Kommunisten wie ihn ist es nicht nur Ehrensache, sondern ein Bedürfnis, sich auch an seinem neuen Wohnort für die Partei zu engagieren, und den Kommunalwahlkampf nutzt er auch ein wenig dazu, den wunderbaren Cajón del Maipo kennen zu lernen, Gelegenheiten hatte er ja in den vergangenen dreißig Jahren wenig. Der Sekretär der "Zelle" von San José, wie der Ortsverein im internen Jargon immer noch heißt, ist übrigens schon 90. Als der letztens aus Altersgründen abgesetzt werden sollte, hat Mario sich vehement dagegen ausgesprochen - erstens, weil der Mann völlig klar im Kopf ist und den Job auch weiterhin erledigen kann, und zweitens, sagt Mario mit einem Augenzwinkern, "weil ich dann als nächster dran bin". Langweilen wird er sich jedenfalls nicht in seiner neuen, alten Heimat.

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