Mittwoch, 27. Mai 2009

Farben machen Leute


J. hat seit ein paar Wochen eine Schuluniform, er trägt sie mit Stolz. Eigentlich ist es mehr ein Trainingsanzug als eine Uniform, aber Farbgebung und Schriftzug der Schule (zu der sein Kindergarten gehört) weisen ihn als Teil einer Gruppe aus, mit der er sich gerne identifiziert. Zu den Vorzügen seiner und B.s Schule gehört andererseits, dass das Tragen der Trainings-Uniform freiwillig ist. In den staatlichen und auch den meisten anderen Privatschulen ist das nicht so: Hier herrscht strenge Uniformpflicht. Nachmittags, nach Unterrichtsende, sieht man Trauben, ach was: Herden Uniformierter über die Straße ziehen.

In Deutschland flammt ja alle Jahre wieder die Debatte auf, ob Schuluniformen nicht doch von Vorteil wären, um sichtbare Statusunterschiede zwischen Schülern und überhaupt deren Fixierung auf Äußerlichkeiten aufzuheben. Vor dem Hintergrund unserer hiesigen Erfahrungen muss man sagen: Auf gar keinen Fall!

Nicht dass die chilenischen Schüler kreuzunglücklich wären mit ihren einheitlichen Anzügen, Sweatshirts und Röckchen - auch wenn letztere ihre Trägerinnen teilweise überdeutlich sexualisieren (man hat dann bisweilen dieses Molotov-Cover vor Augen). Dass auch optisch neutralere Uniformen mehr Probleme schaffen als sie lösen, hat mehrere Gründe:

1. Die Status-Differenzen werden nur subtiler. Wer Einheitskleidung trägt, verdeutlicht seine überlegene soziale Stellung durch Jacken, Armbanduhren, Brillengestelle, IPods, Handys undsoweiter. Umgekehrt ist die sichtbare Alterung der Uniform (die schon der große Bruder tragen musste) ein Ausweis für ökonomische Schwäche.

2. Der Lehrer wird zur Bekleidungspolizei. Eigentlich müsste S. fast jeden Tag Schüler bei der inspectoría, den schulinternen Ordnungshütern, melden. Denn damit Uniformen uniform wirken, muss man permanent auf ihrem korrekten Tragen bestehen. Sonst schleichen sich ganz schnell wieder Spuren von Individualität ein - etwa indem jemand Schuhe mit drei Streifen trägt anstatt solcher, deren Marke weniger deutlich erkennbar ist. Natürlich meldet S. die Schüler nicht.

3. Auf das stärkste Argument gegen Schuluniformen wäre ich in Deutschland, wo ja keine diesbezügliche Praxis herrscht, nie gekommen: Uniformen stigmatisieren. Nicht in der Schule, sondern auf dem Schulweg. In einem Land wie Chile, wo Klassenunterschiede sich nahtlos ins Bildungswesen fortsetzen, ist das natürlich besonders krass. Schon von weitem erkennt man, aus welchem Stall der andere kommt, ob die wirtschaftliche Situation seiner Eltern für das Privatinstitut mit dem klingenden Namen reicht oder gerade einmal fürs liceo técnico, auf das die späteren Arbeitslosen gehen. Rotgraue, Gelbblaue, Grünkarierte bzw. Alphas, Betas, Gammas.

Die Schule, an der S. unterrichtet und auf die B. im ersten Jahr ging, hat sich für ihre unteren Klassen etwas ganz Gemeines ausgedacht: Die Kleinen müssen eine Art Kopie jenes Trikots tragen, mit dem die deutsche Fußball-Nationalmannschaft 1990 in Italien Weltmeister wurde. Inzwischen trägt B. nur noch seine eigenen Klamotten.

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