Dienstag, 10. Februar 2009

Kulturlandschaften

Die Ankunft in Coyhaique, der Hauptstadt der Aysén-Region, verblüfft durch einen radikalen Wandel der Landschaft. Kommt man von Norden und hat tagelang immergrüne, wolkenverhangene Täler durchquert, findet man sich plötzlich in einer Umgebung wieder, die aussieht, als hätte man einen Landstrich der Toskana ins Yosemite Valley montiert. Hinten hohe, schroff abfallende Tafelberge, vorne hügelige Felder (die Zypressen sind in diesem Fall freilich Pappeln). Dazwischen Kiefernwälder, in denen man sich - noch ein Eindruck, der nicht hierhin passt - mit einem Mal im Hohen Fläming wähnt.


Der Effekt dieser Kulturlandschaft ist widersprüchlich. Einerseits lässt sich nicht leugnen, dass sich das schon an die Wildnis gewöhnte Auge über so viel Differenziertheit freut. Andererseits muss man nur noch ein wenig weiter nach Süden fahren, um die hässliche Seite dieser menschengemachten Umgebung kennen zu lernen. Das angenehm Trockene geht hier ins Steppenhafte über, auf den Hügeln liegen kreuz und quer tote Stämme herum, hier und da ist ein Hang ins Rutschen gekommen und der nackte Fels liegt frei. Das alles zeugt von gewaltigen Waldbränden in den Vierzigerjahren, als Brandrodungen außer Kontrolle gerieten und niemand da war, der solch gigantische Feuer hätte löschen können oder wollen. Nur rund um Coyhaique hat man die Schäden durch Aufforstung behoben, auch wenn die schnellwachsende Kiefer kein echter Ersatz für den verlorenen Urwald ist.

In Coyhaique selbst, einer freundlichen Kleinstadt, stolpert man andauernd über eine Kampagne, die neues Unheil für die patagonische Umwelt verhindern will: Patagonia sin Represas, "Patagonien ohne Staudämme" lautet der Kampfruf. Ein Zusammenschluss von chilenischen und internationalen Ökoaktivisten und engagierten Bürgern will das größte Energieprojekt der chilenischen Geschichte verhindern: die Anlage von fünf Stauseen am Río Baker und am Río Pascua, mit deren Wasserkraft 2,75 Gigawatt erzeugt werden sollen, in etwa dieselbe Menge, die bereits heute an allen Stauseen Zentralchiles produziert wird.

Das Projekt Hidroaysén ist ein Joint-Venture von Endesa Chile und Colbún, den beiden größten chilenischen Stromerzeugern. Ihre Argumente sind ausführlich in einem Wikipedia-Eintrag nachzulesen, den sich die Befürworter offenbar zur Beute gemacht haben. In der betroffenen Region dagegen mag fast niemand etwas von Hidroaysén wissen, auch wenn die Unternehmen mit Arbeitsplätzen locken und sogar exklusiv verbilligten Strom für die Region versprechen. Auf ihrer Seite bringen sie viele gute Argumente gegen das Megaprojekt an, das eine bislang weitgehend unberührte Umwelt einschneidend verändern würde, um den Energiehunger der fast zweitausend Kiloemter nördlich gelegen Hauptstadt zu stillen. Derzeit liegt das Projekt auf Eis, weil die Umweltbehörden eine Überprüfung in hunderten Einzelpunkten vornehmen wollen.

Bei der Anti-Staudamm-Kampagne offenbart sich aber auch ein Schwachpunkt: Die Umweltschützer haben sich auf das vermeintlich publikumswirksamste Argument versteift, die riesige Hochspannungsleitung, die notwendig wäre, um Santiago mit patagonischem Strom zu versorgen. Das aber ist zu großen Teilen ein ästhetisches Argument, dem die Unternehmen leicht etwas entgegensetzen können, indem sie niedrigere Masten oder eine veränderte Trassenführung versprechen. Und auch das Plädoyer für Windkraft als Alternative, das die Kampagne ins Feld führt, kann sich hier schnell ins Gegenteil verkehren, denn landschaftsneutral ist die ja nun auch nicht. Immerhin, die drei Windräder, die sich auf einer Anhöhe bei Coyhaique drehen, sind noch ein freundliches i-Tüpfelchen auf der Brandenburger Prärie-Toskana.

1 Kommentar:

  1. Wie Du ein Chilebewohner auf Zeit, verbringe ich meinen Nach-Sommerurlaub in Patagonien und geniesse den üppigen Regen, den ich in Santiago und Chillán den Sommer über schwer vermisse. Als Tourist stösst man ständig auf die "Patagonia sin Represas" Banner, in jedem Hostal kleben sie an der Fensterfront. In der Tat glaube ich, dass der Tourismus bei dem Projekt nur verlieren kann. Aber wenn man die Situation landesweit betrachtet, sieht es für mich etwas differenzierter aus. Die sechs-Millionen-Stadt Santiago braucht Energie und Gaslieferungen aus Argentinien und Bolivien haben sich als noch weit unzuverlässiger erwiesen, als etwa die russischen, an denen Deutschland hängt. Noch mehr politischen Druck für eine zuverlässige Energiequelle als die Einwohner von Santiago macht die Bergbauindustie weiter im Norden. Mehr als 3000 Kilometer entfernt von Patagonien wollen sie ihre Förderbänder am Laufen halten. Der Bergbau ist der am weitesten wichtigste Wirtschaftszweig in Chile. Wenn Hydroaisen nicht zustande kommt, dann wollen sie ein Atomkaftwerk - für mich eine weit mehr schreckende Vorstellung als die Staudämme am Rio Baker. Chile ist ein hochaktives Erdbebengebiet - von allen anderen Problemen der Atomenergienutzung mal ganz zu schweigen.
    Natürlich erscheint es auch mir erstmal absurd, Energie über tausende von Kilometern zu transportieren. Die einzig wünschenswerte Alternative die ich sehe, wäre die lokale Nutzung von Sonnen- und Windenergie. Das hätte zudem den Vorteil, dass in einem Land, in dem der Reichtum so ungleich verteilt ist, ganz viele die Chance hätte zum Energier-Kleinerzeuger zu werden. Erst gestern hat mit ein Mann in Puyuhuapi stolz seine 3-Kilowatt Turbine vorgeführt. Er musste nur ein Rohr 30 Meter weit über dem Wasserfall installieren (in Patagonien besitzt jeder zweite einen eigenen Wasserfall :-) Ab Santiago und weiter nördlich scheint die Sonne fast alle Tage im Jahr. Idealbedingungen für alternative Energien!
    Wenn ich jedoch dem Bergwerks-Boss von diesen Möglichkeiten erzähle, wird er vermutlich nur die Augenbrauen hochziehen und fragen: "Und wo kann ich ein 100-Megawatt Solarkraftwerk kaufen? Was treibt meine Maschinen an, wenn der Wind nicht weht?" An der Beantwortung dieser Fragen arbeitet man auch in Europa noch mit Hochdruck.
    Etwas anderes kommt mir noch in den Kopf, wenn ich die "Patagonia sin Represas" Kampagne beobachte, die ja, wie Du schreibst, offenbar im Ausland noch stärker wahrgenommen wird als in Chile selbst. Das Stichwort ist Öko-Kolonialismus. Warum, frage ich mich, darf Chile keine Staudämme in seine Fjordlandschaften bauen, wo doch Norwegen weithin als Energie-Musterkanbe gilt weil es seinen Energiebedarf praktisch komplett durch Wasserkraft abdeckt. Wie ich vor kurzem las, verkaufen die Norweger ihren überschüssigen Strom bis nach Holland. Eine Unterwasser-Gleichstrom-Hochspannungsleitung wurde dafür in der Nordsee verlegt. Das dürften auch so an die 1500 Kilometer sein. Vielleicht ist der Grund der folgende: Viele reiche Ausländer haben in Patagonien Landbesitz. Vielerorts kostet es immer noch Spottpreise und der Erwerb ist für Ausländer relativ unproblematisch. Noch mehr kommen als Tourist aus Europa, den USA und Irael. Mir kommt es so vor, als würden sie ihr Idyll nicht gerne von den Entwicklungsbedürfnissen ihres Gastlandes gestört sehen und sich von Hochspannungsmasten irritieren lassen, wenn sie die Angel schwingen um 20 Kilo schwere Lachse aus dem Fluss zu ziehen.

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