Montag, 5. Mai 2008

Tränengas

„Mir gefallen die Jungs irgendwie“, meint Benjamín, der mit seiner Digitalkamera Aufnahmen von der 1.-Mai-Demo auf der Alameda macht. Aufgerufen hat Chiles Gewerkschaftsverband CUT, gekommen sind Arbeiter und Arbeitslose, Sozialisten und Sozialdemokraten, Kommunisten, Trotzkisten, Humanisten, Indigenen-Vertreter und überhaupt jeder, der eine Fahne halten kann. Nicht dass für eine Mai-Kundgebung im Jahr 2008 halb Chile auf die Straße ginge, aber angesichts des miserablen Organisationsgrades der chilenischen Arbeitnehmerschaft (und der miserablen Bedingungen, sich zu organisieren), machen 10.000 Teilnehmer schon etwas her.


Die Jungs, die Benjamín meint, sind freilich die Störenfriede dieses gesellschaftlichen Ereignisses: junge Männer in Schwarz, viele vermummt, die sich im Anschluss eine erbitterte Straßenschlacht mit den martialisch uniformierten Kampfeinheiten der Polizei liefern – Bilder, wie man sie aus Kreuzberg oder Hamburg kennt. Benjamín, der so nicht heißt, aber diesen Namen vor zwei Jahrzehnten als nom de guerre der Kommunistischen Jugend verwendete, teilt mit den anarcos, wie er die in keiner Partei organisierten Steinewerfer nennt, keine Ideologie. Aber ihre Wut auf die Gesellschaft kann er verstehen: „Die haben doch kaum Chancen, und sie werden von keinem politischen Lager vertreten. Wenn ich sehe, wie die an den Unis, wo sie versuchen zu studieren, abgezockt werden, wundert es mich nicht, dass sie Steine schmeißen.“

Man muss das natürlich so nicht sehen, und viele tun es auch nicht. Ein wenig Nostalgie schwingt wohl in Benjamíns Worten mit, immerhin waren es ja die Jungkommunisten und verwandte Gruppen, die in den Achtzigern Steine gegen das Pinochetregime geworfen haben. Die neue Demokratie ist nun schon fast zwei Jahrzehnte alt, aber wie gerecht geht es in Chile heute tatsächlich zu? Der Vorsitzende der CUT, Arturo Martínez, geißelt in seiner Ansprache die Ausbeutung von Arbeitern durch Subunternehmen – in der Kupferproduktion, dem mit Abstand wichtigsten Exportzweig und Devisenbringer, befinden sich viele von ihnen zurzeit im illegalen Ausstand.


Am Ende wird die Polizei 146 Festnahmen von Randalierern melden – deutlich weniger als in den Jahren zuvor. Wir haben, auch auf die freundliche Warnung anderer Demonstrationsteilnehmer hin, mit den Kindern schon vorher das Weite gesucht. Den beißenden Geruch des Tränengases haben die beiden trotzdem von weitem geschnuppert. Ein für Chile nicht untypischer Geruch.


Vereint wird das Volk übrigens weiterhin siegen - insbesondere mit musikalischer Unterstützung durch unsere Lieblingsgruppe Inti Illimani:




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