Dienstag, 25. November 2008

Deutsch II: Enttäuschungen

Nicht nur der Rechtschreibkönig war da, auch der Fußballkaiser: Nach Bastian Sick schaute Franz Beckenbauer kurz mal rein - um die Fußball-WM zu eröffnen, aber auch um für Deutschland und die deutsche Sprache zu werben. In einer Schule, an der das Fach Deutsch unterrichtet wird, enthüllte er gemeinsam mit dem deutschen Botschafter eine Plakette der Initiative "Schulen: Partner der Zukunft". Ziel der sogenannten PASCH-Initiative ist ein weltweites Netzwerk von Schulen, die sich für die Vermittlung deutscher Sprache und Kultur einsetzen.

Die Schule, an der S. unterrichtet, gehört schon dazu, auch wenn sie keine deutsche Auslandsschule im engeren Sinne ist. Dazu bräuchte sie einen deutschen Schulleiter und beamtete Lehrer aus Deutschland, im Idealfall gäbe es sogar einen deutschsprachigen Unterrichtszweig. Aber solche Aus­lands­schulen gibt es in Chile nur noch vier, die mit Abstand größte und am besten ausgestattete ist die Deutsche Schule Santiago, an der man ein vollwertiges Abitur ablegen kann. In der Provinz, wohin sich heutzutage eher wenige deutsche Familien dauerhaft verirren, blickt man mit Neid auf so viel Luxus.

Die meisten der rund 25 Schulen mit Schwerpunkt Deutsch befinden sich in Südchile, rund um Valdivia, Osorno und den Llanquihue-See, wo sich ab Mitte des 19. Jahrhunderts viele Deutsche mit freundlicher Erlaubnis des chilenischen Staates ansiedelten. Deren Nachfahren tragen weiterhin mit Stolz einen deutschen Nachnamen, klüngeln in "Deutschen Vereinen" und halten den deutschen Pass in Ehren, so sie noch einen besitzen. Mit der Sprache haben es die meisten nicht mehr so. Das macht sich vor allem an den Schulen bemerkbar, deren einst üppige Ausstattung mit deutschen Lehrkräften zudem in den vergangenen Jahren drastisch zusammengestrichen wurde.


An S.' Schule ist es so: Die meisten Eltern melden ihre Kinder hier an, weil die Abgänger dieser Einrichtung seit Jahren hervorragende Ergebnisse bei der Hochschul-Zulassungsprüfung PSU erzielen. Das lassen sich die Familien, ob mit oder ohne Deutsch-Hintergrund, etwas kosten, und die Sprache nimmt man eben in Kauf. So richtig interessiert ist kaum ein Schüler an diesem kehligen Idiom, und das Niveau von Zwölftklässlern, die seit Kindergartentagen dieselbe Schule besuchen und praktisch täglich Deutschunterricht bekommen, ist in den meisten Fällen schlicht erbärmlich.

Besondere Bekümmernis bereitet vielen Lehrern die Tatsache, dass ausgerechnet die deutsche Literatur im Lehrplan gar nicht mehr vorkommt. Zwar wirbt die Schul-Website damit, dass Deutsch die Sprache Goethes, Kafkas und Nietzsches war, aber im Hinblick auf die Unterrichtsinhalte ist das Augenwischerei. Das Deutsche Sprachdiplom, mit dem sich die Schüler für das Studium an einer deutschen Uni qualifizieren können, hebt nämlich auf Alltagssprache bzw. das Verständnis von Texten mit Gebrauchswert ab. Wollte ein Lehrer Grass oder Grünbein lesen lassen, müsste er dies zusätzlich anbieten – aber dazu fehlt allein schon die Zeit. Überhaupt haben nur wenige Schüler eine Affinität zu den Geis­tes­wissenschaften: Wer das "Deutsche Institut" besucht, will später Geld verdienen (oder die Eltern wollen es), als Arzt oder Betriebswirt, Ingenieur oder Rechtsanwalt.

"Von all meinen Schüler haben vielleicht eine Handvoll echtes Interesse an Land und Sprache", sagt S., "die spitzen auch mal die Ohren, wenn ich etwas Aktuelles über die deutsche Gesellschaft erzähle. Von den anderen kommt dann gerne mal der Spruch: Wir sind hier aber in Chile, Frau!"

Gegen die "Frau" kämpfen S. und ihre Kolleginnen wie gegen Windmühlenflügel. Aber auf Spanisch redet man eine Lehrerin einfach mit señora an - wieso sollte das nicht auf Deutsch ebenso gut funktionieren?

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