Montag, 14. April 2008

Ein Hilferuf

Was ich im Folgenden berichten werde, wissen bislang die Allerwenigsten. Es ist etwas, über das man äußerst ungern spricht, es sei denn, man kann es in der Vergangenheitsform tun. Dann hat es etwas Anekdotisches, dann kann man es im Freundeskreis und zu fortgeschrittener Stunde gern zum Besten geben, das geht in Ordnung und juckt keinen. Wir aber leiden im Präsens. Und es juckt uns ganz gewaltig: Wir haben einen Floh.

Immerhin: Noch ist es nur einer. Gesehen haben wir ihn zwar bloß ein einziges Mal, für den Bruchteil einer Sekunde, aber es gibt Indizien, dies das Vorhandensein einer größeren Anzahl unwahrscheinlich machen. Konkret: In unserem Haushalt leiden nie zwei zur gleichen Zeit. Mal sitzt der kleine Parasit auf mir, mal auf S., mal auf den Kindern, dort allerdings eher selten und nur für kurze Zeit. Wenn einer frische Stiche vorweisen kann, weiß der andere, dass er für ein paar Tage seine Ruhe hat. Die Hoffnung, das Biest zu fangen, haben wir fast schon aufgegeben. Wenn es am Bein kitzelt und man nachsieht, sitzt er längst am Rücken oder in der Achselhöhle oder sonstwo.

Wahrscheinlich machen sich nur wenige eine Vorstellung von den Qualen, die Flohstiche bedeuten. Oberflächlich betrachtet könnte man einen einzelnen Stich durchaus für das Produkt einer Mücke halten. Verräterisch ist freilich die spezifische Technik des Flohs, der beim Blutsaugen aus nicht abschließend geklärten Gründen mehrmals nebeneinander ansetzt und so viele kleine Stich-Nester hinterlässt. Ein ebenso schockierendes wie aussagekräftiges Wikipedia-Bild findet sich hier.

Ein weiterer Unterschied zur Mücke: Flohstiche jucken höllisch. Und zwar nicht nur eine Nacht lang. Der Juckreiz kann manchmal fast eine Woche anhalten und nimmt im Laufe der Zeit noch zu. Das kommt bisweilen auch daher, dass man sich nicht beherrschen kann und kratzt. Dann entstehen Verletzungen, die sich leicht entzünden können. Und so sieht es aus: Unsere Körper sind das reinste Schlachtfeld. Gut, dass der Sommer vorbei ist. Wir könnten uns nie und nimmer in leicht bekleidetem Zustand präsentieren.

Rätselhaft bleibt für uns, wie die Flöhe uns so zielsicher ausmachen, und weshalb wir ihnen im Gegensatz zu unseren chilenischen Mitmenschen so attraktiv erscheinen. Sicher, wir haben den begründeten Verdacht, dass wir das Tier, das uns seit Wochen überall hin begleitet, in der Ferienwohnung aufgegabelt haben, die uns in den ersten beiden Wochen als Unterkunft diente. Aber es ist auch nicht das erste Mal, dass wir unfreiwillig Haustiere beherbergen: Bei jeder unserer letzten Chilereisen kamen wir in den Genuss.

Täterfoto: Centers for Disease Control and Prevention (CDC) / Janice Carr (über: Wikipedia)

Dass unsere Landsleute mit den Achseln zucken, wenn von Flöhen die Rede ist, kann wenig verwundern. Schließlich werden Menschenflöhe in Deutschland seit der Nachkriegszeit nur noch sporadisch bzw. an sehr übel beleumundeten Personengruppen beobachtet. In Chile dagegen sind sie weit verbreitet - und trotzdem kein Thema. Ich erinnere mich, wie wir vor Jahren in Santiago eine Apotheke betraten und nach einem Mittel gegen pulgas fragten. Die Angestellte lächelte freundlich und holte ein paar Schächtelchen. Para perro o para gato?, fragte sie nach. Nein, präzisierten wir, nicht für Hunde oder Katzen: für Menschen. Der Blick der Apothekerin gefror. Da müssten wir uns wohl an einen Arzt wenden, meinte sie und räumte die Schächtelchen schleunigst zurück ins Regal.

Vielleicht liegt es daran, dass Chilenen von Kindesbeinen an gestochen werden und sich entsprechend frühzeitig gegen das Floh-Allergen wappnen können. Dass wir die einzigen sind, an denen sich die kleinen Springteufel gütlich tun, können wir uns jedenfalls nicht vorstellen. Und in der Tat: Vor kurzem erzählten wir Andrea, einer deutschen Bekannten in Santiago, von unserem Problem. Und stießen zum ersten Mal auf volles Verständnis. "Jedes Mal, wenn wir in einer Ferienwohnung absteigen, bin ich anschließend mit Stichen übersät und könnte mich blutig kratzen", gestand sie uns. "Letztes Mal habe ich mir nach unserer Rückkehr die Klamotten im Garten vom Leib gerissen und bin unter die Dusche geflüchtet. Geholfen hat das nichts."

Gut möglich also, dass wir gar nicht so alleine dastehen. Immer wenn jemand den Kragen seiner Fleecejacke bis unters Kinn hochrollt oder trotz warmer Witterung mit langen Ärmeln erscheint, haben wir jetzt so einen Verdacht. Nur ist das Tabu noch nicht gebrochen. Und vor allem die Frage nicht beantwortet, was gegen die Plage wohl auszurichten sei. Wir haben stundenlang gegoogelt und nur wohlfeile Ratschläge gefunden. Der Juckreiz lasse sich lokal mit Antihistaminika - sprich: Fenistil-Gel - behandeln. So weit waren wir auch schon. Wenn es so weitergeht, versuchen wir es wohl auch noch mit der skurrilen Fangmethode, die wir im Netz gefunden haben: Man gebe einen Schuss Spüli in einen flachen Teller mit Wasser und stelle in die Mitte ein brennendes Teelicht. Nachts von der Helligkeit angezogen, springt der Floh auf den Teller und ertrinkt in dem durch das Spülmittel der Oberflächenspannung beraubten Wasser.

Hat jemand einen besseren Vorschlag? Außer Flohhalsbändern? Dies ist ein Hilferuf. Lasst uns nicht im - äh - Stich.

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