Freitag, 2. Mai 2008

Blut im Bus


Weil der Erste Mai auf einen Donnerstag fällt, bereiten sich die Chilenen ein sandwich zu – unten Feiertag, Brückentag in der Mitte, Wochenende obendrauf. Wir nutzen die willkommene Auszeit für einen Ausflug nach Santiago. Mit dem Flieger dauert die Reise anderthalb Stunden, aber die Busfahrt – 13 Stunden über Nacht – ist bedeutend billiger. Diesmal haben wir auch alles richtig gemacht: Wir besetzen die Plätze 1 bis 4, die asientos panorámicos im Obergeschoss eines der großen Doppeldecker aus brasilianischer Herstellung, die über die Panamericana rollen.

Wir haben nämlich gelernt, dass die bequemen Schlafsitze im Bauch des Busses, auf denen man sich für einen ordentlichen Aufpreis in voller Länge ausstrecken kann, ihren Preis nicht wert sind, zumindest wenn man mit Kindern reist. Das liegt an einer Unsitte, die aus südamerikanischen Reisebussen leider nicht wegzudenken ist: der Zwangsunterhaltung per Video.

Man muss gerechterweise anmerken, dass sich die Situation in den vergangenen Jahren verbessert hat: Seit DVDs die VHS-Kassetten abgelöst haben, wird man nicht mehr mit verrauschten Bildern gequält, denen längst die Farbe abhanden gekommen ist. Auch die Qualität der Filme selbst ist gestiegen: Statt Kung-Fu-Müll läuft jetzt immerhin der letzte Bond oder "Kill Bill". Mir kann das nur recht sein, denn ich leide unter dem Zwang, alle bewegten Bilder in meinem Blickfeld verfolgen zu müssen. Auf einer Reise durch Ecuador, Peru und Chile musste einmal ich ein unerträgliches Machwerk, in dem ein Familienvater bei einem Autounfall ums Leben kommt und als schlappohriger Hund wiedergeboren wird, exakt dreimal ansehen: Ich konnte einfach nicht anders.

Aber jetzt sind da die Kinder. Gegen „The Departed“ ist nichts einzwenden, aber ist es übertrieben fürsorglich, wenn man einem Drei- und einem Siebenjährigen die Szene lieber vorenthalten möchte, in der Jack Nicholsons Knarre einer jungen Frau eine Fontäne aus Blut und Hirnmasse aus dem Schädel jagt? Ist es nicht. Bloß werden die Blicke der Kleinen genauso magnetisch vom Bildschirm angezogen wie mein eigener. Was tun? Mit Gesprächen ablenken? Sie verkehrt herum auf dem Sessel platzieren? Einen Sichtschutz aus den Vorhängen am Fenster basteln? Eine Kombination aller Methoden funktioniert, aber ein zweites Mal möchte man sich das nicht zumuten. Deshalb nun die Panaoramasitze oben, ganz vorne am Fenster. Sie sind weniger bequem, aber hier ist der Fernseher genau über unseren Köpfen angebracht, und um etwas zu erkennen, müsste man den Hals weit nach hinten verdrehen.

Genau das tue ich, während der Rest der Familie einigermaßen friedlich schläft. Weil ich aber „The Village“ von M. Night Shyamalan schon kenne, gehe ich zwischendurch aufs Klo. Und entdecke, dass sich außer mir praktisch niemand die Mühe macht, den Film zu verfolgen. Fast alle im Bus schlafen, in den Gesichtern das blaue Flackern der Bildschirme. Als das Licht endlich erlöscht, kann ich nicht mehr einschlafen. Aber das ist eine andere Geschichte.

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