Montag, 15. Dezember 2008

Müll

Dass unser Leben in Chile auch nur entfernt mit dem Begriff "Nachhaltigkeit" in Verbindung gebracht werden könnte, muss man leider verneinen. Während wir den Alltag in Berlin längst ökologisch feinjustiert hatten und im Stillen Kilowatt addierten wie Magersüchtige Kalorien, lassen wir hier so richtig die Umweltsau raus - nicht weil's Spaß macht, sondern weil die Chancen gering sind, aus dem gesteckten Rahmen auszuscheren.

Man gewöhnt sich aber auch an vieles. Daran, dass "Bio" auf dem Trinkjoghurt steht, der - die Zutatenliste beweist es - nicht einmal Spurenelemente der behaupteten Fruchtsorte enthält. Daran, dass man sich freut, wenn die Tankanzeige stärker ausschlägt als sonst, weil man nach Betrag tankt und das Benzin mal wieder billiger geworden ist. Oder aber an die tausendundeine Plastiktüte, in die die Einkäufe ungefragt gesteckt werden, säuberlich nach Produktgruppen getrennt.

Bleiben wir beim Beispiel: Man kann gegen die Tütenflut anschwimmen wie S.' Kollegin, eine pensionierte Studienrätin, die den ratlosen Einpackern mit tadelndem Blick ihren offenen Rucksack hinhält. Aber so etwas produziert nur Reibungen. Wir dagegen passen uns an und erkennen die Tugend in der Not: Schließlich lassen sich die dünnen, aber stabilen und geräumigen Tüten perfekt zum Müllsammeln verwenden, viel besser jedenfalls als die in Deutschland gängigen Modelle. Und Müll machen wir im großen Maßstab.

Nach ein paar Monaten in einem Land, wo die Menge "Müll" mit der Menge "Restmüll" kongruent ist, fällt es schwer, sich an die Sorgfalt zu erinnern, mit der man in Berlin die
unterschiedlichen Abfallsektionen separierte. Hier kommt alles - alles! - in die großen, grünen, dreckigen Container, die ein paar Ecken weiter an der Straße stehen. Fallen dafür überhaupt Gebühren an? Ja, sagen die Nachbarn nach längerem Nachdenken, einmal im Jahr wird da ein kleiner Betrag auf die Wasserrechnung aufgeschlagen. Merkt man aber gar nicht.

Recycling wäre eine Alternative. Aber wie? Es gibt Wohltätigkeitseinrichtungen, die gebrauchte Wertstoffe sammeln. Eine, die Kindern mit Verbrennungen hilft, stellt Glascontainer auf. Mit leeren Tonerkartuschen verhilft man benachteiligten Jugendlichen zu besserer Bildung, und aus den durch recycelten Plastikmüll generierten Einnahmen werden Familientherapien finanziert, wenn ich das richtig verstanden habe. Dass das alles nur über moralischen Druck funktioniert, ginge ja noch in Ordnung - aber die allermeisten Organisationen sammeln hier in der Provinz überhaupt nicht. So etwas wie Recycling betreiben nur die Müllsammler, die in den Containern mit eigens dafür zurechtgebogenen Stangen nach Brauchbarem stochern. Lustig ist das nicht.

Immerhin haben wir uns ein kleines Ventil geschaffen, um unser latent schlechtes Ökogewissen zu entlasten: einen kleinen Kompost im Garten, wo wir sorgfältig Küchenabfälle und Rasenschnitt aufschichten. Das ist exotisch genug - die fliegenden Rasenschneider, die mit ihren Motorsensen ständig im Viertel unterwegs sind, packen das Grünzeug in Einkaufstüten und schmeißen es in den Container.

Auch eine Form der Müllentsorgung: hungrige Hunde in Puerto Montts Fischerhafen Angelmó.

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