Sonntag, 5. April 2009

Chilenisch für Anfänger (1): Singen

Ob ein Zweig der vergleichenden Sprachwissenschaften existiert, welcher Tonhöhenforschung betreibt, ist mir nicht bekannt. Sollte es aber Linguisten mit entsprechendem Interesse geben, könnten sie in Chile ergiebige Feldforschung betreiben.

Nicht nur in Lexik und Grammatik weichen nämlich die regionalen Spielarten des Spanischen voneinander ab, auch die Frequenz, auf der man sendet (und das im Wortsinn), kann ganz unterschiedlich sein. Muss ein Deutscher normalerweise die Stimme senken, wenn er spanisches Spanisch möglichst originalgetreu sprechen will, sollte er sie beim chilenischen Spanisch deutlich heben - manchmal um eine ganze Oktave. Als ich vor langer Zeit zum ersten Mal junge Chileninnen sprechen hörte - es handelte sich um eine Tonbandaufnahme -, hielt ich deren Stimmlage für das Ergebnis eines Aufnahmefehlers.

Ansatzweise illustrieren lässt sich das Phänomen durch einen weiteren Youtube-Schnipsel des außerordentlich populären Stimmenimitators Stefan Kramer (bei dem es sich, vielleicht muss man doch darauf hinweisen, tatsächlich um einen ganz normalen Chilenen handelt). Hier ahmt er Francisco Vidal nach, bis vor kurzem Regierungssprecher und inzwischen Verteidigungsminister:



Das ist übertrieben, aber nur ein bisschen.

Der Chilene zwitschert also gern, und auch wenn kein Lied daraus wird, hat Sprechen hierzulande mehr mit Singen zu tun als anderswo. Vokale werden im chilenischen Spanisch bisweilen extrem gedehnt, unter anderem in Form von kommentierenden Interjektionen: von einem gedämpften uuuuuh als Zeichen der Betroffenheit über ein breites aaaaah, wenn man etwas als Übertreibung erkannt hat, bis zum kichernden oooooh als Ausdruck fröhlicher Schadenfreude (das alles ist wichtig, weil die Chilenen sehr gerne Geschichten erzählen, und möglichst solche mit Pointe).

Dank seiner Musikalität eignet sich das Chilenische auch besonders gut dazu, freundlich zu sein. Daran muss man sich erst einmal gewöhnen, wenn man von Berlin noch das preußisch-gequetschte Idiom der Alteingesessenen und den tiefergelegten Ton der Migrantenkids im Ohr hatte. Hier dagegen kann man selbst einzelne Wörter mit verblüffender Sanftheit aufladen. Ein hoch oben begonnenes und hinten unten beinahe kleinkindlich gestrecktes permiiiso macht im Supermarkt oder auf der Straße den Weg frei, ohne auch nur einen Hauch schlechter Laune zu verbreiten.

Möglich, dass es Dialekte des Deutschen gibt, mit denen man diesen Effekt ansatzweise simulieren kann. Grundsätzlich aber habe ich für mich einen ebenfalls musikalischen Vergleich gefunden, der erklärt, warum das wohlig Weiche des Chilenischen auf unsere Sprache prinzipiell nicht übertragbar ist: Wenn die Chilenen Holzbläser sind, sind die Deutschen Blechbläser. Und auf einer Trompete kann man kein Klarinettenkonzert spielen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen