Humberstone ist auf den ersten Blick ein merkwürdiger Name für eine chilenische Stadt - selbst für eine Geisterstadt. Gegründet wurden die Salpeterwerke in der Atacamawüste auch unter dem Namen La Palma. Das war 1872. Später kam der Pazifik- bzw. Salpeterkrieg, und die Werke, die das weltweit für die Herstellung von Sprengstoff und Dünger benötigte Natriumnitrat produzierten, wechselten mehrmals den Besitzer. 1934 wurden die Werke nach ihrem Gründer, dem Engländer James Humberstone benannt: Oficina Santiago Humberstone*. Der Salpeter-Boom, der dem bis heute anhaltenden Kupfer-Boom voranging, befand sich damals auf seinem Höhepunkt, die Ammoniakynthese war bereits erfunden, und schon in den Vierzigerjahren gingen die ersten Salpeterwerke in Chile bankrott. Humberstone, wo in den besten Zeiten an die 2.000 Menschen lebten, hielt bis 1961 durch.
Dann kam - nichts mehr. Die Industrieanlagen verrosteten, die Wüstenstadt aus Holz und Zement, mit kargen Wohnblocks für die Arbeiter und eleganten Häusern für die Verwalter, mit Kirche, Theater und Hotel, Schule, Schwimmbad und Krankenhaus verfiel und wurde geplündert. Ganz aus den Augen war sie freilich nie, denn Humberstone liegt direkt an der Straße nach Iquique, in dessen Hafen ein großer Teil des Nitrats verschifft wurde. Das Bewusstsein für den historischen Wert der toten Stadt wuchs aber nur langsam. Heute wird Humberstone behutsam instandgesetzt, auch mit Mitteln der Unesco, die die Stadt seit 2005 unter der Nummer 1178 als Weltkulturerbe führt.
Wenn man in der selbst im Winter glühendheißen Mittagssonne durch Humberstone streift, erwartet man instinktiv, dass der Wind Büsche über die Straße treibt und irgendwo eine Mundharmonika jault. Aber die Western-Town-Assoziationen täuschen, denn wer hierher kam, hatte wenig Aussicht auf Reichtum. Es gab ja kein Gold zu schürfen, sondern bloß harte Arbeit auf den Salpeterfeldern und an den Maschinen. Reich wurden damit nur wenige, und nicht die, die sich die Haut in der Sonne verbrannten.
Zwei Tage vor uns war die Präsidentin hier, ihr Besuch sollte der Auftakt sein für die Enstehung eines "Tourismus-Clusters" in der Region, der das historische Erbe stärker als bisher einbezieht. Damit stehen die Chancen gut für Humberstone und die benachbarten Santa-Laura-Werke, denn langsam, aber sicher zermahlen Wind und Sonne die Geisterstädte zu Staub. Ein bisschen Verfall kann trotzdem nicht schaden: Ausgerechnet im gewaltigen Theater- und Kinosaal, der sorgfältig saniert wurde, will sich dieses faszinierende Gefühl der stehen gebliebenen Zeit am wenigsten einstellen.
* James = Jakob = Santiago
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen