Samstag, 22. November 2008

Deutsch I: Verwirrungen

Vor ein paar Tagen war Bastian Sick in Santiago. Der Nationaloberlehrer für das Fach Deutsch tourt gerade auf Einladung des Goethe-Instituts durch Südamerika und wurde in den Räumen des Deutsch-Chilenischen Bundes von 200 Fans be­geistert empfangen. Sick erzählte ihnen etwas über das natürliche Geschlecht von Produktnamen, falsche Apostrophe und die Rechtschreibreform.


Verweilte Sick ein wenig länger in der deutschen bzw. deutschstämmigen Ge­mein­de Chiles, er bekäme es wohl bald mit der Angst zu tun. Das Kulturgut deut­sche Sprache, das er so schmunzelnd verteidigt, hier kommt es auf den Hund – und dazu bedarf es nicht einmal einer generationenlangen Entfremdung von der Heimat, ein paar Jahre, ja Monate reichen locker.


Kannst du mir das Geld heute schon auf mein Konto transferieren?“, frage ich S. und merke sofort: Das stimmt so nicht. Dabei ist „transferieren“ statt „überweisen“ ein eher lässlicher Feh­ler oder, wenn man's ganz genau nimmt, überhaupt kein Fehler. Es entspricht nur eben nicht dem Sprachgebrauch. Soll heißen: Auch bei uns schleichen sich schon auf leisen Pfoten die Hispanismen ein. Manchmal sind die Unterschiede aber auch zu subtil.


Die städtischen Arterien“ schreibe ich und meine „Verkehrsadern“. Aber in spanischen Artikeln ist immer von arterias urbanas die Rede, und Blutgefäße sind das ja auch. Ein wichtiges soziales Ereignis ist in Wirklichkeit ein „ge­sell­schaftliches Ereignis“ und das mangelhafte Handy-Signal entpuppt sich nach längerem Grübeln als schlechter Empfang.


Je länger die Leute hier sind, desto stärker fängt es an zu bröckeln. Das Spanische macht sich breit im Deutschen, sei es als unpassendes Fremdwort, als falsche Übersetzung oder als schrulliger Neologismus. Als erstes geben, wie mir scheint, die Verben den Widerstand auf, dann folgen die Substantive, dann die Adjektive. Der restliche Kleinkram – Pronomen, Konjunktionen und sonstige Partikel – ist am zähesten, auch wenn manche Auswanderungsveteranen jeden zweiten Satz mit einem bueno einleiten.


Noch ein paar authentische Beispiele? „Früher gab's bei Jumbo gutes deutsches Vollkornbrot. Aber dann haben sie die Masse verändert.“ (masa = Teig) „Es war wunderschön, ich war richtig emotioniert.“ (emocionado = gerührt) Oder: „Sie können ruhig mit dem Original bleiben, ich bleibe mit der Kopie.“ (quedarse con = behalten) Undsoweiter.


Richtig drollig wird es, wenn ein gut gehendes Unternehmen mit deutschem Migrationshintergrund wie die Wurstfabrik Cecinas Llanquihue im deutsch­sprachigen Cóndor eine Anzeige wie diese schaltet:



Der Clou an der Sache: Das Wort „Kompromiss“ wird zwar falsch verwendet (ob es in der Sache zutrifft oder nicht), denn gemeint ist „Verpflichtung“ (spanisch: compromiso). Trotzdem gäbe es für die Gebrüder Mödinger, die den besten Schinken von Chile machen, gar keinen Grund, den Anzeigentext zu korrigieren. Denn die Leser verstehen genau, was gemeint ist, und würden vermutlich den­selben Fehler machen. In solchen Fällen wäre selbst ein Bastian Sick impotent, wil sagen: machtlos.


1 Kommentar:

  1. Ich find das nicht so schlimm, sprache entwickelt sich ja immer weiter und für mich ist das ein zeichen, dass man sich immer näher kommt...

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