Donnerstag, 19. Februar 2009

Überfahrt, die zweite

Auf dem Weg zum Lago Ranco, hundertfünfzig Kilometer nördlich von Puerto Montt, kommt man nach Puerto Lapi. Von einem Hafen ist an dieser Stelle nichts zu sehen, es handelt sich um den Ausfluss des Río Bueno aus dem großen See, ein hundert Meter breiter Streifen Wasser zwischen Bäumen, türkisblau und transparent. Für den Bau einer Brücke hat es hier nicht gereicht, auf der Schotterstraße sind nur wenige Autos unterwegs. Eine orangerote Fähre liegt am Ufer, sie bietet Platz für zwei, vielleicht drei Fahrzeuge. Der Fährmann, nein die Fährmänner, zwei an der Zahl, winken uns auf ihr Boot, kurbeln die kleine Rampe hoch und setzen das Gefährt langsam in Bewegung, indem sie mit Haken an einem über den Fluss gespannten Seil ziehen. Die Überfahrt dauert ungefähr fünf Minuten.

Was er dafür bekommt? "Einen freiwilligen Beitrag", sagt einer der beiden, während er am anderen Ufer die Rampe zur Ausfahrt herunterkurbelt. Ob sich das lohnt? Unweigerlich drängt sich an dieser Stelle die Böll'sche Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral ins Bewusstsein, jener kurze Text, dem man zumindest in unserer Schulzeit kaum entgehen konnte und der erzählt, wie ein Tourist einen im Hafen dösenden Fischer vergeblich vom Wert der Anstrengung zu überzeugen versucht. Ein Text, der immer auch ein bisschen nervte, weil er letztlich Armut verkitscht.

Aber hier erwischt man sich selbst beim Sinnieren, ob es für diese Fähre nicht effizientere Antriebsformen gäbe, die zumindest die Arbeitskraft eines zweiten Mannes überflüssig machten. Der könnte sich dann anderen Tätigkeiten zuwenden, zum Beispiel - ach, Unsinn: Zumindest an diesem heißen Sommertag könnten die beiden kaum weniger entfremdet sein von ihrer Tätigkeit. Statt eines ratternden Motors hört man nur leises Gluckern und das Geschrei badender Kinder. Nach geleisteter Beförderung springen die beiden ins Wasser, um sich abzukühlen. Vor Abfahrt hatten sie das übrigens auch schon getan, so muss der Körper erst gar nicht schwitzen. Und ganz wie bei Böll verlässt man die Szene weniger mit Mitleid als mit ein wenig Neid.

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