Montag, 30. November 2009

Korrekt gekleidet im Dienste des Friedens


Wer so schöne Spitzenkleidchen und rote Schuhe trägt, bekommt na­tür­lich nur ungern Konkurrenz von weiblichen Besuchern. Deswegen hat­ten sich Cristina Fernández und Michelle Bachelet für ihre Papstvisite am Samstag in pro­to­kol­la­risch-züchtiges Schwarz gehüllt, Bachelet als be­ken­nen­de Agnostikerin ver­zich­te­te aber im Gegensatz zu Fernández auf eine Verschleierung. Der Besuch im Vatikan diente der Erinnerung an den vor 25 Jahren hier unterzeichneten "Freundschafts- und Frie­dens­ver­trag" zwischen Argentinien und Chile, der die endgültige Beilegung des Beagle-Konflikts bedeutete. Benedikts Vorgänger Johannes Paul und der italienische Kardinal Antonio Samorè hatten seit 1979 zwischen den verfeindeten Militärjuntas vermittelt.

Nachdem Bachelet und Fernández jeweils eine Viertelstündchen mit dem Papst geplaudert und in den einstigen Verhandlungsräumen eine Ge­denk­ta­fel enthüllt hatten, auf denen sie - offenbar latinisiert - als "Mi­cha­ela" und "Christina" verewigt worden waren, gab die chilenische Prä­si­den­tin der Presse zu Protokoll, dass "Chile ein Land ist, welches bei Auseinandersetzungen mit seinen Nachbarn immer dem Dialog und fried­li­chen Konfliktlösungsmechanismen Vorrang einräumt". Das sieht Perus Präsident Alan García, der am heutigen Montag zur Audienz beim Papst ist, anders: Er wirft Chile seit langem eine mehr oder minder verdeckte Aufrüstung vor, die gegen sein Land gerichtet sei. Tatsächlich sind die Pro-Kopf-Militärausgaben Chiles in Lateinamerika absolute Spitze, und daran wird voraussichtlich auch ein Gesetz wenig ändern, das die exklusive Ver­wen­dung von 10 Prozent des Erlöses der staatlichen Kup­fer­un­ter­neh­mens Codelco durch die Streitkräfte aufheben soll und ge­ra­de im Parlament verhandelt wird.

García, der in den vergangenen Wochen Chile wegen eines mut­maß­li­chen Spio­na­ge­falls verbal aufs Schärfste angegriffen hatte, wird Ba­che­let später auf dem Iberoamerikanischen Gipfel in Portugal be­geg­nen. Mal sehen, ob der päpst­liche Segen dann ein erneutes Ver­söh­nungs­wun­der bewirkt.

Foto: dpa

Samstag, 28. November 2009

Eine linke Handbewegung

Alejandro Goic, Regisseur und Schauspieler sowie seit den Sieb­zi­ger­jah­ren be­ken­nen­der Sozialist, unterstützt im Wahlkampf Jorge Arrate. Vor­her hat­te er sich für die Kandidatur von Alejandro Navarro ins Zeug ge­legt, bis der Senator aufgab und Marco Enríquez-Ominami zur neuen lin­ken Hoff­nung kürte. Das hält Goic für einen schlechten Scherz: "MEO instrumentalisiert das Erbe derer, die sich unter der Diktatur aufgeopfert haben, solidarisch waren, sich für die Armen und die Würde der Arbeiter eingesetzt haben. Dieses Erbe, diese Tradition verunglimpft er. Er ist der Prototyp des Yuppie, des rechten Liberalen. Als Unternehmer gehorcht er diesem kulturellen Paradigma."

Dass "MEO" von vielen Chilenen als De-facto-Rechter betrachtet wird, liegt auch an manch un­durch­sich­ti­ger Figur in dessen Wahl­kampf­kom­man­do: etwa Max Marambio, einst Mitglied der politischen Leibwache Allendes (der GAP), der später auf und mit Kuba äußerst lukrative Geschäfte machte und Carlos Cardoen dort einführte, einen Mann, der sich unter Pinochet mit der Herstellung von Streubomben und anderen Rüstungsgütern hervortat. Oder Rodrigo Danús, ein umtriebiger Un­ter­neh­mer im Medien- und Energiebusiness, der sich heute liberal gibt, aber Anfang der Achtziger einer ultrarechten Studenten-Gruppe an­ge­hör­te, die Pinochets Regime gegen aufrührerische Kommilitonen verteidigen woll­te. MEOs Anhänger drehen das natürlich ins Positive: Wer, wenn nicht Marco, so fragen sie, brächte Menschen zusammen, die früher ultimativ verfeindeten La­gern angehörten? Aber das ist Schönfärberei, und Leute wie Marambio und Da­nús haben heute ohnehin genug Gemeinsamkeiten, z. B. die Liebe zum Por­sche­fah­ren.



Vielleicht um sein in dieser Hinsicht kippelndes Image wieder ein wenig nach links zu tarieren, hat Enríquez-Ominami jetzt auch Angehörige von verschleppten und ermordeten Diktaturopfern in seine Spots geholt. Auch biografische Schnipsel verweisen auf die linke Sozialisation des Kan­di­da­ten. Was hier sehr merkwürdig ins Auge fällt, ist die Duplizität einer simplen Geste: Wie sein von Pinochets Killern erschossener Vater, der MIR-Gründer Miguel Enríquez, streicht Marco sich gerne die glatten schwarzen Haare zurück - eine Handbewegung, die im Rahmen seiner Kampagne einen selbstironisch-ikonischen Charakter erlangt hat. Aber unabhängig davon, ob das Durch-die-Haare-Fahren genetisch bedingt ist, ob MEO eine Geste seines Erzeugers kopiert hat oder ob Miguel Enríquez sich gar nicht so leidenschaftlich wie sein Sohn das Haupthaar glättete und der im Werbspot ausgestrahlte Filmschnipsel ein Zufallsfund ist - die Parallele wird bewusst hergestellt. Politisch-ideologisch gibt es aber herzlich wenig Gemeinsamkeiten zwischen den beiden. Mit diesem Bild eine wie auch immer geartete "Nachfolge" des legendären Vaters zu suggerieren, ist daher einfach nur dreiste Taktik von MEOs Managern.



Screenshots von youtube: Claudius Prößer

Montag, 23. November 2009

Der 200-Jahr-Köter

Von den unzähligen Hunden, die auf den Straßen von Puerto Montt leben, war hier schon die Rede. Aber auch jenseits der Anden, in Argentinien, gibt es eine kläffende Parallelgesellschaft, namentlich in Ushuaia, ganz unten auf Feuerland. Davon erfahren haben wir am Wochenende bei einem Miniatur-Filmzyklus, den das argentinische Konsulat im Kulturhaus veranstaltete. Der Film "Gordos Reise ans Ende der Welt" hat einen deutschen Regisseur und erzählt die Geschichte eines Schoßhunds aus Buenos Aires, das aus Versehen in einen Lastwagen gerät und nach Ushuaia mitgenommen wird - wo er sich mehr schlecht als recht durch­schlägt, bis ihn am Ende doch noch ein gutmeinender Mensch aufgabelt.

Das klingt ein bisschen einfältig, aber der Film beeindruckt trotzdem, weil die meisten Aufnahmen gleichzeitig dokumentarischen Charakter haben und das Stra­ßenhundeleben mit allen pikanten Details nachzeichnen: Wahrscheinlich handelt es sich um den weltweit ersten Kinderfilm (in der deutschen Fassung spricht Peter Lustig den Off-Kommentar), der ganz freimütig kopulierende Hunde zeigt. Auch sonst fehlt nichts: weder das Anbetteln der Kreuzfahrt-Touristen, noch der Live-Wurf zwischen Kisten und Gerümpel, noch das waghalsige Spiel der Reifenbeißer. Die gibt es übrigens auch in unserer Straße: zwei Köter, die den lieben langen Tag und nach einem unbekannten Auswahlprinzip vorbeifahrende Autos verfolgen und nach deren Rädern schnappen.

Die eigentümliche Beziehung der Chilenen zu ihren Straßenhunden, die zwischen Abneigung, Mitleid und Sympathie oszilliert, fängt jetzt auch ein Fotowettweberb auf: El Quiltro del Bicentenario, der Zweihundertjahrfeier-Köter, ist Teil einer Reihe von künstlerischen Wettbewerben anlässlich des 200. Jubiläums der Republik im kommenden Jahr. Ich habe mich entschlossen auch teilzunehmen (in Chile lebende Ausländer sind zugelassen) - mit dem Bild unten. Dieses in einer leeren Baumscheibe friedlich schlafende Tier versinnbildlicht für mich die Neh­mer­qua­litäten der chilenischen Straßenhunde: Auch unter widrigsten Be­ding­ungen verlieren sie nicht die Nerven.


Nachtrag: Nach einer aktuellen Recherche der Nación gibt es allein in Santiago de Chile 250.000 "echte" Straßenhunde und ebenso viele, die zwar einen Besitzer haben, aber die meiste Zeit auf der Straße verbringen. In ganz Chile sollen es anderthalb Millionen frei lebende Hunde sein. Natürlich haben die Behörden das Problem als solches erkannt - nur die Maßnahmen sind umstritten. In dieser Woche gab es ein Arbeitstreffen des Verbands der chilenischen Stadtverwaltungen. Am Ende einigte man sich auf folgende Grobziele: verstärkte Öffentlichkeitsarbeit, die Hundebesitzer zu verantwortlicher Haltung bewegen soll, und mehr Geld für Ste­ri­li­sie­rungs­kam­pag­nen. Zwar ist eine Sterilisierung nicht allzu teuer (der Preis be­wegt sich zwischen umgerechnet 12 bis 20 Euro), angesichts der großen Zahl von Tieren können sich die betroffenen Städte das aber kaum leisten. Interessant ist, dass trotzdem fast niemand eine Tötung der Hunde in Erwägung zieht. Le­dig­lich der Tierärzteverband schlägt das als letztes Mittel vor, wenn sich ein Tier gar nicht anders unterbringen lasse.

Sonntag, 22. November 2009

Wenn Männer Händchen halten

Nun hat er es doch getan: Sebastián Piñera, der Prä­si­dent­schafts­kan­di­dat der rech­ten Opposition in Chile, zeigt für ein paar Se­kun­den in einem seiner TV-Spots ein schwules Paar. Einer der beiden Händ­chen hal­ten­den jungen Männer flüstert Piñera etwas ins Ohr, so wie es im sel­ben Clip weitere Repräsentanten ge­sell­schaftlicher Randgruppen tun - eine Mapuche, ein Kind mit Down-Syndrom, ein alter Mann, eine Seh­be­hin­der­te usw. usf. Woraufhin sich der Kandidat (Achtung, Me­ta­pher!) zur de­ren Stimme macht. Im Fall der beiden gays sagt er sinn­ge­mäß: "Unsere Mitmenschen akzeptieren uns schon - jetzt wollen wir, dass uns auch der Staat respektiert."


Drei Männer, zwei Schwule, ein Kandidat (um den Clip zu sehen: Bild anklicken)


Wie soll man diese Geste einschätzen? Einerseits ist es gerade für ei­nen rechten Politiker in Chile ein Wagnis, Schwule als das zu zeigen, was sie sind: ganz normale Menschen. So richtig akzeptiert werden sie nämlich noch lange nicht, und schon gar nicht von den vielen Hardlinern in den eigenen Reihen. Als der Inhalt des Spots vor ein paar Wochen durchgesickert war, hatten Politiker beider rechten Parteien (der ul­tra­ka­tholischen UDI und der eher traditionell-oligarchisch geprägten RN) hef­tig protestiert und zum Teil mit ihrem Ausstieg aus der Piñera-Kampagne gedroht. So betrachtet hat der Kandidat Mut bewiesen. Umgekehrt wird eine Mogelpackung draus: Mag Piñera sich noch so tolerant zeigen - am Ende wird er, wenn er denn regiert, auf Minister und Abgeordnete an­ge­wie­sen sein, denen alles Gleichgeschlechtliche ein Gräuel ist. Was sol­len sich Homosexuelle von einer solchen Regierung versprechen?

Daran, dass Homosexualität irgendwie auch zum Leben gehört, wird sich die Ultrarechte aber gewöhnen müssen, und der Piñera-Spot ist vielleicht ein kleiner Schritt auf dem Weg dahin. Wie auch zu erfahren war, handelt es sich bei einem der beiden schwulen Männer um Luis Larraín Stieb, den Sohn von Luis Larraín Arroyo, Wirt­schafts­wis­sen­schaft­ler an der Universidad Católica und stell­ver­tre­ten­der Leiter des UDI-Thinktanks Libertad y Desarrollo. Das vermeintliche Pro­b­lem tritt also durchaus in den eigenen Reihen auf, und das ist bekanntermaßen auch gut so.

Mittwoch, 18. November 2009

Onkel, Tante, Nachbar

Eine höchst erfreuliche Eigenart des Spanischen ist das umfangreiche Arsenal an Anredeformen, mit denen man nie in Verlegenheit gerät. Vielleicht ist es auch gar kein Privileg des Spanischsprachigen, sondern nur umgekehrt ein deutsches Problem - jenes merkwürdige, seit Jahrzehnten grassierende Anredesterben. Womit nicht das Verschwinden obsoleter Unterwürfigkeitsfloskeln gemeint ist, sondern die peinliche Unfähigkeit, sich verbal an Menschen zu richten, die man nicht mit Namen kennt.

Der Klassiker in Deutschland: Wie rufe ich nach der Bedienung in Café, Bar, Res­taurant? Der "Ober" ist zumindest im urbanen Kontext genau so obsolet wie das "Frollein", und weil an deren Stelle nichts anderes getreten ist, behilft man sich mit einem stotternden "Äh, hallo", das allerdings genausogut einem anderen Gast oder dem eigenen Handy gelten könnte und oft ungehört verhallt. Hierzulande tun es ein simples señor, eine señora oder auch eine señorita. Wenn man bezahlen möchte (wozu jeder chilenische Kellner immer erst eine Rechnung vom separat agierenden Kassenwart holen muss), reicht auch eine Geste, die noch aus großer Entfernung verstanden wird: ein horizontales In-die-Luft-Kritzeln, das für schriftliches Ad­die­ren oder aber für die Unterschrift auf einem Scheck stehen könnte.

Das ist aber noch nicht alles. Genauso unkompliziert ist die Anrede fremder Menschen auf der Straße, wo man in Chile aus dem señor nach Belieben einen caballero machen kann (aber, warum auch immer, aus der señora nie eine dama). Gleichaltrige, informell gekleidete Menschen darf man ruhig auch als amigo bezeichnen, ohne dass die sich gleich belästigt fühlen. Jeden Nachbarn kann man einfach als "Nachbar" (vecino) adressieren - und wenn man den Menschen, der einen vor der Haustür oder an der Supermarktkasse als vecino anspricht, noch nie bewusst gesehen hat, weiß man spätestens dann, woher man ihn eigentlich kennen müsste.

Das sind nur Details, aber sie erleichtern den Alltag. Auch Kinder haben eine praktische Anrede in petto, die die Älteren möglicherweise auch im deutschen Sprachraum noch erlebt haben: den Onkel und die Tante. Ausnahmslos jeder Erwachsene, sei es der Vater des Klassenkameraden oder die Zei­tungs­verkäuferin, heißt im Kindermund tío bzw. tía, und das klingt nicht nach Knicks und Diener, sondern ganz normal und unbekümmert.

In der E-Mail-Kommunikation unter Menschen mit vergleichbarem sozialen Status gibt es jetzt sogar eine neue Anredeform. Wem ein Querido XY ("lieber XY") zu intim, ein Estimado XY ("sehr geehrter XY") aber übertrieben scheint, beginnt die Mail einfach mit "Estimado:", ohne Namen. Das schafft eine Art legerer, au­gen­zwin­kern­der Distanz, und man darf dann trotzdem duzen, ohne umständlich um Erlaubnis zu bitten.

Montag, 16. November 2009

Böses Blut im Kino

Das hat bislang noch kein chilenischer Film geschafft: "La Nana" von Se­bas­tián Silva wurde nicht nur beim Sundance Festival 2009 prämiert, sondern hatte in den USA bis Anfang November bereits knapp 150.000 Dollar eingespielt. Schon deswegen fand Regisseur Silva, sein Werk habe verdient, als chilenischer Kandidat für den besten ausländischen Film der Oscar-Akademie ins Rennen zu gehen. Aber die zuständige Jury nominierte Miguel Littins "Dawson - Isla 10", und seitdem gibt es viel böses Blut unter Chiles Cineasten.

Silva versuchte Littin mit einem nächtlichen Telefonat davon zu über­zeu­gen, seinen Film zurückzuziehen, der war selbstverständlich tief ge­kränkt, und mancher unterstellte der Jury, sich vor einen politischen Kar­ren spannen zu lassen. Dabei bedurfte es gar keiner Einflussnahme von oben, um "Dawson" durchzusetzen, den Film, der von dem Lager erzählt, das die Militärs nach dem Putsch von 1973 für hochrangige Politiker der Unidad Popular auf einer patagonischen Insel einrichteten. Der Film ist alles andere als herausragend, aber Oscar-Juroren sind eben leichter mit groß angelegten Dramen und Durchhaltegeschichten zu beeindrucken, als mit kleinen, psychologisch exakten Gesellschaftsstudien.


Wie auch immer - an dieser Stelle sei jedenfalls eine schöne neue Web­site emp­fohlen: "Cine Chile", die "Enzyklopädie des chilenischen Films" hat sich zur Aufgabe gemacht, ein möglichst komplettes und über­sicht­li­ches Archiv aus technischen Daten, Kritiken, Interviews und Trai­lern bereitzuhalten. Das hat der chilenische Film auch längst verdient, der in den vergangenen beiden Jahrzehnten mehrere Dutzend Premieren junger Regisseure erlebte - auch dank vergleichsweise üppiger Förderung durch die staatliche BancoEstado. Darunter war viel Seichtes und auch hand­werk­lich Schlechtes, aber mit der Zeit kristallisieren sich Namen und Ge­sich­ter heraus, die eine spannende eigene Sprache sprechen. Wer sich für den chilenischen Film interessiert, für den ist "Cine Chile" ganz gro­ßes Kino.

Samstag, 14. November 2009

Politik mit Streifen

Einen Monat vor den chilenischen Präsidenten- und Parlamentswahlen am 13. De­zem­ber darf im Wahlkampf endlich geworben werden. Nach­dem verfrühte Pla­ka­te diesmal recht konsequent abgehängt wurden, ta­pe­zieren die Teams der Kan­di­da­ten und Parteien seit Freitagmorgen Straßen und Plätze. Mit echter Span­nung dagegen haben die Chilenen die franja electoral erwartet, die epischen TV-Spots, die ab jetzt Tag für Tag aus­ge­strahlt werden, und in die die jeweiligen Teams viel Kreativität und noch mehr Geld investieren. Die Popularität der franja geht auf das Jahr 1988 zurück, als das Plebiszit über die Verlängerung der Pinochet-Herr­schaft den Chilenen zum ersten Mal in ihrer Geschichte politische Fern­seh­wer­bung be­scher­te - die im Fall des "No" so gut gemacht war, dass der Erfolg der An­ti-Pinochet-Kampagne zum Teil auch auf ihr Konto ging.

Hier die ersten vier je fünfminütigen "Streifen" zur anstehenden Wahl: Op­po­si­tions­kandidat Sebastián Piñera, der in den Umfragen mit knapp vierzig Prozent führt, hat sich kurzerhand die Farben und Ideen der regierenden Concertación angeeignet, die seinerzeit einen Regenbogen im Logo führte. Bei Piñera ist es ein hübscher bun­ter Stern aus Blumen oder Häkelgarn, der die behauptete Diversität seiner Re­gie­rung unterstreichen soll, den Soundtrack liefern Straßenmusikanten. Der Rest ist Inszenierung: Piñera zutiefst nachdenklich im Kreise seiner Think-Tanker, Piñera oba­ma-gleich als Redner vor Tausenden, der mit einem Blick gen Himmel um "Gottes Hilfe" für sein Projekt bittet.



Bei Konkurrent Eduardo Frei (Concertación) macht eine rührende Ge­schich­te den Anfang: von einer jungen Frau, die als Schülerin schwan­ger wird, die Schule abbrechen muss und dann, als Prä­ze­denz­fall, doch noch ihre Ausbildung beenden darf. Was wohl als Exem­pel dafür herhalten soll, dass Chile unter der Con­cer­ta­ción immer so­zia­ler wird und die Politik immer nah an den Menschen bleibt. Auch Freis Kampagne spielt mit bunen Farben, hier in Form eines Pfeils, der in den un­ter­schied­lichs­ten Zusammenhängen auftaucht - sogar beim Vorspiel eines Lie­bes­paars. Solche Einfälle sollen das dröge Image Freis aufpeppen.



Bei Marco Enríquez-Ominami ("MEO"), dem abtrünnigen concertacionista und Ex-Sozialisten, merkt man, wie schwierig es ist, mit Spaß, aber wenig Geld einen 5-Minuten-Spot kohärent zu füllen. Lustig: MEO lässt sich von einem "Wis­sen­schaftler" im Rahmen eines "Experiments" ohr­fei­gen. Peinlich: die tragende Rol­le von MEOs Frau, der deutsch­stäm­mi­gen Fernsehmoderatorin Karen Dog­gen­wei­ler, die für den Gla­mour-Effekt sorgen soll. Tenor insgesamt: Ich, Ich, Ich.



Sympathisch und unprätentiös schließlich die franja von Jorge Arrate, dem Kan­di­da­ten der außerparlamentarischen Linken. Arrate selbst darf gentlemanlike vor sei­nen häuslichen Bücherwänden sitzen und über Vaterlandsliebe rä­so­nie­ren, ein paar bekannte Gesichter aus Film und Fernsehen machen Kla­mauk für ihn, unter an­de­rem im Rahmen einer fiktiven Telenovela.



In den kommenden Wochen werden diese Spots immer weitergesponnen werden, die Strategen der einzelnen Kommandos werden ihre Tage damit verbringen, die Produkte der Konkurrenz zu analysieren und an allen verfügbaren Schräubchen des eigenen zu drehen. Ob und wie sehr die franja den Wahlausgang beeinflusst, ist offen - dass die Chilenen unbändig neugierig auf ihre "Streifen" sind, kann keiner verhehlen.

Sonntag, 8. November 2009

Glos und die Generäle


Michael Glos hält den "Bolivarismus" von Hugo Chávez für eine Be­dro­hung - nicht, weil Chávez gerade erklärt hat, dass er nur drei Mi­nu­ten zum Duschen braucht, sondern weil er "seine Ideen auch in anderen la­tein­ame­ri­kanischen Län­dern finanziert". Der ehemalige Bun­des­wirt­schafts­minister ist gerade mit einer De­le­ga­tion der Hanns-Seidel-Stiftung zu Besuch in Chile. Dem Mercurio hat er ein kleines Interview gegeben.

El Mercurio: Und wie sehen Sie die wirtschaftliche Entwicklung in der Region?

Michael Glos: Was das betrifft, ist Chile ein vorbildliches Land. Ich weiß, dass die Generäle sich selbst in wirtschaftlichen Dingen für nicht allzu kompetent hielten und deshalb Experten ins Land geholt haben. Das hat dazu geführt, dass die Wirtschaft hier eine sehr positive Entwicklung durchgemacht hat, dass Chile in der Region führend ist. Natürlich ent­schuldigt das nicht, dass es in diesem Land Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen gegeben hat. Aber es ist auch eine Tat­sa­che, dass hier die Basis dafür gelegt wurde, dass Chile heute eine Vor­bild­funk­tion für die gesamte Region innehat.

Merke: Nicht nur die Chicago Boys haben den Generälen seinerzeit unter die Arme gegriffen, sondern auch die Hanns-Seidel-Stiftung, für die der Staatsrechtler Die­ter Blumenwitz nach 1979 Chile reiste. Er leistete den Generälen Schüt­zen­hilfe bei der Ausarbeitung der am 11. September 1980 mit einem frag­wür­di­gen Ple­bis­zit verabschiedeten und (mit Mo­di­fi­ka­tionen) bis heute gül­ti­gen Verfassung.

Donnerstag, 5. November 2009

Alerce Andino



Die Alerce, der namensgebende Baum des 20 Kilometer östlich von Puerto Montt gelegenen Nationalparks Alerce Andino, ist keine Lärche, wie der Name andeutet, den europäische Botaniker ihr einst gaben. "Patagonische Zypresse" ist die korrektere deutsche Bezeichnung des riesigen, sehr langsam wachsenden Baumes, der bis zu 50 Meter hoch und - aufgepasst! - über 3000 Jahre alt werden kann.

In Chile findet man ihn nur noch in Nationalparks und abgelegenen Bergregionen, sein rötliches, feinmaseriges Holz, das sehr feuchtigkeitsunempfindlich ist, war einfach zu begehrt. Jetzt steht die Alerce neben einer Handvoll anderer Baumarten im Anhang I des CITES-Artenschutz-Abkommens: Jeglicher kommerzielle Handel ist streng verboten. Auch in Chile darf niemand eine Alerce fällen - wie man hört, verleiten die astronomischen Preise, die sich mit dem Holz erzielen lassen, manche Menschen dennoch dazu. Eine effektive Kontrolle durch den Staat ist aufgrund der Weitläufigkeit und Unzugänglichkeit des Verbreitungsgebiets kaum möglich.

Um die erste große Alerce in "unserem" Nationalpark zu Gesicht zu bekommen, muss man mehrere Kilometer weit über eine schmale Holperpiste fahren und dann noch eine Stunde laufen. Die nächsten lebenden Exemplare finden sich erst viel weiter oben zwischen den Bergen. Aber auch sonst gibt es unzählige endemische Pflanzen des Valdivianischen Regenwalds zu bestaunen.