Mittwoch, 23. April 2008

Körperpolitik

Bei den meisten Scharmützeln, die zurzeit auf Chiles politischen Bühne ausgefochten werden, geht es um Korruptionsvorwürfe. Da gelingt es der rechten Opposition, gemeinsam mit ein paar abtrünnigen Christdemokraten die Bildungsministerin per Impeachment aus der Regierung zu katapultieren, weil sie einen Fall von Subventionsbetrug im Schulwesen nicht gründlich genug aufgeklärt haben soll. Gleichzeitig knirscht es in der ultrarechten UDI: Die Partei verfolgt seit einiger Zeit die Strategie, politische Ämter auf kommunaler Ebene zu besetzen – und nun soll die UDI-Bürgermeisterin eines armen Stadtbezirks von Santiago Vetternwirtschaft betreiben. Angeprangert hat das ausgerechnet ein Schwiegersohn des ewigen Präsidentschaftskandidaten der UDI, Joaquín Lavín.


Um das Gleichgewicht wiederherzustellen, schießt die Opposition gerade gegen Präsidentin Michelle Bachelet, weil die vor ein paar Wochen – ohne ihr Wissen, wie es aus der Moneda heißt – ein Provinzkrankenhaus einweihte, das in Wirklichkeit noch längst nicht fertig war: Man hatte für die Presse und die Präsidentin geliehene Betten aufgestellt und ein paar mehr oder weniger Kranke hineingelegt, unter anderem Mitarbeiter der Gesundheitsverwaltung. Die „potemkinsche Klinik“ hat schon für mehrere Entlassungen auf regionaler Ebene gesorgt, und dabei wird es womöglich nicht bleiben.


Solche Skandale und Skandälchen sind zwar das täglich Brot der Presse, die Gemüter der Chilenen erregt aber offenbar anderes – etwa das Urteil des Verfassungsgerichtes, das die kostenlose Abgabe der „Pille danach“ durch öffentliche Gesundheitseinrichtungen verbietet. Die höchst umstrittene Entscheidung (immerhin verfügte das Gericht kein generelles Kontrazeptiva-Verbot, wie manche befürchtet hatten) brachte in den vergangenen Wochen Tausende auf die Straßen. Gestern marschierten im Rahmen einer landesweiten Aktion an die 20.000 Menschen allein durch Santiago, darunter viele Mitarbeiter staatlicher Polikliniken oder Notaufnahmen. Sie dürften das Elend junger Frauen kennen, die ungewollte Schwangerschaften mit „Hausmitteln“ oder der Hilfe wenig vertrauenswürdiger Dritter zu beenden versuchen.


Auch wenn es an der Gerichtsentscheidung – die vor allem ärmere Frauen benachteiligt – vorerst nichts zu rütteln gibt: Die Entschlossenheit, mit der viele Chileninnen und Chilenen ihre sexuelle Selbstbestimmung gegen einen moralischen Rollback verteidigen, ist erstaunlich und unterstreicht die Tatsache, dass man in diesen Dingen den Hütern des Anstands weit voraus ist.


Letztens belegte eine Umfrage, dass die katholische Kirche in Chile zwar große Unterstützung genießt, wenn es um die Verteidigung sozialer Rechte geht (etwa im Kampf um einen "menschenwürdigen" Mindestlohn), aber etwa bei ihrem Einsatz gegen Geburtenkontrolle auf verlorenem Posten steht. Der Vorsitzende der chilenischen Bischofskonferenz, Alejandro Goic, klagte gestern über „europäische und nordamerikanische NGOs, die in Chile und ganz Lateinamerika mit millionenschweren Kampagnen für Schwangerschaftsverhütung werben“. Diese Organisationen, so Goic, steckten mit den großen Pharmakonzernen unter einer Decke, die die entsprechenden Produkte herstellten. So klingt der Versuch, die in Dingen des Körpers eher rebellischen Chilenen mit Kapitalismuskritik auf den rechten Weg zurückzulocken.


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