Nur bei einem Thema glaubte Vidal vor ein paar Tagen, mit Ahnungslosigkeit kokettieren zu dürfen: „Von Computern verstehe ich überhaupt nichts. Ich weiß gerade einmal, dass es etwas gibt, was man 'Hacker' nennt. In Sachen Technologie bin ich Analphabet.“ Solche Aussagen könnte man überall auf der Welt aus Politikermund vernehmen, und wahrscheinlich beschreiben sie nicht nur die Realität, sondern dienen auch der Anbiederung beim Volk: Die da oben, so die Botschaft, sind genau so hilflos wie wir, wenn ihnen der Rechner abstürzt.
In diesem Fall ist die vom Regierungssprecher zur Schau gestellte Ahnungslosigkeit aber besonders peinlich, denn es geht um ein Thema, das in Chile erschreckenderweise gar keines ist: Datenschutz. Auch wenn sich das Land hinter den Anden nicht ganz zu Unrecht einer fortgeschrittenen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung rühmt – was den Umgang mit persönlichen Daten angeht, gibt es noch sehr, sehr viel zu tun. Das zeigt der Skandal, den besagter „Hacker“ losgetreten hat: Er hatte ein paar Links in einen Kommentar zum Technologie-Blog FayerWayer gestellt, über die man (jedenfalls bis zu ihrer Entfernung durch die Blogbetreiber) direkten Zugang zu persönlichen Angaben von mehr als sechs Millionen Chilenen hatte. Laut Mercurio stammten sie aus drei Quellen: von der Rekrutierungsbehörde des Militärs, dem Bildungsministerium und der Wahlkommission. Eine Abteilung der Kriminalpolizei zur Bekämpfung von Internetkriminalität soll jetzt klären, ob tatsächlich gehackt wurde und wie persönlich die gewonnenen Daten sind.
Niedlich: So stellt sich der Mercurio einen Hacker und sein Instrumentarium vor. Erinnert mich irgendwie an "Matrix". (Ausriss: El Mercurio)
Der springende Punkt ist: Die Daten unterliegen überhaupt keiner Geheimhaltung, und die meisten können von Unternehmen oder sonstigen Interessenten von den Behörden ganz legal gegen Bares erworben werden. Insofern lag Vidal mehr als falsch, als er kundtat, der Fall sei ein Fall für den Staatsanwalt, nicht für die Regierung. Ein Autor des erwähnten Blogs hat sich die Mühe gemacht, das chilenische Datenschutzgesetz einmal genau durchzulesen. Sein Fazit ist ernüchternd: „Du dachtest, deine persönlichen Daten gehören dir? In Chile ist das nicht der Fall.“
Auch uns wundert hier praktisch nichts mehr, seit wir wochenlang darunter zu leiden hatten, dass sich die Ausstellung unserer RUT verzögerte. Die RUT – Rol Unico Tributario – ist eine neunstellige Identifikations- und Steuernummer, die man ein Leben lang behält und die jeder Chilene im Schlaf aufsagen kann. Aber man lernt sie auch schnell auswendig, denn man wird immer und überall nach ihr gefragt - ob man nun eine Matratze kauft oder einen Eilbrief verschickt, einen Handyvertrag abschließt oder den Montageservice vom Baumarkt ordert. Hat man keine, ist man eine Unperson, ein Niemand. Dann streikt zum Beispiel der Computer in der Matratzenabteilung, weil er ohne RUT die Auslieferung aus dem Lager nicht möglich ist. Weil die Chilenen aber hilfsbereite Menschen sind, hat der Matratzenverkäufer nach langem Hin und Her einfach eine andere RUT eingegeben. Die Matratze wurde dann umgehend geliefert, aber seitdem ruft immer mal wieder jemand von Ripley an und verlangt eine gewisse Señora Yessica zu sprechen. Wie vermuten einen ursächlichen Zusammenhang.
So geht Datenschutz: Korrekt bildtechnisch behandelter Ausländerausweis
Angeblich – wir konnten das nicht überprüfen – erscheinen auf dem Display des Computers (oder wo auch immer) alle im Zusammenhang mit der RUT gespeicherten Daten, auch Anschrift und Telefonnummer sowie das von der Einwohnermeldebehörde digitalisierte Foto. Wundern würde mich das nicht. Einer der Behördengänge beim Kauf unserer camioneta führte mich auf ebenjenes Amt. Auf die bloße Nennung des Autokennzeichens hin druckte mir eine freundliche Dame eine Liste aus, die genauestens aufführte, wer jemals dieses Fahrzeug besessen hatte - mit vollen Namen und Adressen. Das ganze kostete umgerechnet einen Euro, identifizieren oder als künftiger Eigentümer des Wagens ausweisen musste ich mich nicht. Der Beispiele gäbe es noch einige.
Versuch's mal mit Humor: "Bitte lächeln, Sie werden gefilmt." Hier in einem Parkhaus von Puerto Montt.
In Deutschland habe ich mir nie große Gedanken über Datenschutz gemacht. Das ändert sich langsam. Auch die Warnungen vor Überwachungskameras fand ich meistens hysterisch. Hier wird man, zumindest im urbanen Raum, auf Schritt und Tritt gefilmt – und auch noch aufgefordert, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. In unserer Nachbarkommune Puerto Varas gab es vor ein paar Wochen eine heftige Debatte über ein paar Dutzend frisch im Zentrum installierte Kameras. Dabei ging es auch um das Recht am Bild, aber nicht im eigentlichen Sinne: Die Polizei stritt sich mit der Stadtverwaltung darum, wer exklusiv auf die Aufzeichnungen würde zugreifen dürfen. Ich habe das nicht weiter verfolgt, wahrscheinlich tun sie es jetzt beide.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen