Freitag, 1. Mai 2009

Öko-Kolonialismus?

Auf Erstermaiwochenendreise in Santiago reicht die Zeit kaum zum Bloggen. Des­halb stelle ich heute mal einen interessanten Kommentar hier hinein, den ein mir un­be­kann­ter Stefan in Reaktion auf diesen Post vom Februar geschrieben hat. Und da findet den ja doch keiner mehr.

Wie Du ein Chilebewohner auf Zeit, verbringe ich meinen Nach-Sommerurlaub in Patagonien und genieße den üppigen Regen, den ich in Santiago und Chillán den Sommer über schwer vermisse. Als Tourist stößt man ständig auf die "Patagonia sin Represas"-Banner, in jedem Hostal kleben sie an der Fensterfront. In der Tat glaube ich, dass der Tourismus bei dem Projekt nur verlieren kann. Aber wenn man die Situation landesweit betrachtet, sieht es für mich etwas differenzierter aus. Die Sechs-Millionen-Stadt Santiago braucht Energie, und Gaslieferungen aus Argentinien und Bolivien haben sich als noch weit unzuverlässiger erwiesen, als etwa die russischen, an denen Deutschland hängt.


Noch mehr politischen Druck für eine zuverlässige Energiequelle als die Ein­woh­ner von Santiago macht die Bergbauindustie weiter im Norden. Mehr als 3000 Kilometer entfernt von Patagonien wollen sie ihre Förderbänder am Laufen halten. Der Bergbau ist der am weitesten wichtigste Wirtschaftszweig in Chile. Wenn Hydroaisén nicht zustande kommt, dann wollen sie ein Atomkraftwerk - für mich eine weit mehr erschreckende Vorstellung als die Staudämme am Rio Baker. Chile ist ein hochaktives Erdbebengebiet - von allen anderen Problemen der Atomenergienutzung mal ganz zu schweigen.

Natürlich erscheint es auch mir erstmal absurd, Energie über tausende von Kilometern zu transportieren. Die einzig wünschenswerte Alternative, die ich sehe, wäre die lokale Nutzung von Sonnen- und Windenergie. Das hätte zudem den Vorteil, dass in einem Land, in dem der Reichtum so ungleich verteilt ist, ganz viele die Chance hätten, zum Energie-Kleinerzeuger zu werden. Erst gestern hat mit ein Mann in Puyuhuapi stolz seine 3-Kilowatt-Turbine vorgeführt. Er musste nur ein Rohr 30 Meter weit über dem Wasserfall installieren (in Patagonien besitzt jeder zweite einen eigenen Wasserfall :-)). Ab Santiago und weiter nördlich scheint die Sonne fast alle Tage im Jahr. Idealbedingungen für alternative Energien!

Wenn ich jedoch dem Bergwerks-Boss von diesen Möglichkeiten erzähle, wird er vermutlich nur die Augenbrauen hochziehen und fragen: "Und wo kann ich ein 100-Megawatt Solarkraftwerk kaufen? Was treibt meine Maschinen an, wenn der Wind nicht weht?" An der Beantwortung dieser Fragen arbeitet man auch in Europa noch mit Hochdruck.

Etwas anderes kommt mir noch in den Kopf, wenn ich die "Patagonia sin Represas"-Kampagne beobachte, die ja, wie Du schreibst, offenbar im Ausland noch stärker wahrgenommen wird als in Chile selbst. Das Stichwort ist Öko-Kolonialismus. Warum, frage ich mich, darf Chile keine Staudämme in seine Fjordlandschaften bauen, wo doch Norwegen weithin als Energie-Musterknabe gilt, weil es seinen Energiebedarf praktisch komplett durch Wasserkraft abdeckt. Wie ich vor kurzem las, verkaufen die Norweger ihren überschüssigen Strom bis nach Holland. Eine Unterwasser-Gleichstrom-Hochspannungsleitung wurde dafür in der Nordsee verlegt. Das dürften auch so an die 1500 Kilometer sein.

Vielleicht ist der Grund der folgende: Viele reiche Ausländer haben in Patagonien Landbesitz. Vielerorts kostet es immer noch Spottpreise, und der Erwerb ist für Ausländer relativ unproblematisch. Noch mehr kommen als Touristen aus Eu­ro­pa, den USA und Irael. Mir kommt es so vor, als würden sie ihr Idyll nicht gerne von den Entwicklungsbedürfnissen ihres Gastlandes gestört sehen und sich von Hochspannungsmasten irritieren lassen, wenn sie die Angel schwingen, um 20 Kilo schwere Lachse aus dem Fluss zu ziehen.

Da ist sicher einiges dran.

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