Mittwoch, 25. Februar 2009

So war's



Frank Zappa and the Mothers
Were at the best place around
But some stupid with a flare gun
Burned the place to the ground

Hätte ich auch nicht gedacht, dass ich eine Band, deren bis heute populärster Song erschien, als ich drei war, noch live zu Gesicht bekomme - sechsunddreißig Jahre später und immerhin in Drei-Fünftel-Originalbesetzung. Deep-Purple-Sänger Ian Gillan war aber auch ziemlich hinfällig und musste ständig nebens Mikro husten. Zudem verschwand er alle paar Minuten hinter die Bühne, um sich dort irgendwelche illegalen Substanzen, vielleicht aber auch nur einen Stoß Asthmaspray zu verpassen. Die restlichen Musiker rissen's raus, mit richtig gut abgerocktem Rock, ebenso kreischenden wie virtuosen Soli und extrem routiniertem Timing. Aber das darf man nach vierzig Jahren Bandgeschichte ja auch erwarten.

Natürlich hätte ich in den vergangenen 20 Jahren in beliebig viele Deep-Purple-Konzerte gehen können, wenn ich gewollt hätte - hatte ich aber nicht. So gesehen hat es auch Vorteile, eine Zeitlang in der kulturellen Diaspora zu leben: Es wird wenig geboten, aber das nimmt man eben mit.

Was für ein Publikum geht eigentlich in Deutschland auf solche Konzerte? In Puerto Montt waren viele so jung, dass die Band schon bei ihrer Geburt Legende war. Dennoch gingen sie bedingungslos mit und zelebrierten euphorisch das klassische Rockkonzert-Repertoire: mitsingen, hüpfen, Köpfe schütteln, Arme schwenken, Pommesgabel machen, Feuerzeug anzünden. Deswegen merkte man auch nicht so doll, dass Puerto Montts neue Multifunktions-Arena namens "Arena" gerade einmal halb voll geworden war. Preise ab 25 Euro aufwärts sind in Chile eben schon hart an der Grenze des Zumutbaren.

Besonders drollig: ein Konzertbesucher neben mir, der versuchte, gleichzeitig mit seiner per Stativ in die Luft gestreckten Digitalkamera zu filmen, zu tanzen und Bier zu trinken. Dieser Youtube-Film stammt wahrscheinlich von ihm:

Dienstag, 24. Februar 2009

Ein bisschen Musik

Um zu verstehen, dass Chile ein sehr musikalisches Land ist, muss man nicht auf das Festival Internacional de la Canción hinweisen, das gerade - wie immer Ende Februar - in der Schicki-Micki-Stadt Viña del Mar zelebriert wird. Es schadet aber auch nicht. Zwar feiert sich hier eine ganze Woche lang die Fernseh- und sonstige Prominenz mit viel Trara, aber Musik gemacht wird auch. Wel­chen Stel­len­wert das Fes­ti­val - oder einfach Viña - für die Chilenen hat, ist Außenstehenden nicht leicht zu vermitteln, insbesondere Deutschen, die mit Musikfestivals nur den öden und blutleeren Grand Prix d'Eurovision verbinden. Viña ist Grand Prix plus Grammy Award plus Last Night of the Proms plus Bayreuth, natürlich auf chilenisch und ohne klassische Musik, aber mit Promi-Auftrieb und Mainstream-Künstlern, die trotzdem rocken. Dieses Jahr, zum 50. Jubiläum, treten unter anderem Joan Manuel Serrat, Juanes, Carlos Santana und Marc Anthony auf.

Viña gibt den Chilenen das ganze Jahr Gesprächstoff, angefangen von der Auswahl des Moderatoren-Duos. Männlein und Weiblein müssen es sein, möglichst glamourös - und der Proporz der das Event ausrichtenden Fernsehkanäle muss auch gewahrt bleiben. Im Jahr 2006 gingen Canal 13, der private Kanal der Universidad Católica, und der staatliche Sender Televisión Nacional (TVN) eine "strategische Allianz" ein, bei der beide das Festival übertragen, was satte Einschaltquoten garantiert. Felipe Camiroaga (TVN) und Soledad Onetto (Canal 13) sind dieses Jahr das mediale Traumpaar, und das Publikum wird jeden ihrer Versprecher registrieren sowie jeden verliebten Blick, obwohl Onetto verheiratet ist und Camiroaga mutmaßlich schwul, eine Unterstellung, die er - natürlich - juristisch verfolgen lässt. A propos Publikum: Das Publikum von Viña ist wahrscheinlich das
weltweit einzige, welches quasi personifiziert einen eigenen Namen erhält: el monstruo. Monster deshalb, weil es zu den Gepflogenheiten des Festivals gehört, dass schlechte Darbietungen ebenso niedergepfiffen werden wie Moderatoren, die eine gute Darbietung abzumoderieren versuchen.

Hier in Puerto Montt herrscht zurzeit noch mehr Aufregung, denn eine "lebende Legende", so die lokale Presse, spielt heute Abend auf: Deep Purple. Weil die britischen Uraltrocker zum allerersten Mal in der Stadt sind und wohl auch nicht ein zweites Mal kommen werden, verfolgt man sie auf Schritt und Tritt, versucht ihnen Statements, gemeinsame Fotos oder zumindest Autogramme abzulocken. Nachher werden fünftausend puertomontinos die Köpfe zu den Riffs von Child in Time und Smoke on the Water schwenken, denn wie Gitarrist Steve Morse schon bei der Ankunft am Flughafen sagte: "Die Leute hier lieben die Musik und gute Energie. Und wir haben beides."

Fotos: La Tercera, Ausriss aus El Llanquihue

Donnerstag, 19. Februar 2009

Überfahrt, die zweite

Auf dem Weg zum Lago Ranco, hundertfünfzig Kilometer nördlich von Puerto Montt, kommt man nach Puerto Lapi. Von einem Hafen ist an dieser Stelle nichts zu sehen, es handelt sich um den Ausfluss des Río Bueno aus dem großen See, ein hundert Meter breiter Streifen Wasser zwischen Bäumen, türkisblau und transparent. Für den Bau einer Brücke hat es hier nicht gereicht, auf der Schotterstraße sind nur wenige Autos unterwegs. Eine orangerote Fähre liegt am Ufer, sie bietet Platz für zwei, vielleicht drei Fahrzeuge. Der Fährmann, nein die Fährmänner, zwei an der Zahl, winken uns auf ihr Boot, kurbeln die kleine Rampe hoch und setzen das Gefährt langsam in Bewegung, indem sie mit Haken an einem über den Fluss gespannten Seil ziehen. Die Überfahrt dauert ungefähr fünf Minuten.

Was er dafür bekommt? "Einen freiwilligen Beitrag", sagt einer der beiden, während er am anderen Ufer die Rampe zur Ausfahrt herunterkurbelt. Ob sich das lohnt? Unweigerlich drängt sich an dieser Stelle die Böll'sche Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral ins Bewusstsein, jener kurze Text, dem man zumindest in unserer Schulzeit kaum entgehen konnte und der erzählt, wie ein Tourist einen im Hafen dösenden Fischer vergeblich vom Wert der Anstrengung zu überzeugen versucht. Ein Text, der immer auch ein bisschen nervte, weil er letztlich Armut verkitscht.

Aber hier erwischt man sich selbst beim Sinnieren, ob es für diese Fähre nicht effizientere Antriebsformen gäbe, die zumindest die Arbeitskraft eines zweiten Mannes überflüssig machten. Der könnte sich dann anderen Tätigkeiten zuwenden, zum Beispiel - ach, Unsinn: Zumindest an diesem heißen Sommertag könnten die beiden kaum weniger entfremdet sein von ihrer Tätigkeit. Statt eines ratternden Motors hört man nur leises Gluckern und das Geschrei badender Kinder. Nach geleisteter Beförderung springen die beiden ins Wasser, um sich abzukühlen. Vor Abfahrt hatten sie das übrigens auch schon getan, so muss der Körper erst gar nicht schwitzen. Und ganz wie bei Böll verlässt man die Szene weniger mit Mitleid als mit ein wenig Neid.

Mittwoch, 18. Februar 2009

Che Martín

Der Weg schlängelt sich zwischen niedrigen Hügeln hindurch, die wenig von der Nähe der Kordillere künden, und fällt dann steiler ab, um schließlich ins Dorf zu münden. San Martín ist trist und hässlich, aber von großartigen, dicht bewaldeten Hängen eingerahmt. Es blickt auf die lange, schmale Wasserzunge des Lago Lácar mit seinem tiefen Blau und dem Hellgrün der Ufer. An dem Tag, an dem er für den Tourismus "entdeckt" wurde, hat der Ort über alle Widrigkeiten des Klimas und der Abgeschiedenheit triumphiert.

Zitat Ende. Denn selbiges schrieb Ernesto Guevara, der "Che", im Januar 1952 in jenes Tagebuch, das vor ein paar Jahren mit einigem Erfolg und dem großartigen Gael García Bernal in der Hauptrolle unter dem Titel Diarios de Motocicleta verfilmt wurde. Heute stimmt diese Beschreibung nicht mehr, jedenfalls nicht jener Teil, der sich auf den Ort San Martín bezieht. San Martín de los Andes am östlichen Ende des langgestreckten Lago Lácar hat sich in den seither vergangenen fünfzig Jahren zu einem 20.000-Einwohner-Städtchen gemausert, das vom Tourismus Besserbetuchter lebt, und zwar nicht schlecht.

Im Grunde genommen ist San Martín so, wie unser chilenischer Nachbarort Puerto Varas gerne wäre: klein und fein, grün und ruhig, hochwertige Läden in rustikaler Outdoor-Architektur, Seepromenade mit bunten Bötchen, ein exquisites Skigebiet um die Ecke. Für Naturliebhaber mit Anspruch ein Muss.

Den einzigen Kontrapunkt in diesem geleckten Ensemble bildet ausgerechnet das Che Guevara gewidmete Museum, welches die Gewerkschaft der argentinischen Staatsangestellten ATE vergangenes Jahr eröffnet hat. La Pastera heißt es, der "Heuboden", denn es handelt sich um exakt jene Scheune, in der Ernesto und sein Freund Alberto Granado Ende Januar 1952 ein paarmal nächtigten, bevor sie die Weiterreise gen Chile antraten. Der Nachtwächter, der die Einrichtungen der damals im Aufbau befindlichen Nationalparkverwaltung kontrollierte, ließ die beiden Frierenden ein und verwöhnte sie mit Rotwein und Anekdoten.

Sicherlich ist das mit Multimedia-Elementen angereicherte kleine Museum wenig mehr als eine Hommage an den bekanntesten Argentinier der Welt, der sich selbst, das räumt die Frau, die uns durch die Ausstellung führt, ein, am Ende eher als Kubaner verstand. Aber es verleiht San Martín historischen Mehrwert, auch im Sinne des Denkmalschutzes: Ohne den Einsatz der ATE wären die pastera und ein paar andere Wirtschaftsgebäude des Nationalparks längst abgerissen worden. Jetzt, sorgfältig renoviert, dokumentieren sie die Anfangszeit der jungen Stadt. Che sei Dank.

Montag, 16. Februar 2009

Kilometer fressen



So eine Fahrt durch die argentinische Pampa kann sich ganz schön ziehen.

Sonntag, 15. Februar 2009

Volcano

Aus der Schweiz kommt dankenswerterweise der Hinweis auf einen der diesjährigen Ersten Preise bei den World Press Photo Awards: Der chilenische Fotograf Carlos Gutiérrez erhielt ihn in der Kategorie "Nature Singles" für seine Nachtaufnahme des frisch ausgebrochenen Vulkans Chaitén. Ein faszinierendes Bild - obwohl man dazusagen muss, dass es für einen halbwegs versierten Fotografen keine allzu große technische Herausforderung dargestellt haben dürfte: So eine Eruptionswolke ist träge, und bei langer Belichtungszeit lassen sich die stimmungsvoll herausschlagenden Blitze in aller Ruhe einfangen. Eine gerade eben in unserer Nachbarschaft eröffnete Kneipe heißt übrigens passenderweise "Volcano" und schmückt sich mit einer ähnlichen Aufnahme. Sollte die aus Gutiérrez' Serie stammen, könnte es für die Betreiber spätestens jetzt teuer werden.

Samstag, 14. Februar 2009

Am Ufer des Generals

Spätestens als S. und ich den Kindern das großartige Buch Komet im Mumintal vorlasen - ein Klassiker aus eigenen Kindertagen -, fiel mir ein grober logischer Fehler auf: Mumin und seine Freunde lassen sich auf einem Floß den Fluss entlangtreiben und gelangen so an den Fuß des Gebirges, auf dessen höchstem Gipfel eine Sternwarte stehen soll. Unsinn, dachte ich jetzt, der Fluss fließt doch nicht zum Gebirge hin! Seit wir am General-Carrera-See waren, erscheint mir das Szenario nicht mehr ganz so absurd.

Der wundervolle See mit dem hässlichen Namen hat seinen Ausfluss nämlich just dort, wo ihn riesige Berge voller Gletscher umgeben. Am anderen, östlichen Ende, wo er nach Argentinien hineinreicht und Lago Buenos Aires heißt, schwappt er dagegen an flache Ufer. Von diesem riesigen Süßwasserreservoir - der General Carrera ist mit 1850 km² dreimal so groß wie der Bodensee - haben die Argentinier eher wenig, denn der überschüssige Inhalt landet am Ende im Pazifik.

Faszinierend am General Carrera ist das Farbenspiel, das entsteht, wenn Wolken ihre Schatten auf das durch die Gletscherschmelze türkisfarbene Wasser werfen. Faszinierend sind aber auch die krass unterschiedlichen klimatischen Verhältnisse, die an seinen Ufern herrschen. Das liegt daran, dass die Andenkordillere, die der See quer durchschneidet, die Feuchtigkeit des Stillen Ozeans abregnen lässt, sodass am Ostufer kaum noch Niederschlag fällt. Hier ist Pampa, eine baumlose Strauchlandschaft, durch die Gruppen von Guanacos und Nandus ziehen. In Chile Chico an der argentinischen Grenze werden Aprikosen-, Kirsch- und Apfelbäume bewässert, mit deren Früchten man die Umgebung beliefert.

In den seenahen Tälern im Westen dagegen wächst dichter kalter Regenwald.
Hier trafen wir ein deutsches Auswandererpaar, er aus Bayern, sie aus Thüringen, die am Fuße des Monte San Valentín eine Pension betreiben. Im Sommer kommen des öfteren Touristen vorbei und werden mit leckerem Hammelbraten bewirtet. Im Winter kommt monatelang niemand, erzählt er uns. Dann hacken sie Holz oder basteln am Haus oder sitzen in der kleinen Küche, die vom Holzofen immer warm ist. Abends lesen sie Romane, am liebsten historische. Manchmal lesen sie sich auch gegenseitig vor: "Damit wir im selben Film sind".

Dienstag, 10. Februar 2009

Kulturlandschaften

Die Ankunft in Coyhaique, der Hauptstadt der Aysén-Region, verblüfft durch einen radikalen Wandel der Landschaft. Kommt man von Norden und hat tagelang immergrüne, wolkenverhangene Täler durchquert, findet man sich plötzlich in einer Umgebung wieder, die aussieht, als hätte man einen Landstrich der Toskana ins Yosemite Valley montiert. Hinten hohe, schroff abfallende Tafelberge, vorne hügelige Felder (die Zypressen sind in diesem Fall freilich Pappeln). Dazwischen Kiefernwälder, in denen man sich - noch ein Eindruck, der nicht hierhin passt - mit einem Mal im Hohen Fläming wähnt.


Der Effekt dieser Kulturlandschaft ist widersprüchlich. Einerseits lässt sich nicht leugnen, dass sich das schon an die Wildnis gewöhnte Auge über so viel Differenziertheit freut. Andererseits muss man nur noch ein wenig weiter nach Süden fahren, um die hässliche Seite dieser menschengemachten Umgebung kennen zu lernen. Das angenehm Trockene geht hier ins Steppenhafte über, auf den Hügeln liegen kreuz und quer tote Stämme herum, hier und da ist ein Hang ins Rutschen gekommen und der nackte Fels liegt frei. Das alles zeugt von gewaltigen Waldbränden in den Vierzigerjahren, als Brandrodungen außer Kontrolle gerieten und niemand da war, der solch gigantische Feuer hätte löschen können oder wollen. Nur rund um Coyhaique hat man die Schäden durch Aufforstung behoben, auch wenn die schnellwachsende Kiefer kein echter Ersatz für den verlorenen Urwald ist.

In Coyhaique selbst, einer freundlichen Kleinstadt, stolpert man andauernd über eine Kampagne, die neues Unheil für die patagonische Umwelt verhindern will: Patagonia sin Represas, "Patagonien ohne Staudämme" lautet der Kampfruf. Ein Zusammenschluss von chilenischen und internationalen Ökoaktivisten und engagierten Bürgern will das größte Energieprojekt der chilenischen Geschichte verhindern: die Anlage von fünf Stauseen am Río Baker und am Río Pascua, mit deren Wasserkraft 2,75 Gigawatt erzeugt werden sollen, in etwa dieselbe Menge, die bereits heute an allen Stauseen Zentralchiles produziert wird.

Das Projekt Hidroaysén ist ein Joint-Venture von Endesa Chile und Colbún, den beiden größten chilenischen Stromerzeugern. Ihre Argumente sind ausführlich in einem Wikipedia-Eintrag nachzulesen, den sich die Befürworter offenbar zur Beute gemacht haben. In der betroffenen Region dagegen mag fast niemand etwas von Hidroaysén wissen, auch wenn die Unternehmen mit Arbeitsplätzen locken und sogar exklusiv verbilligten Strom für die Region versprechen. Auf ihrer Seite bringen sie viele gute Argumente gegen das Megaprojekt an, das eine bislang weitgehend unberührte Umwelt einschneidend verändern würde, um den Energiehunger der fast zweitausend Kiloemter nördlich gelegen Hauptstadt zu stillen. Derzeit liegt das Projekt auf Eis, weil die Umweltbehörden eine Überprüfung in hunderten Einzelpunkten vornehmen wollen.

Bei der Anti-Staudamm-Kampagne offenbart sich aber auch ein Schwachpunkt: Die Umweltschützer haben sich auf das vermeintlich publikumswirksamste Argument versteift, die riesige Hochspannungsleitung, die notwendig wäre, um Santiago mit patagonischem Strom zu versorgen. Das aber ist zu großen Teilen ein ästhetisches Argument, dem die Unternehmen leicht etwas entgegensetzen können, indem sie niedrigere Masten oder eine veränderte Trassenführung versprechen. Und auch das Plädoyer für Windkraft als Alternative, das die Kampagne ins Feld führt, kann sich hier schnell ins Gegenteil verkehren, denn landschaftsneutral ist die ja nun auch nicht. Immerhin, die drei Windräder, die sich auf einer Anhöhe bei Coyhaique drehen, sind noch ein freundliches i-Tüpfelchen auf der Brandenburger Prärie-Toskana.

Unendliche Weiten


Die Carretera Austral zu befahren braucht viel Geduld und Spucke sowie ein Gespür für die unterschiedlichsten Straßenbeläge. Vom glatten Asphalt über etwas, was mit Salzlauge zusammengebackener Schotter zu sein scheint und sich ebenfalls angenehm fährt, bis hin zu losen Steinen und abgrundtiefen Schlaglöchern ist alles dabei. Besonders nervtötend und zudem unberechenbar ist das, was wir Deutschen "Waschbrett" und die Chilenen calamina, "Wellblech", nennen. Manchmal sehen die Querrillen ganz harmlos aus, versetzen das Fahrzeug aber in stärkste Vibration. Trotzdem - ingesamt lässt sich die Fernstraße in den tiefen Süden recht problemlos befahren, und die immer wechselnden Panoramen belohnen den Ausdauernden.

Mittwoch, 4. Februar 2009

Mitreisende

So langsam lernt man sich kennen. Werner zum Beispiel. Werner ist Freiberufler aus Nürnberg und reist seit dreißig Jahren durch die Weltgeschichte, aber Fahrradtouren hat er bislang nur im Bayrischen oder im Thüringer Wald gemacht. Jetzt radelt er auf der Carretera Austral durch Patagonien, bergauf, bergab, durch die größte Einsamkeit, durch strömenden Regen und durch die dichten Staubfahnen, die Jeeps und Pickups an Sonnentagen hinter sich herziehen. Auch wir haben ihn schon oft überholt und gegrüßt, jetzt ist definitiv Zeit für ein Schwätzchen. Er ist total begeistert von seiner Tour, sagt er. "Genauso hatte ich es mir vorgestellt. Du bist ganz nah dran am Land, an der Natur."

Da hat er sicher Recht. Als Autoinsasse betrachtet man die Radfahrer in erster Linie mit Mitleid, aber auch mit einem Quäntchen Neid. Denn so nah dran wie sie ist man tatsächlich nicht. Die Geräusche des Waldes und das Knirschen der Reifen im Schotter, die Kälte, die Hitze, die Erschöpfung und das Glück, nach Stunden in der Einöde wieder ein Haus zu sehen, mit Leuten, die sich womöglich genauso über eine Abwechslung freuen und dem Radler für ein paar erfrischende Minuten ihren Wasserhahn überlassen. So etwas entgeht uns. Uns gehört hingegen das Privileg, die Route nach Belieben verlassen zu können, in die kleine Stichstraße abzubiegen, die zum Gletscher hinaufführt oder an die Lagune im Wald. Und in der Zeit, in der die Radler noch lange auf Achse sind, entspannt am Ankunftsort herumzutrödeln, das Zelt aufzubauen, das Feuer anzuzünden.

Nicht nur Werner sehen wir immer wieder: Da ist auch Klaus, ein junger, strohblonder Brasilianer mit deutschen Ahnen und einem Liegerad, das er selbst gebaut hat - aus Bambusrohr. "Hervorragene Stoßdämpfung", sagt er. Auch ihn treffen wir immer mal wieder, vor der Bäckerei in La Junta oder im Internetcafé in Coyhaique. Dann macht er sich rar auf der Strecke, was offenbar daran liegt, dass sein perfekt gefedertes Bambusgefährt gefährliche Risse aufweist. Was uns wiederum Werner erzählt.

Mit anderen Dauerbegleitern auf dieser langen Fahrt nach Süden vermeiden wir eher den Kontakt - vielleicht auch sie mit uns, so genau kann man das nicht sagen. Gerade mit anderen Deutschen stimmt die Chemie oft nicht. Mit dem Lehrerpaar etwa, das in einem breiträdrigen Mietwagen unterwegs ist und immer ostentativ die Stirn runzelt, wenn unsere Kinder lärmen. Oder mit dem bayrischen Motorradpärchen, das neben uns auf dem Campingplatz zeltet und dessen steinzeitlicher Benzinkocher so laut ist, dass alle Tischgespräche ersterben (unser hier erstandener Campingkocher ist dagegen ein kleines technisches Wunder und flüsterleise). Aber man muss ja nicht immer landsmannschaftliche Bande pflegen.

Mit anderen Nationalitäten kommt man noch seltener ins Gespräch. Die Franzosen reisen offenbar am liebsten in aufwändig hergerichteten Campingbussen, an deren Rückwand viele bunte Aufkleber von bereits bestandenen Weltreisen zeugen. Nordamerikaner trifft man praktisch keine - die lassen sich direkt vom Flughafen in eine Fishing Lodge fahren, behauptet ein Deutscher, der hier seit Jahren im Tourismusgeschäft ist. Dagegen gibt es unzählige junge Israelis, die mit dem Fahrrad oder dem Auto, in Gruppen oder alleine unterwegs sind und wohl für ein paar Wochen die bedrückende Enge ihres Heimatlandes gegen die schier unendliche patagonische Weite tauschen wollen. Die "Israeliten" werden sie von den Einheimischen grundsätzlich genannt (los israelitas und nicht, wie es korrekt wäre, los israelíes), und man fragt sich automatisch, ob ein bisschen Antisemitismus oder einfach nur Unwissen dahintersteckt, aber das ist ein anderes Thema.

Mit campenden Chilenen schliesst man dagegen schnell und unkompliziert Freundschaft, man vergleicht Reiserouten und Herkunftsorte, erzählt sich Anekdötchen und tauscht Tipps aus. Es sind oft nette, unkomplizierte Leute, Pärchen, Familien, meist begeistert von der ihnen bisher unbekannten Schönheit des eigenen Landes. Zu den Armen gehören sie selbstredend nicht, aber auch nie zu den Reichen, denn die würden niemals zelten gehen.

Und dann sind da noch die mochileros, die jungen Rucksackreisenden, die per Anhalter auf der langen, leeren Carretera unterwegs sind, und denen wir immer wieder gestenreich signalisieren, dass wir leider beim besten Willen keinen Platz mehr haben. Sie lassen sich keiner sozialen Gruppe klar zuordnen, aber es vereint sie der Hunger nach Abenteuer und Spaß und ein unerschöpfliches Repertoire an Liedern, die sie abends beim guitarreo am Lagerfeuer zum Besten geben. In Villa Cerro Castillo, einer kleinen Ortschaft am Fuße des gleichnamigen Bergs, wo gerade das jährliche Fest der patagonischen Traditionen begangen wurde, zelteten wir unter hunderten von ihnen auf einer zu diesem Zweck umgewidmeten Kuhweide. An Schlaf war kaum zu denken, es wurde gesungen, gejohlt und viel getrunken. Weil rucksacktragende chilenische Jugendliche meist von hippiesker Menschenfreundlichkeit sind, kam es trotzdem nicht zu Exzessen, von den geschlechtlichen Exzessen im Nachbarzelt einmal abgesehen.

Montag, 2. Februar 2009

Leckere Schirme


Zu den beeindruckendsten Gewächsen des kalten "valdivianischen" Regenwalds, der weite Teile des chilenischen Südens bedeckt, gehört die nalca- oder pangue-Pflanze. Es handelt sich um eine Art Riesenrhabarber, der bevorzugt an feuchten Stellen wächst. Feucht ist hier zwar im Prinzip alles, aber an Bachläufen oder anderen Rinnsalen gedeiht die nalca eben am allerbesten. Die Länge ihrer Stiele und die Größe ihrer Blätter wächst dabei offensichtlich proportional zum vorhandenen Wasserangebot. Die größten Exemplare, die wir im Parque Nacional Queulat gesehen haben, kommen gut und gerne auf drei Meter Höhe und ein bis zwei Quadratmeter Blattoberfläche.

Die gigantischen Trichter dienen den Einheimischen zu allerlei praktischen Zwecken, etwa als Regenschutz oder zum Abdecken des curanto al hoyo, einer Art Eintopf aus Fleisch, Kartoffeln und Meeresfrüchten, der in der traditionellen Variante mit heißen Steinen in Erdlöchern gekocht wird. Die wohlschmeckendste Nutzung haben wir aber erst jetzt entdeckt: Genau wie beim kleinen europäischen Rhabarber eignen sich die bisweilen armdicken Stiele zur Zubereitung einer leckeren Marmelade.

Sonntag, 1. Februar 2009

Online outside

Dass man hier in Chile noch in größter Waldeinsamkeit per Mobiltelefon und, vor allem, Internet mit der ganzen Welt verbunden bleibt, kann man mit einem Touch Kulturpessimismus als Verlust einer wie auch immer gearteten Authentizität kritisieren. Bei rechtem Licht betrachtet ist es eine großartige Sache, und zwar nicht nur für den bloggenden Reisenden, sondern auch für die Menschen, die in solchen "isolierten Regionen" leben, wie sie in Chile ganz offiziell heißen. Blieb etwa Jugendlichen bis vor kurzem nur die Abwanderung, um der äußeren und inneren Einsamkeit zu entfliehen, können sie jetzt zwischen Holzhacken und Netzeflicken mal schnell mit dem Cousin in Santiago chatten oder Musik mit Geichgesinnten tauschen. Ich finde das klasse.

Ganz lückenlos ist die Vernetzung des chilenischen "Großen Südens" natürlich noch nicht, auch wenn die Daten vielerorts mobil übertragen werden, was eine große örtliche Ungebundenheit ermöglicht. Wer sein Handy bei einem Billiganbieter unter Vertrag hat wie wir, muss sich mit großen Löchern im Funknetz abfinden. Für Reisende, wie gesagt, kein Problem: Das celular wartet in der Hemdtasche, irgendwann kommt man in Reichweite eines Senders, und ein sachtes Klingeln meldet eine vor Stunden eingegangene SMS. Sie kommt in diesem Fall von Ricarda, Volontärin bei der Deutschen Welle, die mit mir ein Telefoninterview für die DW-Blogschau machen möchte. Was auch problemlos klappt, obwohl der patagonische Wind zuerst für Störgeräusche bei der Aufzeichung sorgt.

Hier die Links zu
Blogschau und Interview. Dass wir laut Anmoderation in einem "kleinen Dorf" leben - geschenkt. Ein wahrhaft winziges und freundliches Dorf ist hingegen Puerto Río Tranquilo am Ufer des Lago General Carrera, wo ich dies hier in einem improvisierten Internetcafé scheibe, das zugleich Telefonzentrale und Kramladen ist (das sind die Internetcafés in, sagen wir, Berlin-Neukölln, freilich auch). Die Verbindung ist ausgezeichnet. Zu lange darin verweilen sollte man dennoch nicht, denn das Seepanorama draußen vor der Tür ist spektakulär.

Und danke nochmal, Ricarda.