Freitag, 31. Oktober 2008

Dotter am Straßenrand

Der Frühling bedeckt weite Teile Chiles mit satten Farbflächen. Bemerkenswert dabei: Die Gewächse, die am impertinentesten blühen, sind Neophyten, also erst kürzlich eingewanderte Spezies. Hier im Süden ist es der europäische Stechginster, der weite Flächen mit Senfgelb überzieht und damit gleichzeitig markiert, wo Raubbau an der Natur betrieben wurde. Weiter nördlich, wo ein mediterranes Klima herrscht, knallt dagegen der Kalifornische Mohn dem Betrachter sein Orange ins Auge. Ein sattes, warmes Orange wie Eidotter, das millionenfach die Straßen säumt.

Quelle: Wen Rou auf flickr.com

Dedal de oro wird Eschscholzia californica in Chile genannt, "goldener Fingerhut", was bezüglich Farbe und Form nicht ganz treffend scheint, aber angemessen hübsch klingt. Ein anderer volkstümlicher Name für die krautige Pflanze, die in Kalifornien tatsächlich den Rang einer "Staatsblume" genießt, ist flor del tren. Das verweist auf die ebenfalls großen Vorkommen an Bahndämmen und auf eine Migrationsgeschichte, für die ich allerdings keinen Beleg finden konnte: Die Eschscholzia soll im 19. Jahrhundert beim Bau der Eisenbahnlinien gezielt ausgesät worden sein, um mit ihren Pfahlwurzeln das Terrain zu festigen. Sollte das zutreffen, hätte man tatsächlich einmal das Nützliche mit dem Angenehmen aufs Trefflichste kombiniert.

Donnerstag, 30. Oktober 2008

Zähne zusammenbeißen

Nach einem knappen Dreivierteljahr in Chile darf man behaupten, sich ein paar jener filigranen Kulturtechniken angeeignet zu haben, die man auf den ersten Blick nicht wahrnimmt und denen vielleicht auch keine tiefere Bedeutung zukommt, an deren Beherrschung oder Nicht-Beherrschung aber Einheimische den Ausländer zuverlässig erkennen. Man hat gelernt, die Tür des colectivo nach dem Aussteigen sanft zu schließen. Man sagt nicht mehr permítame una pregunta, sondern le hago una consulta, wenn man etwas in Erfahrung bringen will. Man versteht den Ruf des Tankwarts vor dem Einführen des Zapfhahns (sein está en zero weist darauf hin, dass der Zähler tatsächlich auf Null steht), quittiert dies mit ¡ya!, gibt aber längst kein Trinkgeld mehr (weil unüblich). Die an der Supermarktkasse gestellte Frage nach der Bereitschaft, ein paar Pesos Wechselgeld für wohltätige Einrichtungen zu spenden, beantwortet man dagegen mit Ulrich-Wickert-Augenaufschlag und einem sí, bei dem man den Mund zur Schnute formt und das "s" leicht lispelt - diese Kombination enthält das exakte Mischungsverhältnis aus Großzügigkeit (weil man spendet) und Demut (weil es sich um einen winzigen Betrag handelt). Überhaupt ist man freundlicher und toleranter geworden, zumal wenn man vorher lange Jahre in Berlin gelebt hat.

Auch die korrekte Verwendung der Anredepronomina will gelernt sein. Grundsätzlich gilt: Geduzt wird deutlich mehr als in Deutschland, aber nur innerhalb der Peer-Group. Mit mir unbekannten Eltern von B.s Mitschülern kann ich mich problemlos duzen - Siezen würde als bewusste Distanz, wenn nicht als unfreundliche Geste gewertet. Auch mit mutmaßlich Gleichaltrigen auf der Straße macht man keinen Umweg übers "Sie". Deutlich Älteren gegenüber verbietet sich dagegen dieser Umgang, während in einer Klassengesellschaft wie der chilenischen das herrschaftliche "du" weit verbreitet ist: Die Hausangestellte oder der Kellner werden wie selbstverständlich geduzt, was sich den beiden umgekehrt keineswegs geziemt.

Eigentlich wollte ich an dieser Stelle über Zahnspangen schreiben. Die thematische Verknüpfung geht wie folgt: Mein Kieferorthopäde duzt mich. Er ist vermutlich kaum älter als ich, und unter anderen Umständen würde auch ich ihn duzen. Aber einen Arzt? Vollends verwirrend wird es, wenn er, die Hände tief in meinem Mund, plötzlich zum Sie zurückkehrt: Drehen Sie mal ein bisschen den Kopf, beißen Sie jetzt zu. Rein theoretisch könnte es sich um eine Art Zärtlichkeits-Siezen handeln, wie es hiesige Eltern kleinen Kindern angedeihen lassen, ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass er beim Hantieren an meinem Gebiss sehr rücksichtsvoll vorgeht, im Gegensatz zu praktisch allen Berliner Zahnärzten, die mir mindestens einmal pro Sitzung die Lippe gegen die Schneidezähne quetschen, bis mir der Schmerz Tränen in die Augen treibt.

Ich halte die Behutsamkeit von Dr. Sandoval für einen Ausweis seiner Professionalität. Nicht ganz professionell geflickt war hingegen ein in Berlin auf den letzten Drücker wurzelbehandelter Backenzahn - er brach nach zwei Monaten auseinander. Im Zusammenhang mit seiner Versorgung und angesichts diverser Schiefstände schlug mir der behandelnde Dentist vor, mich einer kieferorthopädischen Behandlung zu unterziehen. Seine Argumente überzeugten mich, zumal der durchschnittliche Preis im Vergleich zu Deutschland Schnäppchencharakter aufweist. Nicht so überzeugt war und ist S., aber sie hat die Spange ja auch Tag für Tag vor Augen.

Seit ein paar Wochen weiß also auch ich, wie sich eine "festsitzende Multibracketapparatur" anfühlt, vor allem, wenn sich die Mundschleimhaut noch nicht an die Dauerreizung gewöhnt hat. Auch die Zähne schmerzen, ja, aber es wird schon besser. Spott muss man sich in Chile dagegen selten bis nie anhören - hier ist die Korrektur der Zahnstellung im Erwachsenenalter nichts Besonderes. Das heißt: Besonders ist sie natürlich insofern, als sie sich keineswegs jeder leisten kann. Wahrscheinlich identifiziert man Enddreißiger mit Zahnspange hier insgeheim als Aufsteigertypen, als Menschen, die ihren hart erarbeiteten Wohlstand beweisen wollen: Arme tragen schließlich statt Spange Lücke, wohingegen die oberen Zehntausend sich ihre Zähne schon als Teenager perfekt haben ausrichten lassen.

Solche Gedanken beschleichen mich jetzt jedesmal, wenn ich den Mund zum Lächeln öffne. Aber da gibt es nur eins: Zähne zusammenbeißen und durch.

Dienstag, 28. Oktober 2008

Wieder was gelernt

Quelle: Wikipedia

"Diese Formate machen mich verrückt", stöhnt S. beim Abheften von Ar­beits­blät­tern und anderen Materialien, "kein A4 und dann auch noch unterschiedliche Län­gen!" Ihr Problem: In Chile kursieren zwei Druckerpapier-Typen, die beide nicht dem uns bekannten DIN A4 entsprechen - eines (Format carta) ist kürzer, das an­de­re (Format oficio) länger. Was sich insbesondere beim Abheften unangenehm be­merk­bar macht.

Wie so oft eröffnet Wikipedia bei der spontanen Recherche ganz neue Per­spek­ti­ven auf solche Alltagsphänomene: Die uns so vertrauten A-Formate sind kei­nes­wegs nur in Deutschland verbreitet, sie werden fast auf der ganzen Welt ver­wen­det, hier allerdings unter der Bezeichnung ISO 216. Die internationale Norm basiert direkt auf der DIN-Norm 476 aus dem Jahr 1922 und legt ein Seitenverhältnis von 1:√2 bzw. 1:1,4142 zugrunde. Ausgedacht hatte sich das bereits gegen Ende des 18. Jahrhunderts Georg Christoph Lichtenberg. Es hat zur Folge, dass die Hälften eines in der Mitte durchtrennten Blatt Papiers dieses For­mats wieder die­sel­ben Sei­ten­ver­hält­nis aufweisen. Dieses Prinzip der Selbst­ähn­lich­keit er­leich­tert zum Beispiel das Verkleinern oder Vergrößern von Do­ku­men­ten auf Ko­pier­ge­räten erheblich.

Chile dagegen hält es mehr mit den USA, die sich offenbar keiner altweltlichen Norm beugen wollten und bis heute mit verschiedenen, nicht ganz so rationalen For­ma­ten operieren. Eines davon, letter, entspricht dem chilenischen carta, das läng­li­che legal übertrifft hingegen mit 356 mm das chilenische oficio (330 mm). Die oficio-Bögen sind ganz offenbar endemisch, eine schrullige nationale Eigenheit, was sie möglicherweise schon erhaltenswert macht. Andererseits, behauptet ein anderer Blogger, sparte allein die chilenische Bürokratie rund 80.000 Euro im Jahr an Materialkosten, sollte sie nur noch die kürzeren carta-Bögen verwenden. Aber benötigte man dann nicht mehr Bögen, um dieselbe Fläche zu bedrucken? Die­se Frage zu beantworten, überlasse ich hiermit gerne anderen.

Claro tot

Gestorben: Ricardo Claro Valdés, einer der reichsten und einflussreichsten Männer Chiles, als Kopf der Claro-Gruppe Großaktionär unter anderem von Compañía Electro Metalúrgica (Stahl), Compañía Sudamericana de Vapores (Seefracht), Cristalerías de Chile (Glas), Envases CMF (Verpackungen), VTR Globalcom (Telekommunikation), Viña Santa Rita (Wein), Mega (Fernsehen), Kunstmäzen, orthodoxer Katholik, mutmaßliches Mitglied des Opus Dei und seinerzeit enger Berater Pinochets in Wirtschafts- und Finanzfragen. Nach einem Opernbesuch erlag der 74-Jährige einem Herzinfarkt. Unternehmer und Politiker gaben sich gestern die Klinke in die Hand, um der Familie zu kondolieren, die Presse widmete Claro Sonderseiten und Online-Specials. Claro war es übrigens gewesen, der 1992 in einer Talkshow seines eigenen Senders Megavisión für den Fall Piñeragate sorgte. Der entscheidende Ausschnitt kursiert natürlich auf Youtube:



Claro wollte mit dieser Aktion wahrscheinlich den Aufstieg des ihm zu liberal erscheindenden Sebastián Piñera verhindern - was ihm auf lange Sicht offenbar doch nicht geglückt ist. Ein ausgedehntes und recht serviles Interview mit Claro vom Mai dieses Jahres findet sich schließlich hier.

Montag, 27. Oktober 2008

Der erste Sieg der Rechten

Seit Sonntag ist Puerto Montt ein ziemlich einsamer Leuchtturm der auf Staatsebene regierenden Concertación: Nur zwei Hauptstädte der 14 Regionen Chiles (die región metropolitana nicht mitgerechnet) werden noch von Bürgermeistern des Mitte-Links-Bündnisses geführt. Dass die Bürger unserer Stadt den sozialistischen Amtsinhaber mit dem klingenden Namen Rabindranath Quinteros klar wiederwählten, dürfte einfach an dessen jovialer Persönlichkeit liegen - und daran, dass die Stadt trotz aller Lachs-Krisen immer noch floriert. Da liegt eben kein Wechsel in der Luft.

Im Rest des Landes sah das offenbar anders aus: Das rechte Bündnis Alianza por Chile erreichte bei der Wahl der Bürgermeister gut 40 Prozent der Stimmen und toppte damit die Concertación, die zwei Prozentpunkte darunter blieb. Für die Rechten ein Traumergebnis, das aus ihrer Sicht den Sieg bei der Präsidentschaftswahl im kommenden Jahr vorwegnimmt. Tatsächlich ist es der erste Wahlsieg überhaupt, den die Alianza seit der Rückkehr zur Demokratie im Jahr 1990 verbuchen konnte.

Dreist kommt weiter, dachte sich dieser Stadtratskandidat in Puerto Montt und photoshoppte sich mal eben an Obamas Seite. Genutzt hat es ihm nichts.

Dass die Concertación bei den Wahlen der Gemeinderäte ihren Vorsprung halten konnte, beruhigt Christ- und Sozialdemokraten wenig. Richtig weh tut ihnen, dass sie wichtige Städte und Gemeinden verloren haben bzw. nicht zurückerobern konnten: die Hafen- und Parlamentsstadt Valparaíso, die Universitätsstadt Concepción oder die Gemeinde Santiago, das Herzstück des hauptstädtischen Konglomerats, welches das Amt eines Oberbürgermeisters nicht kennt. Hier rechnete Ex-Amtsinhaber Jaime Ravinet mit einer triumphalen Rückkehr ins Rathaus, aber am Ende gewann der Kandidat der UDI, Pablo Zalaquett, mit fast 50 Prozent der Stimmen.

Mehr als mau auch das Ergebnis für das linke Bündnis Juntos Podemos Más aus Kommunisten, Humanisten und anderen Gruppen. Ihr Spitzenmann Tomás Hirsch hatte bei den Stadtratswahlen einen Sprung von 9 auf 14 Prozent prophezeit, tatsächlich ist die Koalition noch unter neun Prozent gerutscht. Einziger Trost: Die Kommunistische Partei führt zum ersten Mal seit 1990 (genau genommen natürlich seit 1973) wieder das Rathaus einer Teilgemeinde der Hauptstadt (Pedro Aguirre Cerda).

Und warum das alles? Präsidentin Michelle Bachelet führte die relative Schlappe auf Reibereien zwischen den Parteien der Concertación zurück, die nun enden müssten, der Sprecher einer als "die Widerspenstigen" bekannten Gruppe christdemokratischer Parlamentarier sah sie derweil als Quittung dafür, dass Bachelet ihre Wahlversprechen nicht einhalte. Der UDI-Senator Pablo Longueira fand eine schlüpfrige Metapher: Quien pierde la virginidad votando por la UDI, después le gusta, sprich: wer mit den Rechten seine Jungfräulichkeit verliert, macht es immer wieder mit ihnen.

Und ein gewisser "Andrés" kommentiert im Rahmen eines Wahl-Blogs: "Die Concertación hat einfach keine Ideen mehr ... Sie haben keine Diktatur mehr, gegen die sie kämpfen können, Pinochet ist tot, sie haben nichts mehr, sie können einem leid tun. Ich glaube, früher oder später wird die Concertación Pinochet am meisten von allen vermissen." Das ist zwar gemein und recht simpel argumentiert, aber ein kleines Körnchen Wahrheit steckt mal wieder drin.

Samstag, 25. Oktober 2008

Krone der Erfrischung

Doch, doch, Bielefeld existiert tatsächlich, ich habe es gesehen. Aus Bielefeld stammt auch das "Christinen"-Mineralwasser ("Krone der Erfrischung"), ein von deut­schen Bahnhofskiosken und anderen To-go-Verkaufsstellen gerne an­ge­bo­te­nes Produkt. Was daran so aufregend, wertvoll oder einzigartig sein soll, dass es ein Plätzchen in Jumbos Import-Regal erhält, will sich mir allerdings nicht er­schlie­ßen. Vielleicht die hier absolut exotische Gebindegröße (0,33 l). Keine Ahnung.

Ungute Erinnerungen

Bis vor ein paar Wochen galt es nicht nur innerhalb der chilenischen Rechten als ausgemacht, dass der Geschäftsmann und Großaktionär Se­bastián Piñera (LAN, Chilevision) die Präsidentschaftswahl im De­zem­ber 2009 haushoch gewinnen würde. Die seit fast 20 Jahren regierende christdemokratisch-sozialistische Concertación gilt weiten Kreisen als ausgelaugt, selbstbezogen, wenn nicht gar korrupt. Piñera ist zwar ein Mann, dem Gier und Geltungssucht ins Gesicht geschrieben stehen, aber offenbar gilt für viele die Devise, dass einer, der sowieso im Geld schwimmt, nicht auch noch als Präsident die Bürger bestehlen muss.


Jetzt hat Piñera unverhofft Konkurrenz bekommen - eine, die für ihn mit un­gu­ten Erinnerungen behaftet ist. Weil Piñeras Partei Renovación Na­cio­nal ihren Verbündeten und ewigen Rivalen, die UDI, in einer wichtigen Personalie düpierte, hat letztere zurückgeschossen und Evelyn Matthei ins Rennen geschickt - wenn auch nicht offiziell. Die blonde Senatorin ist die Tochter des deutschstämmigen Luftwaffengenerals Fernando Matthei, zwischen 1978 und 1990 Mitglied von Pinochets Junta.




Pikant am möglichen Duell Piñera-Matthei ist ihre gemeinsame Ge­schich­te. Im Vorfeld der Wahlen von 1993 waren schon einmal beider Na­men im Spiel - bis in einer live übertragenen Talkshow ein heimlich mit­ge­schnit­te­nes Telefonat Piñeras vorgespielt wurde, in dem dieser er­läu­ter­te, wie das Image seiner Kontrahentin nachhaltig zu zerstören sei. Am heftigsten auf die Füße fiel diese Episode schließlich Matthei selbst, die den Auftrag gegeben hatte, Piñeras Mobiltelefon abzuhören. Die Episode ist den meisten Chilenen bis heute als Piñeragate in guter Er­in­ne­rung.


Die chilenische Rechte ist für ihre internen Schlammschlachten be­rüch­tigt, das macht sie so sympathisch. Im weiterhin nicht sehr wahr­schein­li­chen Fall, dass eine Kandidatin Matthei Ende 2009 die Wahl ge­win­nen sollte, würde die Tochter eines Luftwaffengenerals die Tochter ei­nes Luftwaffengenerals im Präsidentenpalast ablösen. Der andere, Al­ber­to Ba­che­let, war loyal zu Allende und wurde nach dem Putsch mehrfach verhaftet und gefoltert. Er starb nach einem Verhör im März 1974.


(Hier ein offener Brief, den die Menschenrechtsorganisation Codepu 2006 an Evelyn Matthei adressierte, um sie über die Verwicklung ihres Vaters in die Verbrechen der Diktatur "aufzuklären".)

Donnerstag, 23. Oktober 2008

Salmoníns Abenteuer

Es gab sogar einen aktuellen Anlass, an dieser Stelle kürzlich über die um­strit­te­ne Lachszucht in Chile zu berichten - er war mir bloß nicht be­kannt. Das hat sich ge­ra­de noch rechtzeitig geändert: Diese Woche ist von der Pure Salmon Cam­paign zur Globalen Aktionswoche 2008 gegen die Praktiken in der Lachszucht er­klärt worden. Aktuelle Informationen und eine ausführliche Artikelsammlung zum The­ma finden sich auf der entsprechenden Website ebenso wie dieser liebevolle Mini-Clip, der sich nach Anklicken öffnet:

Die Kritik in Essenz: Das unkontrollierte Abfischen wilder Fischbestände ist schlimm, die massive Zucht von Raubfischen ist es nicht minder. Scha­de ei­gent­lich, das Zeug schmeckt einfach zu gut - etwa hier, wo man den Autor die­ser Zeilen bis vor ein paar Monaten recht häufig in der Mit­tags­pau­se antreffen konn­te.

Dienstag, 21. Oktober 2008

You can cross now



Meine Lieblingsampel in Puerto Montt: Sie soll offenbar des Spanischen nicht mächtige Touristen sicher über die calle Urmeneta leiten - auf Puerto Montts einziger Fußgängerzone, die gut und gerne 120 Meter lang sein dürfte. Chilenen gehen freilich sowieso bei allen Farben.

Nachtrag 22.10.: Offensichtlich bin ich nicht als Einziger dem Faszinosum der sprechenden Ampel verfallen. Irgendein kreativer junger Mensch hat sogar einen Track daraus gemacht:


Arbeiten für Luther

Ich hatte es bereits erwähnt: Der chilenische Staat hat den evangelischen Gläu­bi­gen unter seinen Bürgern - rund 15 Prozent der Bevölkerung - einen na­tio­na­len Feiertag geschenkt, und er wird in diesem Jahr erstmals fällig. Weil der 31. Oktober ein Freitag ist, wird der feriado auch nicht nach hinten oder vorne ge­schoben, sondern fällt tatsächlich mit dem Jahrestag des Thesenanschlags von Wittenberg zusammen. Chile ist damit neben Slowenien der einzige Staat welt­weit, der die Reformation mit einem landesweiten arbeitsfreien Tag würdigt.

Die Reaktion ausgerechnet der deutschen Luther-Erben ist dabei merkwürdig verhalten. Der Cóndor zitiert Enno Haaks, den Pastor der evangelisch-lu­the­ri­schen Versöhnungsgemeinde in Santiagos Reichenviertel Las Condes. "Wir Lutheraner bräuchten eigentlich keine besondere Anerkennung", sagt Haaks, und: «Martin Luther hat während der Reformation erst einmal Feiertage ab­ge­schafft." Schließlich habe der Reformator die Ansicht "Von Arbeit stirbt kein Mensch" ver­tre­ten. In Deutschland würdige man den Reformationstag "eher still mit einem Abend­got­tes­dienst", so Haaks, dem offenbar die Anstrengungen der EKD ent­gan­gen sind, den Tag von Wittenberg neu zu positionieren - angesichts der zu­neh­men­den Popularität von Halloween.

Sonntag, 19. Oktober 2008

Verunreinigungen

Der Lachs gilt als Schwein des Meeres, weil man den gefräßigen Fisch in kurzer Zeit und Gefangenschaft auf ein stattliches Gewicht mästen kann. Die Lachs­far­men Südchiles, in Buchten, Fjorden und (je nach Entwicklungsstadium der Tiere) Seen der Region kann man aber auch gut und gerne mit der industriellen Hühner­zucht vergleichen: Hunderttausende dicke, silbrige Leiber verschlingen ir­gend­wo unten im Wasser in enge Netze gepfercht ihr Kraftfutter. Oben sieht man nicht viel davon, nur ein paar rechteckige oder runde, mit Stegen verbundene Strukturen, die auf den blauen Wellen dümpeln. Und doch ist Chile heute nach Norwegen zweit­größter Lachsexporteur der Welt.

Eher unauffällig: Zuchtanlage auf dem Llanquihue-See

Der Lachs hat Puerto Montt und der Umgebung ungeahnten Wohlstand beschert, seit die Industrie in den Neunzigerjahren zu boomen begann. Dabei verdienen natürlich einige wenige sehr viel und sehr viele eher wenig, aber die Ar­beits­lo­sig­keit in der Region ist stark zurückgegangen. Der Lachs generiert Ar­beits­plät­ze in allen möglichen Bereichen, angefangen bei den Zuchtanlagen, über die Fabriken, die den Fisch in appetitliche Filets verwandeln, bis hin zur Futter- und tier­me­di­zi­ni­schen Industrie oder den Spediteuren, deren Lastwagen triefende Plas­tik­con­tai­ner zwischen den verschiedenen Stationen hin- und herkutschieren. Immer richtet irgendein Hotel irgendein Symposium über Marketingstrategien aus, und auf einer regelmäßig stattfindenden Branchenmesse werden neue Tech­no­lo­gien vorgestellt.

Seit ein paar Jahren geht es den salmoneras aber nicht mehr so richtig gut - obwohl sie (die norwegischen, die japanischen und auch die einheimischen) kaum Abgaben an den chilenischen Staat leisten müssen und die Arbeitskraft weiterhin schön billig ist. Schuld daran ist vor allem ein Virus namens ISA - das "Lachs-AIDS", wie die Menschen in der Region etwas vereinfachend sagen. Die "In­fek­tiö­se Lachsanämie" wurde mutmaßlich aus norwegischen Aquakulturen ein­ge­schleppt und hat schon viele Millionen Exemplare des Edelfischs dahingerafft. Auf der anderen Seite machte den Exporteuren bis vor kurzem der niedrige Dol­lar­kurs zu schaffen - und dann ist da noch die Sache mit den Umweltschützern.

Nicht immer rückstandsfrei: der Lachs

Ökologisch betrachtet ist Aquakultur nämlich mindestens umstritten, zumal so, wie sie in Chile praktiziert wird. Zu viele Fische auf zu engem Raum, zu viele Fut­ter­res­te und Kot, die die Gewässer verseuchen, zu viel Medikamente und Hor­mo­ne. Lachse, die den Netzen entkommen - das sind nicht wenige -, fressen gan­ze Küstenabschnitte leer. Außerdem: Um den Lachs zu mästen, benötigt man ein Vielfaches an Wildfisch, der als Mehl verfüttert wird. Eine Lösung für die welt­wei­ten Ernährungsprobleme sieht anders aus.

Ausgezeichnete Aufklärungsarbeit bertreibt in Chile die Kampagne Sin Miedo contra la Corriente (Furchtlos gegen den Strom), die von Oxfam und der chi­le­ni­schen Umweltorganisation Terram getragen wird. Den Unternehmen ist so etwas natürlich mehr als ein Dorn im Auge, denn Behörden und Konsumenten in den Zielmärkten reagieren recht sensibel auf schlechte Nachrichten. Ein Artikel in der New York Times, der auf den ungehemmten Einsatz von Antibiotika und an­de­ren Mitteln hinwies, sorgte im April dieses Jahres für gehörige Aufregung: Meh­re­re US-Supermarktketten kündigten an, chilenischen Lachs aus ihrem Sor­ti­ment zu streichen, der chilenische Botschafter in den USA musste Feuerwehr spie­len. Am Ende solcher Skandale stehen dann wieder Selbstverpflichtungen der In­dus­trie, die bestehenden Grenzwerte einzuhalten.

Erstaunlich präsent: Die Kampagne Contra la Corriente

Jetzt gibt es wieder schlechte Presse für den chilenischen Fisch: aus Deutsch­land. Da hat das Bundesamt für Verbraucherschutz und Le­bens­mit­tel­si­cher­heit (BVL) gerade in mehreren Stichproben Rückstände eines als krebserregend geltenden Fungizids und eines antiparasitären Me­di­ka­ments entdeckt, die in der Bundesrepublik gar nicht zugelassen sind. Das Amt hat die Ergebnisse an die Länder weitergeleitet, die nun über Verzehrwarnungen entscheiden müssen. In Chile spielt man die Nachricht (die in Deutschland noch nicht einmal über die Ticker gelaufen ist) vorsorglich herunter. César Barros, Vorsitzender des Branchenverbands SalmónChile, gab zu Protokoll, man habe andere Sorgen als "winzige Verunreinigungen in einer Lieferung", die vermutlich auf irgendeinen Verarbeitungsfehler zurückzuführen seien. Aber - das weiß inzwischen jeder hier - auch winzige Verunreinigungen können das Geschäft mit dem Lachs gehörig trüben.

Luxusglut

In Santiago entdeckt: das lateinamerikanische Pendant zur Hitzeschleuder "Heiz­­pilz". Eigentlich sind braseros kleine Kohle(glut)becken, mit denen sich bei­spiels­wei­se Marktverkäufer an kalten Tagen das Herumsitzen erträglicher ma­chen. Die kleinen Dinger sind irgendwie romantisch, aber auch nicht un­ge­fähr­lich, vor allem wenn man sie in geschlossenen Räumen verwendet. Dieses Exemplar ist freilich ein gasbetriebener brasero de luxe, an dem sich das exquisite Publikum der Shop­ping-Mall Parque Arauco die manikürten Finger wärmt, wenn es im Au­ßen­be­reich einem Jazzkonzert lauscht.

Ethikunterricht

Endlich wieder in Santiago. Auf dem obligatorischen Stadtrundgang verweilen wir ein paar Minuten in der Kathedrale - was mich betrifft, nicht unbedingt aus Frömmigkeit, eher weil das barocke Dunkel der Kirche so schön europäisch ist. Wir sitzen vorn in den ersten Bänken, als plötzlich ein junger Mann zarte Akkorde auf der Gitarre greift. Ein anderer junger Mann mit römischem Kragen nimmt Position auf den Altarstufen ein, und vor ihn treten ein dritter junger Mann – und ein vierter junger Mann. „Luis Alberto, möchtest du den Bund fürs Leben eingehen mit José Miguel?“ „Ja.“ „José Miguel, willst du den Bund fürs Leben eingehen mit Luis Alberto?“ „Ja.“ „So erkläre ich euch hiermit vor Gott zu Eheleuten.“ Unter dem Applaus vieler Anwesender begeben sich die drei zum Ausgang, und wir sind erst konsterniert, dann belustigt und schließlich besorgt, wie wohl die restlichen Kirchenbesucher reagieren – also die, die nicht Teil der Performance waren. Setzt es jetzt Prügel? Es geschieht: nichts. Was daran liegen mag, dass die vermeintliche Trauung nur eine knappe Minute gedauert hat und im hinteren Teil des Kirchenschiffs akustisch kaum wahrnehmbar gewesen sein dürfte. Eine Provokation – aber eine sehr, sehr vorsichtige.

Am nächsten Tag grillen wir bei Valentina. Die halbe Groß- und Patchworkfamilie ist da, es fehlen Martín, der mit seiner Familie nach Talca aufs Land gezogen ist, und Javiera, deren Mann zu einem Seminar in Paris eingeladen wurde, um über den Arbeitskampf in Chile zu sprechen. Natürlich nutzen beide die Chance, mit ihrem kleinen Sohn ein paar Wochen in Frankreich zu verbringen. Beim Essen erzählen wir von der Katze, die uns vor ein paar Wochen zugelaufen ist und inzwischen fünf Junge geworfen hat. Sie wohnen bei uns in einer mit Decken gepolsterten Schublade, trinken und wachsen. Niedlich! Valentinas Mutter, eine stille, immer freundliche Frau, hat wenig Sinn für so viel Tierliebe. „Bei mir im Haus hat eine Katze letztens auch geboren. Die ist irgendwie über die Mauer gekommen und hat sich in mein Schlafzimmer geschlichen.“ Zeit für herrenlose Tiere hat sie nicht – und wenig Mitgefühl. Oder doch? „Ich habe die Kleinen sofort in Plastiktüten gewickelt und in den Müll getan. So macht man das halt. Die schreien nicht einmal mehr.“ Mir bleibt der sprichwörtliche Bissen im Halse stecken: Rindfleisch, innen schön rosa.

Am Abend besuche ich Andrea, eine Freundin aus Berlin, die neben ihrer akademischen Karriere immer wieder in Armenvierteln von Santiago arbeitet – meist in den Projekten von Cristo Vive. Das ist die Stiftung von Karoline Meyer, der deutschen "Mutter Teresa von Santiago“, wie Medienleute sie genannt haben – ein blöder Vergleich, denn weder ist Santiago Kalkutta, noch ist die Hermana eine ausgemachte Freundin des Papstes, auch wenn sie so etwas wie das Leben einer arbeitenden Ordensschwester führt. Das Viertel, in dem Andrea wohnt, hat einen ziemlich schlechten Ruf. „Heute Nachmittag hat eine Gruppe Jugendlicher vor meinen Augen auf eine andere geschossen“, erzählt sie, „aber das hört sich immer schlimmer an, als es tatsächlich ist. Jedenfalls wurde niemand verletzt.“ Andrea ist nur noch ein paar Tage hier, dann fliegt sie nach Bolivien, um für den dortigen Ableger der Stiftung zu arbeiten. Für den Rückweg will ich ein Taxi nehmen, Andrea begleitet mich zur nächsten größeren Straße. Die ersten beiden Wagen rauschen vorbei – leer. Der Fahrer des Taxis, das dann doch noch hält, erklärt warum: „Da stehen um diese Uhrzeit immer Drogensüchtige, die einen ausrauben wollen. Ihr wart dafür aber ein bisschen zu blond.“ Auf der rasanten Fahrt in die Oberstadt will es der gute Mann genau wissen: „Was macht denn eine junge deutsche Frau in so einer miesen Gegend?“ Sie arbeitet da, erkläre ich ihm, und dass sie jetzt nach Bolivien geht „Noch schlimmer“, ruft er, „und anschließend nach Haiti, oder was? Das soll mal einer verstehen.“ Idiot, denke ich, aber ich sage nichts, ich will doch nach Hause.

Montag, 13. Oktober 2008

Moment ...

Abwarten und Bier trinken: In wenigen Tagen geht es hier weiter.

Donnerstag, 9. Oktober 2008

DDR Extreme

Keine Ahnung, was hier getanzt wird. Lipsi vielleicht?

Mittwoch, 8. Oktober 2008

Flexibel feiern

Gestern ist Chile wieder ein bisschen weniger katholisch geworden: Das Ober­haus im Kongress, der Senat, hat einstimmig einen Gesetzentwurf an­ge­nom­men, der den 31. Oktober zum nationalen Feiertag erhebt. Man erinnere sich: Am 31. Oktober nagelte ein Mönch namens Luther 95 Thesen ans Tor der Wittenberger Schlosskirche. Allerdings heißt der neue feriado nicht "Re­for­ma­tions­tag" wie in Deutschland, sondern "Nationaler Tag der Evangelischen und Protestantischen Kir­chen". Die sich direkt auf Luther berufenden Gruppierungen sind nämlich klar in der Minderheit gegenüber den Pfingstkirchen (Pentecostales). Zusammen kommen sie bei den Chilenen über 14 Jahren schon auf gut 15 Prozent, während die Schäf­chen des Papstes noch 70 Prozent derselben Gruppe ausmachen.

Um nun der chilenischen Wirtschaft keinen zu schweren Schaden zuzufügen (was ganz im Sinne der bienenfleißigen Evangelikalen sein dürfte), hat der Senat beschlossen, das Lutherjubiläum zu flexibilisieren. Schließlich ist am 1. November, Allerheiligen, auch schon frei, und sollte der Doppelfeiertag auf Dienstag/Mittwoch oder Mittwoch/Donnerstag fallen, könnten Unternehmer und Fiskus die zersprengte Arbeitswoche gleich ganz abschreiben. Ab kommendem Jahr (mit der Verkündung des Gesetzes wird es bis Monatsende wohl nichts werden) gilt dann die folgende Regel: Fällt der 31. Oktober auf einen Dienstag, ist der Freitag der Vorwoche arbeitsfrei, fällt er auf einen Mittwoch, dürfen die Chilenen (insbesondere Ka­tho­li­ken und Heiden) am darauffolgenden Freitag ausschlafen.

Kritiker haben vorgerechnet, dass das neue verlängerte Wochenende dennoch eine Lücke von umgerechnet 200 Millionen Euro ins BIP reißt. Dagegen pro­tes­tier­te der Vorsitzende des Vereinigung evangelischer Kirchen, Bischof Emiliano Soto, mit dem Argument, die ehrenamtliche Sozialarbeit der Mitglieder, etwa gegen Drogen - und Alkoholmissbrauch, sei mit Geld gar nicht aufzuwiegen. Außerdem, so ein beschwichtigendes Argument von anderer Seite, machten die Einnahmen im Tourismussektor die Ausfälle ja zum Teil wieder wett.

Viele evangelische Chilenen waren in den Kongress gereist, um die absehbare Entscheidung des Senats zu feiern. Ein landesweit bekannter Prediger im Je­sus­look musste allerdings draußen bleiben: Männern ist der Zutritt zum Ple­nar­saal nur mit Krawatte erlaubt.

Nachtrag 10.10.: Das Abgeordnetenhaus, dem
der Entwurf vom Senat noch einmal abschließend vorgelegt wurde, hat sich regelrecht überschlagen und das Gesetz abgesegnet. Wenn die Präsidentin es vor Monatsende unterzeichnet, haben wir ein langes Wochenende mehr. Luther sei Dank.

Dienstag, 7. Oktober 2008

Hunde

Sie sind überall. Besser: Sie liegen überall. Es gibt kaum einen Ort, den die Stra­ßen­hun­de von Puerto Montt nicht als Ruheplatz benutzten. Vor La­den­ein­gän­gen, an Bordsteinkanten, auf Stufen, in Nischen, mitten im Weg. Ge­mes­sen an der Größe der Stadt gibt es verblüffend viele dieser Hunde. Viel­leicht ist das der Grund dafür, dass eine der aktivsten Gruppen im an zivilgesellschaftlichen Or­ga­ni­sa­tio­nen nicht gerade reichen Puerto Montt, der Verein Albergando Un Amigo, sich dem Schutz und der Sterilisierung von Straßenhunden verschrieben hat.

Genau wie die Menschen leben die Hunde von Puerto Montt in einer ausgeprägten Klassengesellschaft: Hier die Wach- und Schoßhunde, für die in den Supermärkten gigantische Batterien von Tiernahrung und -zubehör aufgebaut sind, dort die Straßenbewohner, denen manchmal irgendein gutmeinender Mensch ein paar Handvoll Trockenfutter spendiert, und die sich sonst aus dem Müllcontainer bedienen. Bisweilen scheinen sie lose mit einem Haus, einem Geschäft, einem Kiosk assoziiert. Das sind, man weiß es nicht genau, die Auf- oder Absteiger zwischen den Klassen: Hunde, die gerade den Platz an der Seite eines Menschen ergattern, oder solche, die diesen Platz verloren haben und nur noch als lästige Begleiterscheinung geduldet werden.

Friedlichere Tiere als die Straßenhunde von Puerto Montt kann man sich kaum vorstellen. Sie wissen, dass gute Führung die wichtigste Voraussetzung für ihre weitere Duldung ist. Und sie haben schon genug Schläge eingesteckt. Knurrt doch mal einer und fletscht die Zähne, gibt es ein Mittel, das erschreckend gut an­schlägt: Man bückt sich und greift zum Schein nach einem Stein. Der Hund sucht so­fort das Weite und man ahnt, warum.

Montag, 6. Oktober 2008

Wir begrüßen Sie recht herzlich

"Seit 1938" gibt es den Cóndor, die deutschsprachige Zeitung Chiles, wie sie selbst stolz im Kopf ihrer Webseite verkündet. Trotzdem, muss man der Redlichkeit halber hinzufügen, handelt es sich nicht um ein braunes Blatt, jedenfalls schon lange nicht mehr. Die Wochenzeitung ist allenfalls eine beschauliche und bisweilen schwer verdauliche Chronik der chilenischen Aktualität unter besonderer Be­rück­sich­ti­gung deutscher bzw. deutschstämmiger Interessen.

Dass der 3. Oktober Nationalfeiertag ist, merken die meisten in Deutschland nur daran, dass sie ausschlafen können und im Fernsehen schon wieder das Ar­chiv­ma­te­ri­al vom Mauerfall läuft. In Chile, wo Patriotismus als Indiz für seelische Ge­sund­heit gilt, so wie rote Bäckchen von körperlichem Wohlergehen zeugen, ver­öf­fent­licht der Cóndor aus diesem Anlass alljährlich eine "Spezialausgabe Tag der Deutschen Einheit", in der dann alle Unternehmen mit deutschem Mi­gra­tions­hin­ter­grund Grußbotschaften schalten.

Dass das sprachliche Fingerspitzengefühl in manchen Fällen schon ein wenig ge­litten hat, mag folgendes Beispiel verdeutlichen. Die chilenische Gildemeister-Gruppe macht ihr Geld übrigens mit dem Import von Autos und Maschinen.


Sonntag, 5. Oktober 2008

Ein wenig Wahlwerbung

Heute vor exakt 20 Jahren verlor Pinochet das Plebiszit, das ihn für weitere acht Jahre im Amt bestätigen sollte. Es war keine vernichtende Niederlage - aber immerhin. Aus diesem Anlass heute zwei historische Videoclips: die Wahlwerbung der NO-Kampagne (Nein zu Pinochet), die nach anderthalb Jahrzehnten Diktatur von vielen Chilenen als extrem erfrischend erlebt wurde, sich dabei aber jedes nur denkbaren Zahnpastareklame-Klischees bedient. Auch Aerobic wurde da getanzt.



Die Gräuelkampagne, mit der das Pinochet-Lager (das SÍ) seine Gegner zu diskreditieren suchte, kam nicht ganz so gut an:



Besonders erhellend der Spruch Aunque el marxista se vista de seda, marxista queda ("Auch wenn der Marxist sich in Seide kleidet, er bleibt doch ein Marxist" - der Original-Spruch geht so ähnlich, man muss nur mono - Affe - für marxista einsetzen).

Freitag, 3. Oktober 2008

Namenlos

Etwas, was Chilenen sehr ernst nehmen, ist die korrekte Beschilderung von Brü­cken. Mögen sonstige Wegweiser spärlich gesät und Kilometerangaben un­ge­nau sein - vor jeder noch so kurzen Betonplatte, die sich über ein Rinnsal spannt, steht ein grünes Schild, das ihren Namen verkündet. Der leitet sich direkt von dem des Gewässers ab: Heißt der Fluss beispielsweise Maullín, heißt die Brücke Puente Maullín. Und sollte ein Flüsschen einmal keinen Namen haben - was höchst selten vorkommt -, dann heißt die Brü­cke folgerichtig Puente Sin Nom­bre. Ordnung muss sein.

Donnerstag, 2. Oktober 2008

Ärger um Insel 10

Die Isla Dawson ist ein kalter, unwirtlicher Ort, hundert Kilometer südlich von Chiles südlichster Stadt Punta Arenas im Feuerland-Archipel gelegen. Unrühmliche Bekanntheit hat die große, aber praktisch unbewohnte Insel nach dem Putsch erlangt, als die Militärs hier ein Jahr lang politische Gefangene internierten und Zwangsarbeit verrichten ließen. Viele bedeutende Politiker der Unidad Popular waren darunter: José und Jaime Toha, Clodomiro Almeyda, Sergio Vuskovic.

Auch Sergio Bitar. Der damals noch ziemlich junge Mann, der für die christ­demokratische Linksabspaltung Izquierda Cristiana in Allendes Kabinett ge­ses­sen hatte, schrieb später ein viel gelesenes Buch über seine Zeit auf Daw­son: Isla 10. Bald werden seine Er­in­ner­un­gen auf der großen Leinwand zu se­hen sein: Der Regisseur Miguel Littín verfilmt gerade Isla 10 - mit junger Star­be­setzung und an Originalschauplätzen.

Miguel Littín (Quelle: http://flickr.com/photos/guadalajaracinemafest/2325048271)

Jetzt gab es freilich Ärger: Als Littín mit seiner internationalen Crew (es handelt sich um eine chilenisch-brasilianisch-spanische Koproduktion) Mitte September vom Dreh auf Dawson zurückkehrte, musste der Cineast im Mercurio lesen, dass die "ehemalige UP-Prominenz" unzufrieden sei mit seiner Arbeit. Die Figur des heu­ti­gen Infrastrukturministers Bitar werde im Film maßlos überbewertet, kritisierten einige von dessen ehemaligen Leidensgenossen, die Littín in einer sehr frü­hen Phase ebenfalls konsultiert hatte. Auch hätten sich manche der dar­ge­stell­ten Vor­kommnisse so nie zugetragen.

Der Filmemacher dementiert das alles, aber er weiß ja auch als einziger ziemlich genau, was im fertigen Film zu sehen sein wird und was nicht. Oder was er später noch schneidet. Littín, dessen Werke in Chile kaum bekannt sind, und der im Prinzip immer noch vom Ruhm seines Debüts El Chacal de Nahueltoro von 1969 zehrt, hat auch ein großes Ego: Dieser, sein Film werde "der Film über den Putsch", sagte er kürzlich in einem Radiointerview: "der Film, den bis jetzt noch niemand gedreht hat".

Trotzdem haben Littín und Bitar versucht, die Wogen zu glätten und die Kritiker - Miguel Lawner, Arturo Jirón, Carlos Jorquera und Aníbal Palma - vor ein paar Tagen zu einem klärenden Gespräch empfangen. Zu Tee und Pfannkuchen traf man sich in Bitars Wohnzimmer, und am Ende, hieß es, waren alle Zweifel aus­ge­räumt. Schade eigentlich: Vielleicht hätte ein bisschen Polemik die Leute tat­säch­lich massenhaft in den neuen Littín gelockt.