Donnerstag, 29. Oktober 2009

Meine Zeit mit Elisa


Uff. Jetzt ist er doch tot, mausetot. Mit Schlafmittel betäubt und dann ein Schuss in den offenen Mund. Dabei wollte Bruno Alberti sich doch zusammen mit Consuelo, seiner Frau, der Polizei stellen. Dumm nur, dass Consuelo ihn im Verdacht hatte, seine Haut als Kronzeuge gegen sie retten zu wollen. Schließlich hatte sie ihre Nichte Elisa erschossen und nicht Bruno, der erst eine Affäre mit der Min­der­jäh­ri­gen anfing und sie dann wochenlang in einem abgelegenen Som­mer­haus gefangen hielt. Gestorben wäre Alberti in dieser Nacht aber allemal, denn sein rachsüchtiger Schwager Raimundo, Elisas Vater, und Nicolás, Raimundos Freund und Geschäftspartner, wollten ihn ebenfalls töten. Letzterer, weil er in Bruno den Mörder seiner Freundin Juanita zu erkennen glaubte, derselben Juanita, mit der Raimundo kurz zuvor seine Frau Francisca betrogen hatte, die dafür eine heimliche Beziehung mit Camilo einging, dem Kriminalkommissar, der schließlich die sterbende Elisa fand.

Kompliziert? Ja, aber nur ein winziger Ausschnitt von "¿Dónde está Elisa?", meiner telenovela. Meiner novela! Als eine von S. Kolleginen im vergangenen Mai nach Deutschland zurückging, hinterließ sie uns ihren Fernseher. Kurz darauf begann mein heroischer Selbstversuch: eine telenovela von Anfang bis Ende durch­zu­ste­hen. Genau genommen habe ich den Anfang verpasst, aber das macht nichts, denn "¿Dónde está Elisa?" hatte bis jetzt um die hundert Folgen. Von Montag bis Donnerstag, pünktlich um 22 Uhr, gab es eine halbe Stunde Intrigen, Leidenschaft, Geheimnisse und Gewalt, zuzüglich Werbepausen. Und einen Plot, der sich, dem Genre entsprechend, wie ein riesiger Kaugummi in die Länge zog. Handlungsstränge, die auf falsche Fährten führten, im Nichts endeten, nach Wochen wieder aufgenomen wurden, Nebendarsteller, die plötzlich autauchten, um ebenso plötzlich wieder zu verschwinden. Die Frage, wo Elisa wohl sei, war nach der Hälfte schon beantwortet, aber nicht die Frage nach dem Täter und unendlich viele Fragen mehr.

Dass ich trotzdem durch­ge­hal­ten habe, hat mehrere Gründe. Zuallererst eine Por­tion Narzissmus: Wenn man als Ausländer zu verstehen gibt, dass man die derzeit beliebteste novela regelmäßig sieht, wenn man mit Detailwissen und Theorien über die weitere Entwicklung der Handlung aufwarten kann, schlägt einem Un­gläu­big­keit, aber auch Bewunderung entgegen. Vielleicht hat mancher mich auch für verrückt gehalten, aber das war es wert. Denn man kann die novela ja auch auf einer Metaebene als Spiegelbild der Gesellschaft lesen, in die man da eintaucht. Nicht als reales Spiegelbild, sondern als eines, das die kollektive Selbst­wahrnehmung, aber auch Mythen über die eigene Identität repräsentiert. Spä­tes­tens wenn man mit Chilenen die vergangenen Folgen, die Charaktere und die Glaubwürdigkeit der Story analysiert, ist ohne Belang, ob das Ding ein halbindustrielles Erzeugnis zur Schaffung eines erstklassigen Werbeumfelds ist. Sag mir, was du über "Elisa" denkst, und ich weiß schon eine ganze Menge über dich.

Und dann dieser Lindenstraßen-Effekt. "¿Dónde está Elisa?", eine Produktion des staatlichen Senders TVN mit preisgekröntem Drehbuchautor, begabten Schau­spie­lern und experimentierfreudigen Regisseuren, hat ein paar Themen in Um­lauf gebracht, über die man in Deutschland vielleicht lächeln würde - zu Un­recht, denn der erste schwule Kuss in einer deutschen TV-Produktion ist auch noch keine zwanzig Jahre alt. "Elisa" hat nun unter anderem das Verdienst, erstmals Schwule als ganz normale Menschen zu zeigen (auch wenn ihr Leben nur aus Problemen besteht, denn Ignacio, der Ehemann von Olivia, Raimundos Schwester, hat sich nie geoutet und musste sich ausgerechnet in Javier verlieben, Olivias Ex aus Studentenzeiten, der nach einem längeren Aufenthalt in New York als offener gay zurückgekehrt ist). Keine affektierten Tunten mit abgespreizten Fingern, die bislang das offizielle Abbild des gewöhnlichen Homosexuellen im Fernsehen waren, dafür ein Kuss in einer Schwulendisco an Heiligabend. Nicht übel.

Überhaupt kann man Hoffnung haben, dass das relativ neue Genre der telenovela nocturna, der anspruchsvolleren Schwester jener seichten Nachmittagsserien, die längst auch in ARD und ZDF Einzug gehalten haben, irgendwann die Plastikwelt der Schönen und Reichen verlässt, in der sie jetzt noch zuverlässig angesiedelt ist. Das wäre wirklich eine spannende Entwicklung - wenn sich die Chilenen allabendlich selbst zu Gesicht bekämen und nicht nur Menschen wie den "Vorsitzenden eines der bedeutendsten Konzerne des Landes" (die Figur Raimundo laut TVN). Für die novela, die "Elisa" nahtlos ablösen wird, gilt das nicht, es handelt sich um eine Vampirsaga, die im ländlichen Chile des 19. Jahrhunderts angesiedelt ist. Darin geht es um - klar: Intrigen, Leidenschaft, Geheimnisse und Gewalt. Ich für meinen Teil schalte dann mal ab.

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