Mittwoch, 4. Februar 2009

Mitreisende

So langsam lernt man sich kennen. Werner zum Beispiel. Werner ist Freiberufler aus Nürnberg und reist seit dreißig Jahren durch die Weltgeschichte, aber Fahrradtouren hat er bislang nur im Bayrischen oder im Thüringer Wald gemacht. Jetzt radelt er auf der Carretera Austral durch Patagonien, bergauf, bergab, durch die größte Einsamkeit, durch strömenden Regen und durch die dichten Staubfahnen, die Jeeps und Pickups an Sonnentagen hinter sich herziehen. Auch wir haben ihn schon oft überholt und gegrüßt, jetzt ist definitiv Zeit für ein Schwätzchen. Er ist total begeistert von seiner Tour, sagt er. "Genauso hatte ich es mir vorgestellt. Du bist ganz nah dran am Land, an der Natur."

Da hat er sicher Recht. Als Autoinsasse betrachtet man die Radfahrer in erster Linie mit Mitleid, aber auch mit einem Quäntchen Neid. Denn so nah dran wie sie ist man tatsächlich nicht. Die Geräusche des Waldes und das Knirschen der Reifen im Schotter, die Kälte, die Hitze, die Erschöpfung und das Glück, nach Stunden in der Einöde wieder ein Haus zu sehen, mit Leuten, die sich womöglich genauso über eine Abwechslung freuen und dem Radler für ein paar erfrischende Minuten ihren Wasserhahn überlassen. So etwas entgeht uns. Uns gehört hingegen das Privileg, die Route nach Belieben verlassen zu können, in die kleine Stichstraße abzubiegen, die zum Gletscher hinaufführt oder an die Lagune im Wald. Und in der Zeit, in der die Radler noch lange auf Achse sind, entspannt am Ankunftsort herumzutrödeln, das Zelt aufzubauen, das Feuer anzuzünden.

Nicht nur Werner sehen wir immer wieder: Da ist auch Klaus, ein junger, strohblonder Brasilianer mit deutschen Ahnen und einem Liegerad, das er selbst gebaut hat - aus Bambusrohr. "Hervorragene Stoßdämpfung", sagt er. Auch ihn treffen wir immer mal wieder, vor der Bäckerei in La Junta oder im Internetcafé in Coyhaique. Dann macht er sich rar auf der Strecke, was offenbar daran liegt, dass sein perfekt gefedertes Bambusgefährt gefährliche Risse aufweist. Was uns wiederum Werner erzählt.

Mit anderen Dauerbegleitern auf dieser langen Fahrt nach Süden vermeiden wir eher den Kontakt - vielleicht auch sie mit uns, so genau kann man das nicht sagen. Gerade mit anderen Deutschen stimmt die Chemie oft nicht. Mit dem Lehrerpaar etwa, das in einem breiträdrigen Mietwagen unterwegs ist und immer ostentativ die Stirn runzelt, wenn unsere Kinder lärmen. Oder mit dem bayrischen Motorradpärchen, das neben uns auf dem Campingplatz zeltet und dessen steinzeitlicher Benzinkocher so laut ist, dass alle Tischgespräche ersterben (unser hier erstandener Campingkocher ist dagegen ein kleines technisches Wunder und flüsterleise). Aber man muss ja nicht immer landsmannschaftliche Bande pflegen.

Mit anderen Nationalitäten kommt man noch seltener ins Gespräch. Die Franzosen reisen offenbar am liebsten in aufwändig hergerichteten Campingbussen, an deren Rückwand viele bunte Aufkleber von bereits bestandenen Weltreisen zeugen. Nordamerikaner trifft man praktisch keine - die lassen sich direkt vom Flughafen in eine Fishing Lodge fahren, behauptet ein Deutscher, der hier seit Jahren im Tourismusgeschäft ist. Dagegen gibt es unzählige junge Israelis, die mit dem Fahrrad oder dem Auto, in Gruppen oder alleine unterwegs sind und wohl für ein paar Wochen die bedrückende Enge ihres Heimatlandes gegen die schier unendliche patagonische Weite tauschen wollen. Die "Israeliten" werden sie von den Einheimischen grundsätzlich genannt (los israelitas und nicht, wie es korrekt wäre, los israelíes), und man fragt sich automatisch, ob ein bisschen Antisemitismus oder einfach nur Unwissen dahintersteckt, aber das ist ein anderes Thema.

Mit campenden Chilenen schliesst man dagegen schnell und unkompliziert Freundschaft, man vergleicht Reiserouten und Herkunftsorte, erzählt sich Anekdötchen und tauscht Tipps aus. Es sind oft nette, unkomplizierte Leute, Pärchen, Familien, meist begeistert von der ihnen bisher unbekannten Schönheit des eigenen Landes. Zu den Armen gehören sie selbstredend nicht, aber auch nie zu den Reichen, denn die würden niemals zelten gehen.

Und dann sind da noch die mochileros, die jungen Rucksackreisenden, die per Anhalter auf der langen, leeren Carretera unterwegs sind, und denen wir immer wieder gestenreich signalisieren, dass wir leider beim besten Willen keinen Platz mehr haben. Sie lassen sich keiner sozialen Gruppe klar zuordnen, aber es vereint sie der Hunger nach Abenteuer und Spaß und ein unerschöpfliches Repertoire an Liedern, die sie abends beim guitarreo am Lagerfeuer zum Besten geben. In Villa Cerro Castillo, einer kleinen Ortschaft am Fuße des gleichnamigen Bergs, wo gerade das jährliche Fest der patagonischen Traditionen begangen wurde, zelteten wir unter hunderten von ihnen auf einer zu diesem Zweck umgewidmeten Kuhweide. An Schlaf war kaum zu denken, es wurde gesungen, gejohlt und viel getrunken. Weil rucksacktragende chilenische Jugendliche meist von hippiesker Menschenfreundlichkeit sind, kam es trotzdem nicht zu Exzessen, von den geschlechtlichen Exzessen im Nachbarzelt einmal abgesehen.

1 Kommentar:

  1. Lieber Claudius, neidische Gedanken gen Chile, besten Dank noch mal für das Interview, alles zu hören in der Blogschau Nr. 44:
    http://www.dw-world.de/blogschau
    Das mit dem scharfe "ß" ist leider beim Kollegen nicht angekommen...
    Gruß, Ricarda

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