Dienstag, 29. April 2008

Puerto Montt

Wenn man Santiago de Chile in Richtung Süden verlässt, bewegt man sich während der ersten tausend Kilometer in der depresión intermedia, einem zur Linken von der mächtigen Andenkordillere, zur Rechten von der schmächtigen Küstenkordillere begrenzten Tal, das insbesondere in der zweiten Hälfte der Reise recht malerisch von Flüssen, Seen und bewaldeten Hügeln unterbrochen wird. Nickt man ob des weiten Weges ein wenig ein, kann es passieren, dass man irgendwann ins Meer fällt: Dann ist man in Puerto Montt.


Genau genommen liegt Puerto Montt aber gar nicht am Meer, jedenfalls nicht am offenen. Da, wo das zentralchilenische Längstal unter den Meeresspiegel sinkt, öffnet sich der Seno de Reloncaví. Puerto Montt schmiegt sich an den nördlichen Rand der Bucht. Vulkanische und sonstige landschaftsformende Tätigkeit hat der Stadt eine halb hügelige, halb terrassenartige Topografie beschert. Das Zentrum belegt einen recht schmalen ebenen Streifen unten am Ufer.

Laut Wikipedia bringt es Puerto Montt im Ranking der Städte und Agglomerationen Chiles mit 153.000 Einwohnern lediglich auf Platz 12. Das hat sich womöglich längst geändert. Die Zahlen stammen von einer Erhebung des chilenischen Statistik-Instituts aus dem Jahr 2002, und Puerto Montt ist eine der am schnellsten wachsenden Städte des Landes. An den oberen Rändern der Stadt, wo die Terrassen in die sanft gewellte Ebene des chilenischen Seengebiets übergehen, fressen sich riesige Fertighaussiedlungen in die Landschaft. Und das geht schnell: Auf Google Earth ist das Viertel, in dem wir wohnen, noch eine Brache (was aber vielleicht nur gegen Google Earth spricht).


Diese demografische Dynamik, die Puerto Montt wohl nur mit Santiago teilt, verdankt die Stadt größtenteils dem Lachs, der in den Seen, Fjorden und Buchten der Umgebung in großem Maßstab gezüchtet wird. Chile ist mittlerweile zu einem der weltweit größten Exporteure des Edelfischs aufgestiegen, und Puerto Montt ist der Mittelpunkt dieser Industrie. Man betrachtet sich aber auch gerne als Puerta de la Patagonia, als Tor in den chilenischen Teil Patagoniens, durch das in den Sommermonaten Heere von Touristen schreiten. Vom Hafen aus etwa starten die klobigen Fähren zur Laguna San Rafael oder nach Puerto Natales am Nationalpark Torres del Paine.


In den Reiseführern der Besucher wird Puerto Montt denn auch höchstens als zweckdienlich beschriebe, nicht als Ort zum längeren Verweilen. In der Tat lassen sich die architektonischen Sehenswürdigkeiten, die diesen Namen verdienen, auf einem fünfminütigen Spaziergang abhaken. Dominiert wird die Stadt seit ein paar Jahren von einer riesigen, amorphen Shopping-Mall. Auch sonst muss man Puerto Montt als verbaut und, ja, hässlich bezeichnen. Was nicht nur an der fehlenden Stadtplanung liegt, sondern auch an dem verheerenden Erdbeben, das die Stadt im Mai des Jahres 1960 zu großen Teilen zerstörte. Das dreiminütige Beben mit Epizentrum im nahen Valdivia und einer Stärke von 9,5 Grad war das weltweit stärkste, das jemals verzeichnet wurde und gilt nicht von ungefähr als ein zentrales Datum der lokalen Geschichte.

Damals war Puerto Montt gerade einmal ein gutes Jahrhundert alt: Gegründet hatten es im Jahr 1852 deutsche Siedler, die hier auf der Suche nach einem besseren Auskommen Schneisen in den Urwald schlugen. Die meisten ihrer Nachfahren leben heute am Ufer des idyllischen Llanquihue-Sees, aber auch in Puerto Montt begegnet man deutschen Namen auf Schritt und Tritt.


Tut unsereiner in Zentralchile kund, in den Süden des Landes reisen zu wollen, bekommt man mit großer Zuverlässigkeit zwei Hinweise: auf die alemanes, die dort lebten (über sie wird noch zu berichten sein) und auf den Regen, den man - haha - als richtiger Deutscher ja gewohnt sei. Das ist freilich nur die halbe Wahrheit, denn in Chiles Seenregion und in Puerto Montt regnet es statistisch betrachtet mehr als doppelt so viel wie in der regenreichsten Gegend Deutschlands. Das feuchte Grau, in das die Stadt manchmal wochenlang versinkt, trägt zu ihrer Attraktivität wenig bei.


Aber das ist nur die eine Seite. Dann bricht die Sonne wieder durch, eine strahlende, bohrende Mittelmeersonne (Puerto Montt liegt in der Nähe des 41. südlichen Breitengrades, also in etwa dort, wo in der nördlichen Hemisphäre Rom liegt), und versöhnt einen mit dieser hässlichen kleinen, von grandioser Natur umgebenen Stadt, der man zumindest nicht vorwerfen kann, verschlafen zu sein. Das kommt von den vielen Zuzüglern der vergangenen Jahre und von den jungen Leuten, die an einem der zahlreichen Universitäts-Ableger studieren (eine eigene Uni hat Puerto Montt nicht). Vielleicht liegt es auch daran, dass hier mehr Geld im Umlauf ist als in der chilenischen Provinz sonst üblich.


Trotzdem gibt es Armut in Puerto Montt. Die entsprechenden Viertel mischen sich aber stärker mit denen der Begüterten als etwa in Santiago, das im wörtlichen wie übertragenen Sinn in Unter- und Oberstadt geteilt ist. Superreiche gibt es ohnehin nicht, und wenn sie hier doch ein Anwesen ihr eigen nennen, dann liegt es außerhalb der Stadt, am Fuß der Vulkane, am Seeufer oder zwischen saftigen Weiden.


Ein bisschen Glanz fällt im Sommer auf Puerto Montt – wenn draußen in der Bucht die großen Kreuzfahrtschiffe vor Anker gehen, für die der Hafen viel zu klein ist. Der gewöhnliche puertomontino kann von einer Fahrt mit der Infinity oder der Splendour of the Seas nur träumen. Schlendert man aber durch die Innenstadt, begrenzt plötzlich eine weiße Wand aus Schiff die Straße. In solchen Augenblicken ist Puerto Montt fast schon schön.

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