Zu den Eigenheiten der micros, die von Kleinunternehmern oder Kooperativen betrieben werden, gehört eine gewisse schmuddelige Gemütlichkeit mit butterweichen Sitzen und verschlissenen Vorhängen, ein Radio, das cumbias dudelt und eine mäandernde Linienführung, die sich nur Eingeweihten erschließt. Und die ambulantes.
Früher gab es, wie mir scheint, mehr dieser Männern und Frauen, die an der Ampel mit Erlaubnis des Fahrers aufspringen und Schokolade, Cola oder Eiscreme feilbieten. Möglicherweise geht es dem Land mittlerweile tatsächlich so gut, dass nur noch wenige Chilenen auf solche Jobs angewiesen sind. Aber es gibt sie noch, die Verkäufer. Ihr Markenzeichen ist die durchdringend monotone Kopfstimme, mit der sie ihr Produkt ausrufen: pastillas des menta a cien, a cien las pastillas, lleve tres por doscientos, las pastillas de menta. Ich habe mich immer gefragt, warum Bus- und Straßenverkäufer so klingen. Ich glaube, es ist eine Frage der Professionalität: Man wird über weite Entfernungen gehört und verstanden, und die Stimme ermüdet nicht so schnell.
Noch professioneller - und noch seltener - ist eine andere Sorte Verkäufer. Letztens durfte ich wieder einen von ihnen beobachten. Es ist ein halb belustigendes, halb Ehrfurcht gebietendes Schauspiel und geht wie folgt: Ein schmaler Mann im grauen Sakko steigt ein. Er wirkt ausgesprochen gepflegt, aber sein gebräuntes Gesicht verrät, dass er viel Zeit im Freien verbringt. Er positioniert sich vorne im Gang, dort wo im Flugzeug die Stewardessen stehen, wenn sie die Sicherheitsvorkehrungen erklären, und beginnt eine eigentümlich gestelzte Ansprache: Señores pasajeros, tengo el agrado de presentarles ...
Frei übersetzt: "Sehr geehrte Fahrgäste, ich darf Ihnen heute ein ganz besonderes Angebot machen - zwei praktische Tintenschreiber in unterschiedlichen Farben. Jeder einzelne wird Sie in einem beliebigem Schreibwarenladen 700 Pesos kosten, ich verkaufe Ihnen beide zusammen zum einmalig günstigen Preis von tausend." Während er spricht, zieht er besagte Stifte aus einer Innentasche, präsentiert sie, öffnet und verschließt sie wieder, alles mit sorgfältig einstudierten Gesten.
"Das ist aber noch nicht alles", fährt der Mann im grauen Sakko fort. "Zusätzlich zu den Tintenschreibern mache ich ihnen ein Geschenk: diesen lustigen Kinderkugelschreiber mit Schnur zum Umhängen. Und es geht noch weiter: Auch diesen unverwüstlichen Filzstift ..." Es folgen ein Bleistift und ein Textmarker. Sechs Stifte für 1000 Pesos, das scheint nicht übel, auch wenn es Ramsch aus China ist. Aber jetzt setzt unser Verkäufer seine eigentliche Pointe: "Um das Angebot perfekt zu machen, verehrte Fahrgäste, lege ich noch etwas drauf - diese praktische Taschenlampe, ein verlässlicher Helfer, wenn der Strom ausfällt."
Die Lampe macht von weitem einen soliden Eindruck. Sechs Stifte und eine Leuchte, eine solche Offerte kann man kaum ausschlagen. Der Mann im grauen Sakko wartet. Im Bus sitzen sieben oder acht Leute, sie haben die Vorstellung betrachtet und blicken nun teilnahmslos auf den Boden oder aus dem Fenster. Der Mann dreht sich um, steigt an der nächsten Ecke aus und winkt der nächsten micro.
Wie oft hält er diese Rede am Tag? Wie hoch ist seine Gewinnmarge? Kommt es vor, dass er abends keinen einzigen Stift verkauft hat? Wäre Betteln nicht ergiebiger? Mag sein. Aber der Mann im grauen Sakko ist ein Geschäftsmann, er will sein Geld verdienen, er hat das alles durchgerechnet. Und er gibt nicht so schnell auf. Ihm gebührt Respekt.
Hallo C.,
AntwortenLöschennun muss ich doch wenigstens den kurzen Hinweis los werden, dass das Phänomen der Busökonomie natürlich nicht nur auf Chile beschränkt ist, sondern auch in Peru in sehr ähnlicher Form gepflegt wird, wie ich kürzlich feststellen durfte (siehe: http://reisen.grimo.info/2008/03/18/alphabet-der-nachtrage/ )
Ansonsten: jeder Eintrag von Dir ist ein Genuss. Weiter so!
Liebe Grüße,
G.