"Als wir letztens in Mexiko waren, habe ich mich regelrecht geschämt", berichtet Patricio. "Jedes Schulkind kann im Schlaf herbeten, wann die Mexicas Tenochtitlan gegründet haben. Weil die Mexikaner stolz sind auf ihre indigenen Vorfahren. Und was wissen unsere Kinder von ihren Wurzeln? Nichts. Wir schämen uns dafür." Patricio ist der Mann von Adriana, die in Puerto Montt die regionale Einheit der Drogenpräventionsbehörde Conace leitet. Auf dem Familienausflug von J.s Montessori-Kindergarten, wo Patricio seiner Enttäuschung Luft macht, haben die Gespräche ein erfreuliches Niveau, denn die nach hiesigen Maßstäben ziemlich alternative Einrichtung übt auf Intellektuelle eine besondere Anziehungskraft aus (was man von S.' und B.s Schule nicht unbedingt behaupten kann - sie besucht, wer einmal einen Beruf zum Geldverdienen erlernen will bzw. soll).
Patricios Klage ist etwas überspitzt, denn auch viele Chilenen kennen sich zufriedenstellend mit der Geschichte ihres jungen Landes aus. Außerdem ist Chile nicht Mexiko, und die kulturellen Errungenschaften der Mapuche mit denen der Azteken gleichzustellen, wäre gut gemeint, aber vermessen. Aber die kulturelle Selbstvergessenheit der Chilenen gibt es tatsächlich, und wir haben sie eine Woche zuvor ausgerechnet auf der Abschlussfeier der Montessori-Schule beobachten können. Alle Gruppen vom Kindergarten aufwärts hatten etwas Szenisch-Musikalisches einstudiert, aber bis auf einen Osterinsel-Tanz mit Baströckchen und Federschmuck war alles made in the USA. Der ästhetisch wie pädagogisch fragwürdige Höhepunkt: Eine Gruppe von Sechs- oder Siebenjährigen spielte (80er-Retromode!) Michael Jacksons "Thriller"-Video nach.
In Deutschland hätte die Forderung nach einer höheren Bewertung der eigenen Kultur einen üblen Beigeschmack, aber in Chile geht das schon in Ordnung. Die Militärs hatten mit der fruchtbaren künstlerischen Produktion unter Allende kurzen Prozess gemacht, und der lang anhaltende wirtschaftliche Boom, der auf die trüben Jahre der Diktatur folgte, hat dem Land in erster Linie eine Kultur der Imitation und des Konsums beschert. Obwohl die Regierungen der Concertación über den Consejo de la Cultura y las Artes durchaus nicht wenige Mittel und Ideen in diesen Bereich investieren.
Gleich am Abend kommen wir in den Genuss einer kulturellen Großveranstaltung der anderen, ja: besseren Art, zu der uns Manuela noch auf dem Ausflug eingeladen hat. Ihr Mann ist der Vorsitzende des regionalen Kulturrats, und Puerto Montt richtet in seinem nagelneuen Convention-Center das jährliche chile+cultura-Fest aus, mit dem man der kulturellen Produktion vor Ort eine Bühne geben will. Die Mischung ist gewagt, im Foyer gibt es Videoinstallationen zu sehen, aber auch geschnitzte Hirsche und Segelboote von einheimischen Kunsthandwerkern.
Bei der von Chiles umtriebiger Kulturministerin Paulina Urrutia persönlich moderierten Bühnenshow treten dann unter anderem ein Jugend-Folkloreensemble und die Big Band von Puerto Varas auf, und Jugendliche aus einem besonders armen Viertel von Puerto Montts ohnehin armer Satellitenstadt Alerce haben aus Stoff, Styropor und Pappmaschee riesige Puppen gebastelt, darunter einen kiffenden Bob Marley und eine Violeta Parra. Alles in allem ein nettes Event, nur schlecht besucht. Statt der erwarteten 3.000 Zuschauer sind wohl gerade einmal halb so viele gekommen. Die anderen treffen wir später bei Jumbo, wo man im Parkhaus in zweiter Reihe halten muss.
Patricios Klage ist etwas überspitzt, denn auch viele Chilenen kennen sich zufriedenstellend mit der Geschichte ihres jungen Landes aus. Außerdem ist Chile nicht Mexiko, und die kulturellen Errungenschaften der Mapuche mit denen der Azteken gleichzustellen, wäre gut gemeint, aber vermessen. Aber die kulturelle Selbstvergessenheit der Chilenen gibt es tatsächlich, und wir haben sie eine Woche zuvor ausgerechnet auf der Abschlussfeier der Montessori-Schule beobachten können. Alle Gruppen vom Kindergarten aufwärts hatten etwas Szenisch-Musikalisches einstudiert, aber bis auf einen Osterinsel-Tanz mit Baströckchen und Federschmuck war alles made in the USA. Der ästhetisch wie pädagogisch fragwürdige Höhepunkt: Eine Gruppe von Sechs- oder Siebenjährigen spielte (80er-Retromode!) Michael Jacksons "Thriller"-Video nach.
In Deutschland hätte die Forderung nach einer höheren Bewertung der eigenen Kultur einen üblen Beigeschmack, aber in Chile geht das schon in Ordnung. Die Militärs hatten mit der fruchtbaren künstlerischen Produktion unter Allende kurzen Prozess gemacht, und der lang anhaltende wirtschaftliche Boom, der auf die trüben Jahre der Diktatur folgte, hat dem Land in erster Linie eine Kultur der Imitation und des Konsums beschert. Obwohl die Regierungen der Concertación über den Consejo de la Cultura y las Artes durchaus nicht wenige Mittel und Ideen in diesen Bereich investieren.
Gleich am Abend kommen wir in den Genuss einer kulturellen Großveranstaltung der anderen, ja: besseren Art, zu der uns Manuela noch auf dem Ausflug eingeladen hat. Ihr Mann ist der Vorsitzende des regionalen Kulturrats, und Puerto Montt richtet in seinem nagelneuen Convention-Center das jährliche chile+cultura-Fest aus, mit dem man der kulturellen Produktion vor Ort eine Bühne geben will. Die Mischung ist gewagt, im Foyer gibt es Videoinstallationen zu sehen, aber auch geschnitzte Hirsche und Segelboote von einheimischen Kunsthandwerkern.
Bei der von Chiles umtriebiger Kulturministerin Paulina Urrutia persönlich moderierten Bühnenshow treten dann unter anderem ein Jugend-Folkloreensemble und die Big Band von Puerto Varas auf, und Jugendliche aus einem besonders armen Viertel von Puerto Montts ohnehin armer Satellitenstadt Alerce haben aus Stoff, Styropor und Pappmaschee riesige Puppen gebastelt, darunter einen kiffenden Bob Marley und eine Violeta Parra. Alles in allem ein nettes Event, nur schlecht besucht. Statt der erwarteten 3.000 Zuschauer sind wohl gerade einmal halb so viele gekommen. Die anderen treffen wir später bei Jumbo, wo man im Parkhaus in zweiter Reihe halten muss.
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