Mittwoch, 2. April 2008

Krisenstimmung

Mire los volcanes, sagt der Taxifahrer und deutet auf Puerto Montts Hausvulkan Calbuco, „der Schnee ist fast weg. Ob das der Klimawandel ist? Ich habe sowas noch nie erlebt.“ In der Tat: Für eine Region, in der es statistisch betrachtet eigentlich ununterbrochen regnet, ist die seit Monaten herrschende Trockenphase extrem ungewöhnlich. Die Wetterspalte des Llanquihue dokumentiert täglich das besorgniserregende Niederschlagsdefizit: Anfang April ist - kumuliert - fast 50 Prozent weniger Regen gefallen als im Vergleichszeitraum eines durchschnittlichen Jahres. Wir haben seit unserer Ankunft gerade einmal zwei Regentage erlebt. Der Rest ist Sonne und blauer Himmel, es sei denn, das brennende Buschwerk rund um die Stadt sorgt wieder für morgendlichen Smog, der den Berufsverkehr manchmal stundenlang lahmlegt.

Weil die anhaltende Trockenheit weiter nördlich noch dramatischer ausfällt, und weil Chile den größten Teil seiner Elektrizität mit Wasserkraft produziert, geht seit Wochen das Wort von der crisis energética. Mit größter Sorge werden die Pegel der großen Stauseen beobachtet, an deren Turbinen das Sistema Interconectado Central, das zentralchilenische Hochspannungsnetz, hängt. Zu allem Überfluss brannte es zum Jahreswechsel in einem der größten Dieselkraftwerke des Landes, das daraufhin mehrere Wochen vom Netz ging, und Argentinien schränkte angesichts steigender Nachfrage im eigenen Land seine Gaslieferungen ein.

Auf den Meinungsseiten der Presse bekämpfen sich echte oder vermeintliche Experten, wie dem Dilemma zu entkommen wäre – mit erneuerbaren Energien, mit Megaprojekten wie dem geplanten und höchst umstrittenen Bau riesiger Staudämme in Patagonien, oder gar mit dem Einstieg in die Atomkraft. Ausgerechnet Ex-Präsident Ricardo Lagos, seit dem vergangenen Jahr UN-Sondergesandter für den Klimawandel, betonte kürzlich auf einem Symposium, das Land müsse sich „die nukleare Option offenhalten“.

In unserem Alltag könnte die Energiekrise schon in absehbarer Zeit zu Stromabschaltungen führen. Damit das nicht passiert, hat sich die Regierung zusammen mit den Energieerzeugern eine Sparkampagne ausgedacht. Ahorra ahora, heißt es in ganzseitigen Zeitungsanzeigen und Fernsehspots: spare jetzt. Die angebotenen Rezepte sind uns teils mehr (Glühbirnen gegen Energiesparlampen austauschen), teils weniger vertraut (Wäsche mit kaltem Wasser waschen, den Kühlschrank nicht so häufig öffnen und das Gefrierfach gut füllen, um Kälte zu speichern). Unternehmen wie die Supermarktkette Jumbo nutzen die Krise zu Werbezwecken, schalten tagsüber ein paar Lampen aus und loben sich dafür in den höchsten Tönen.

Typische Probleme eines Entwicklungslandes eben, denkt sich der Beobachter – von wegen.


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