Dienstag, 22. April 2008

Prekäre Jobs: Der Tankwart

Aufmerksame Leser werden bemerkt haben, dass wir entgegen unserer sonstigen Gewohnheit seit kurzem ein Auto besitzen. Neben einer erhöhten Mobilität jenseits der Stadtgrenzen hat das auch einen mimetischen Effekt: Einen verbeulten weißen Chevrolet-Pickup, zusammengeschraubt in Arica an der peruanischen Grenze, fährt hier praktisch jeder zweite. Umgekehrt macht man als Halter eines Gebrauchtwagens unvergessliche Erfahrungen, was eine gefühlte Nähe zu all den anderen Gebrauchtwagenhaltern herstellt, die das Gros der chilenischen Verkehrsteilnehmer bilden.

Eine nicht mehr ganz taufrische camioneta zu fahren, bringt nämlich bisweilen unwillkommene Überraschungen mit sich. Etwa die, dass sich rund um den Wagen plötzlich ein strenger Benzingeruch ausbreitet. So etwas schiebt man zunächst auf die in der näheren Umgebung abgestellten Autos, dann auf einen unsachgemäß zugeschraubten Tankdeckel. Irgendwann kniet man sich doch neben das Fahrzeug und verrenkt den Hals, um eine blecherne Vorrichtung auszumachen, aus der sich Tropfen lösen. Der Geruch und die Schlieren in der Luft zeigen auch dem Laien, dass es sich hier nicht um Kühlwasser handelt, sondern um Kraftstoff. Besser mal an der Tankstelle fragen.


Die Shell-Station an der Calle Egaña hat ihre beste Zeit hinter sich. Das sieht man nicht auf den ersten Blick, aber die Fenster des „im Umbau“ befindlichen Tankstellenshops sind auch nach Wochen noch zugeklebt, und die Uniformen der Tankwarte weisen Spuren langjährigen Gebrauchs auf. Tankwart ist in Chile immer noch ein ganz normaler Beruf, auch wenn in Santiago und an der Panamericana die ersten SB-Zapfsäulen mit Rabatten locken. Man bleibt also bis auf weiteres hinterm Lenkrad sitzen und kurbelt nur das Fenster herunter, wenn man etwas Benzin nachfüllen lassen will (volltanken gilt als Ausländer-Marotte, haben wir gelernt - wenn das Auto gestohlen wird, will man dem Dieb nicht auch noch einen gefüllten Tank dazuschenken).


Der Tankwart, dem ich mein Problem beschreibe, ist ein wortkarger, aber nicht unfreundlicher Mann, klein, um die fünfzig. Er bietet mir an, einmal nachzusehen und bittet mich, den Wagen auf die wacklige Hebebühne im taller neben dem zugeklebten Shop zu fahren. Später werde ich entdecken, dass es in Puerto Montt durchaus gut sortierte Autowerkstätten gibt - diese hier gehört nicht dazu.


Der kleine Mann hat inzwischen den Chef verständigt, beide begeben sich unter das aufgebockte Fahrzeug und begutachten den Tank, aus dem das Benzin suppt. „Hier scheint eine undichte Stelle zu sein“, vermutet der Chef ein rundlicher, redseliger Mann, woraufhin der kleine Wortkarge einen Schwamm nimmt, um die schwärzlich-ölige Kruste zu entfernen. Stimmt genau: Von der letzten Schutzschicht befreit, spritzt das Benzin in einem dünnen, aber kräftigen Strahl aus dem Leck und ergießt sich auf den Werkstattboden.


Der Versuch, das Loch behelfsmäßig mit einem Stück Seife zu versiegeln, erweist sich als zwecklos, der Druck ist offenbar zu stark. „Wir müssen den Tank leer machen“, sagt der Chef, und bedeutet seinem Angestellten, dies mithilfe eines Schlauchs und eines Eimers zu erledigen. Das Prinzip ist ja bekannt.


Der Tankwart führt den Schlauch tief in den Tank ein. Lange muss er stochern. Dann saugt er an. Fließen will das Benzin nicht, dafür schießt dem Mann ein blassgelber Schwall aus dem Mund und auf seinen Overall. Er spuckt aus. Saugt wieder. Spuckt wieder aus. Das Zeug tropft ihm vom Kinn. Er verzieht das Gesicht: „Ist das 93 oder 95 Oktan?“, fragt er und kann seinen Ekel kaum verbergen. Er saugt erneut, wieder ohne Erfolg. Langsam begreife ich: Das ist keine Routine. Er macht das, weil sein Chef es will, und weil es dazu in dieser Werkstatt keine technische Alternative gibt. Ich bitte ihn aufzuhören und den Tank leerlaufen zu lassen. Ein paar Stunden mehr oder weniger sind doch nicht das Problem, nicht hier in Puerto Montt.


Als ich wiederkomme, ergreift der Chef das Wort. Nos hizo transpirar bastante su vehículo, erklärt er, wobei es nicht aussieht, als sei er persönlich ins Schwitzen geraten angesichts der undankbaren Aufgabe, unseren Tank abzudichten. Bewerkstelligt hat das der kleine Tankwart mit einem Flüssigmetall-Kleber, den ausgetretenen Kraftstoff hat er sorgfältig aufgefangen und wieder eingefüllt. Was das kostet? No se preocupe, sagt der Chef, ist schon gut. Kommen Sie in Zukunft einfach immer zu uns, wenn Sie tanken müssen.


Das Trinkgeld, das ich seinem Mitarbeiter kurz darauf zustecke, ist exorbitant. Für eine unfreiwillige Mundspülung mit Benzin ist es, wie mir scheint, das mindeste.


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